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# taz.de -- Schließung der Kinderheime rechtkräftig: Haasenburg gewinnt, Opfe…
> Das Urteil, wonach die Schließung der Kinderheime 2013 rechtswidrig war,
> wird nun rechtskräftig. Das Oberverwaltungsgericht lehnt Berufung ab.
Bild: Um die Perspektive der Opfer einzubringen, ist es jetzt zu spät
Hamburg taz | Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erlaubt [1][im
Prozess um die Haasenburg-Heime] keine Berufung. Das gab das
brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) bekannt.
Wie berichtet, hatte das Verwaltungsgericht Cottbus im November 2023
entschieden, dass die zehn Jahre zuvor erfolgte Schließung von drei
Kinderheimen rechtswidrig war, und zugleich eine Berufung verboten. Das
MBJS hatte im März dagegen beim OVG Beschwerde eingelegt, die wurde jetzt
abgelehnt.
Das Urteil vom November war für betroffene ehemalige Bewohner der Heime
erschütternd und [2][für Beobachter unerwartet]. Denn die selben Gerichte
hatten vor zehn Jahren, als die private Heimfirma per Eilklage versuchte,
die Schließung zu verhindern, [3][dies abgelehnt und anders entschieden].
Es spreche Überwiegendes dafür, dass das Wohl der dort untergebrachten
Kinder und Jugendlichen nicht gesichert sei. Die Haasenburg GmbH betrieb
drei Heime in Jessern, Neuendorf und Müncheberg mit 114 Plätzen, von denen
ein Teil zur geschlossenen Unterbringung zählte.
Das Jugendministerium [4][reagierte mit der Schließung] auf den Bericht
einer damaligen Untersuchungskommission, die auch mit früheren Bewohnern
sprach. Als besonders kritisch sah die Kommission, dass die Kinder dort oft
lange in einer „roten Phase“ mit wenig Rechten verbleiben mussten und es
häufig zu körperlichen Zwangsmaßnahmen kam, „Anti-Agressionsmaßnahmen“
genannt. Brandenburgs Jugendministerin Martina Münch (SPD) erklärte die
Haasenburg für „nicht reformierbar“, da es zu viele Mängel gebe.
## Unterlagen der U-Kommission fanden kaum Beachtung
Doch in diesem Punkt kam das Verwaltungsgericht Cottbus im November 2023
anhand der Aktenlage zu einem anderen Ergebnis. Das Ministerium hätte dem
privaten Heimbetreiber noch mal eine Chance geben können, statt Schließung
hätten Auflagen genügt. Zum Maßstab nahmen die Richter allerdings nur die
Zeit ab März 2013, wo die Haasenburg schon unter öffentlicher Beobachtung
stand. Immerhin 115 Anti-Agressionsmaßnahmen (AAM) an Kindern und
Jugendlichen hatte die Heimfirma sogar im Jahr 2013 an das
aufsichtsführende Landesjugendamt gemeldet.
In den meisten Fällen aber, so die Cottbusser Richter in der
Urteilsbegründung, handelte es sich um eine „akute Eigen- oder
Fremdgefährdung“, welche die AAM erforderte. Beispiele führen sie nicht
aus. Nur in vier Fällen sei das nicht eindeutig so gewesen, das reiche
nicht für eine Schließung. Zwar gebe es einzelne Jugendliche, die sehr
viele AAM erlebten und in dem Heim nicht passend untergebracht gewesen
seien. Doch das zu verhindern, sei auch Sache der Gerichte und Jugendämter.
Dass sich das Gericht nur auf Dokumente der Haasenburg beruft, ist
bemerkenswert. Hatte doch der Vorsitzende der Untersuchungskommission, der
Psychologe Martin Hoffmann, seinerzeit gewarnt, deren Dokumenten könne man
nicht trauen. Doch die Ergebnisse der Hoffmann-Kommission flossen in das
Urteil kaum ein, da sich nur drei dort aufgeführten Vorfälle auf das
Zeitfenster 2013 bezögen. Die Richter zitieren zwar aus dem Bericht die
Aussage eines Jugendlichen, er sei über die Türschwelle gegangen und schon
festgehalten und von vier Betreuern auf den Boden gelegt worden. Doch zu
dem Fall gebe es keine passende Meldung des Heims und auch keinen Namen des
Betreuers, sodass „keine weiteren Ermittlungsansätze“ bestünden.
