# taz.de -- Erdoğan in Deutschland: Besuch in brisanten Zeiten | |
> Besuche des türkischen Präsidenten lösten schon politische Krisen aus. | |
> Diesmal ist das nicht zu erwarten. Protest gegen Erdoğan formiert sich | |
> dennoch. | |
Bild: Warten auf den Gast: Olaf Scholz vor dem Kanzleramt (hier im Frühjahr 20… | |
Berlin taz | Es ist nicht lange her, da waren Besuche des türkischen | |
Staatspräsidenten in Berlin Anlass für eine mittlere innenpolitische Krise | |
in Deutschland. Wenn am Freitag erst Bundespräsident Frank-Walter | |
Steinmeier und dann Kanzler Olaf Scholz (SPD) [1][Recep Tayyip Erdoğan | |
empfangen werden], sind in Rufweite im Regierungsviertel Demonstrationen | |
angekündigt. Doch die Mobilisierung findet dieses Mal unter anderen | |
Vorzeichen statt – und es sieht nicht danach aus, als würden wieder | |
ähnliche Massen gegen den türkischen Präsidenten auf die Straße ziehen wie | |
früher. | |
Unter dem Motto „Kein roter Teppich für den Islamisten Erdoğan“ rufen die | |
Gesellschaft für bedrohte Völker und der Verein Syrian Kurdish Diaspora | |
Network in Europe zu zwei Demonstrationen auf: Die Organisator*innen | |
wollen sich am Vormittag an den Polizeiabsperrungen in der Bellevueallee | |
versammeln; für den Nachmittag haben sie eine weitere Kundgebung in der | |
Nähe des Kanzleramts angemeldet. | |
Die Demonstrant*innen passen damit auch den ungefähren Zeitplan der | |
Visite des türkischen Präsidenten in Berlin ab. So nimmt Steinmeier seinen | |
türkischen Kollegen am Morgen in Empfang; ohne militärische Ehren, weil es | |
sich streng nach Protokoll bei dem Empfang des türkischen Präsidenten nicht | |
um einen Staatsbesuch, sondern um einen Arbeitsbesuch handelt: Erdoğan ist | |
auf Einladung des Bundeskanzlers und nicht Steinmeiers zu Gast. Wenn man | |
das Protokoll der Arbeitsbesuch ernst nähme, dann gilt der Besuch auch | |
nicht einer „allgemeinen Kontaktpflege“ wie bei einem zeremoniellen | |
Staatsbesuch, sondern zum Beackern aktueller politischer Themen. | |
Und diese gibt es derzeit bekanntlich genug. Ob es jedoch zu produktiven | |
Unterhaltungen zwischen Steinmeier, Scholz und Erdoğan kommen wird, kann | |
bezweifelt werden. Zu unterschiedlich sind die Standpunkte im | |
Nahostkonflikt, [2][in dem Erdoğan aus seinen Sympathien für die Hamas | |
längst keinen Hehl mehr macht]. Zu unterschiedlich ist inzwischen auch das | |
Machtgefälle zwischen der Europäischen Union und der Türkei im Umgang mit | |
Geflüchteten, obwohl gerade CDU-Politiker von einem Wiederaufleben des 2016 | |
geschlossenen Abkommens zwischen Brüssel und Ankara zur Rücknahme von | |
Asylsuchenden träumen. | |
## Der Kanzler widerspricht | |
Die Bundesregierung gibt sich betont pragmatisch im Umgang mit dem Besuch, | |
und auch aus der Opposition ist bislang kaum grundsätzliche Kritik daran zu | |
hören. So sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, | |
Thorsten Frei, es sei grundsätzlich richtig, dass die Bundesregierung den | |
Besuch des türkischen Präsidenten nicht abgesagt habe – trotz dessen | |
Stilisierung der Hamas zu Freiheitskämpfern und einer einseitigen | |
Fokussierung auf die Kriegsaktivitäten Israels. Aus der Union und auch aus | |
den Ampel-Parteien gibt es dringende Forderungen an den Kanzler, die | |
Positionierung der Regierung an der Seite Israels zu unterstreichen. | |
Scholz selbst hatte bereits am Dienstag Vorwürfe Erdoğans, Israel handele | |
„faschistisch“, als „absurd“ zurückgewiesen. | |
Die Nahost-Fokussierung auf türkischer und deutscher Seite der vergangenen | |
Wochen dürfte dazu führen, dass die Gespräche über andere zentrale Themen | |
in den gemeinsamen Beziehungen weniger wahrgenommen werden. Als Reaktion | |
auf einen Anschlag am 1. Oktober in Ankara fährt die Türkei aktuell wieder | |
eine Offensive gegen die kurdische Region Rojava im Nordosten Syriens. Im | |
Schatten der Angriffe der Hamas und der israelischen Invasion des | |
Gazastreifens bleiben die teils massiven Kampfhandlungen der Türkei in der | |
Region weitestgehend unbeachtet. | |
Am Samstag möchte eine Organisation auch im Lichte dieser Ereignisse | |
[3][für eine Aufhebung des Verbots der kurdischen Arbeiterpartei PKK in | |
Deutschland] demonstrieren. In dem Protestaufruf heißt es, Erdoğan habe mit | |
seinen Äußerungen zur Hamas „seine Unterstützung für radikal-islamistische | |
Organisationen untermauert“. Die Aufrechterhaltung des PKK-Verbots in | |
Deutschland sei das beste Beispiel dafür, wie die deutsch-türkischen | |
Beziehungen funktionierten: Indem das Verbot aufrechterhalten wird, lasse | |
sich die Bundesrepublik von Erdoğan zugunsten wirtschaftlicher | |
Interessenbeziehungen und zulasten der Grund- und Menschenrechte der | |
Kurd*innen beeinflussen. | |
Unklar blieb zunächst, wie lange sich Erdoğan in Deutschland aufhalten wird | |
und ob in dieser Zeit Gespräche mit Vertreter*innen aus der | |
Zivilgesellschaft und Religionsgemeinschaften geplant sind. Berichte, | |
wonach der türkische Staatschef nach seinem Besuch in Berlin nach Köln | |
weiterreisen werde, wurden von der Kölner Polizei gegenüber der taz | |
zunächst nicht bestätigt. Dort hatte der Besuch des türkischen Präsidenten | |
im Jahr 2018 zur Eröffnung der Zentralmoschee zu reichlich Protest geführt | |
– sowohl von Befürworter*innen wie auch von Gegner*innen Erdoğans. | |
16 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Erdoan-Besuch-in-Berlin/!5969781 | |
[2] /Erdoan-gegen-Israel/!5964130 | |
[3] /Soziologe-ueber-deutsches-PKK-Verbot/!5970077 | |
## AUTOREN | |
Yağmur Ekim Çay | |
Cem-Odos Güler | |
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