Wenig Raum nimmt in der 100 Seiten langen Urteilsbegründung die
Verteidigung des Jugendministeriums ein. Das MBJS war zuletzt „wegen des
laufenden Verfahrens“ auch nicht bereit, der taz Fragen zu beantworten.
Etwa, ob das Gericht neben der veröffentlichten Fassung des
Untersuchungsberichts auch die Anhänge mit Aussagen und Dokumenten erhalten
hatte. Schließlich wären das mögliche „Ermittlungsansätze“ gewesen.
## „Mit tiefer Trauer und großem Schmerz“
Zudem hatte die Interessengemeinschaft der ehemaligen Haasenburgkinder, die
sich „Bündnis gegen repressive Pädagogik“ nennt, dem MBJS Unterstützung …
Beschwerdeverfahren angeboten, aber keine Rückmeldung erhalten. [5][Die
Betroffenen] nehmen den OVG-Beschluss „mit tiefer Trauer und großem
Schmerz“ zur Kenntnis, schreiben sie [6][in einer Stellungnahme]. Im Grunde
hätten hier zwei belastete Parteien vor Gericht gestanden, da das MBJS
seiner Kontrollpflicht nicht ausreichend nachgekommen sei.
Um die Perspektive der Opfer einzubringen, ist es jetzt zu spät. Das OVG
entschied, das beklagte Ministerium habe weder ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung noch Verfahrensmängel
dargelegt. MBJS-Sprecherin Ulrike Grönefeld erklärt, das OVG habe im Kern
die vorgebrachten Zweifel als nicht ausreichend betrachtet. Es sei auch
nicht darauf eingegangen, „dass das VG Cottbus erst nach rund zehn Jahren
entschieden hat und sich hieraus Darlegungsprobleme ergeben könnten“.
Die Haasenburg GmbH kann jetzt auf Grundlage des rechtskräftigen Urteils
zivilrechtlich sogar [7][Schadenersatz einklagen]. Wollte sie mit der alten
Betriebserlaubnis die Heime wieder öffnen, müsste das MBJS wie bei einem
Neuantrag prüfen, ob die räumlichen, personellen und fachlichen
Voraussetzungen und ein Gewaltschutzkonzept vorliegen.
Betroffene können ihrerseits versuchen Entschädigung zu beantragen, müssen
aber viel Zeit mitbringen. Der Brandenburgische Landtag hatte sich im
Dezember angesichts des Urteils mit den Opfern der Haasenburg-Heime
solidarisch erklärt und seine Regierung aufgefordert, sich bei der
Konferenz der Jugendminister für einen bundesweiten Entschädigungsfonds für
Kinder und Jugendliche einzusetzen, die seit 1990 in Heimen der
institutionelle Gewalt erfuhren. Auf der jüngsten Jugendministerkonferenz
im Mai stand das aber nicht auf der Tagesordnung.
22 Jul 2024
## LINKS
[1] /Prozess-um-Heimschliessung/!5975194
[2] /Urteil-zur-Haasenburg-Schliessung/!5972456
[3] /Gerichtsentscheidung-zu-Kinderheimen/!5042119
[4] /Schliessung-der-Haasenburg-Heime/!5055500
[5] /Gericht-zur-Schliessung-der-Haasenburg/!5972804
[6] https://www.facebook.com/BGSP.EVIG/posts/pfbid02h9yLHXCVdrdbRPSqarFJTc3rzoP…
[7] /Prozess-um-Kinderheim-Schliessung/!5973316
## AUTOREN
Kaija Kutter
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