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# taz.de -- Auslieferung von Antifaschist*in: Verfassungsgericht greift ein
> Wegen Angriff auf Neonazis gesuchte Thüringer Antifaschist*in wird
> nach Ungarn abgeschoben. Karlsruhe schreitet ein – aber zu spät.
Bild: Hat nichts gegen eine Auslieferung nach Ungarn einzuwenden: das Berliner …
Berlin taz | Monatelang hatte das Verfahren gedauert, gingen Schriftsätze
von Berlin nach Budapest hin und her. Nun entschied das Berliner
Kammergericht: [1][Ein*e Thüringer Antifaschist*in, Maja T.], wird nach
Ungarn ausgeliefert. Die nonbinäre Person soll sich mit anderen deutschen
Autonomen im Februar 2023 an [2][Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest
beteiligt] haben, die sich dort zum Großaufmarsch „Tag der Ehre“ trafen. Am
Freitagmittag intervenierte das Bundesverfassungsgericht – aber zu spät.
Maja T. war bereits [3][im vergangenen Dezember in Berlin festgenommen
worden] und saß seitdem in Dresden in Haft. Ungarn hatte daraufhin die
Auslieferung beantragt. Sven Richwin, Anwalt der 23-jährigen Person, hatte
dem widersprochen. Für Antifaschist*innen wie Maja T. sei in Ungarn
unter der rechtsautoritären Regierung von Viktor Orbán kein faires
Verfahren zu erwarten, betonte er. Auch seien die Haftbedingungen in dem
Land nicht menschenrechtskonform, insbesondere für nonbinäre Menschen.
Menschenrechtsorganisationen wie das Helsinki Committee for Human Rights
hatten zuletzt ebenfalls [4][die Bedingungen in ungarischen Haftanstalten
kritisiert].
Das Berliner Kammergericht entschied nun aber, dass die Auslieferung von
Maja T. zulässig sei. Die Tat sei in Ungarn geschehen, deshalb müsse sich
die beschuldigte Person auch dort verantworten, argumentiert das Gericht.
Hindernisse für eine Auslieferung nach Ungarn seien nicht ersichtlich.
## Kammergericht stellt sich naiv
Das Kammergericht verweist dabei auf Garantieerklärungen des ungarischen
Justizministeriums, das zusicherte, dass es für Maja T.
menschenrechtskonforme Haftbedingungen geben werde. Anhaltspunkte, dass
sich Ungarn an diese Zusicherungen nicht halte, gebe es nicht, so das
Kammergericht. Zudem schütze die ungarische Justiz durchaus gefährdete
Gefangene, auch im Fall ihrer geschlechtlichen Identität, behauptet das
Gericht. Die Anwälte von Maja T. und deutsche Konsulatsmitarbeitende hätten
die Möglichkeit, dies zu überprüfen und bei Verstößen zu intervenieren.
Das Berliner Kammergericht sieht auch keine konkreten Hinweise, dass der
ungarische Staat in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen könnte.
Zudem bot das ungarische Justizministerium offenbar an, dass Maja T. im
Falle einer Verurteilung in Ungarn die Haft anschließend in Deutschland
verbüßen könnte, sofern dies beantragt würde.
Sven Richwin, Anwalt von Maja T., kritisierte den Beschluss des Berliner
Kammergerichts deutlich. Dieser erfolge in einer „fahrlässigen Naivität“,
sagte er der taz. Die Zusicherungen der ungarischen Behörden seien
lediglich „floskelhaft“. Deutschland versuche, den Rechtsschutz von Maja T.
„auszuhebeln“.
## Anwälte beklagen „Nacht- und Nebelaktion“
Noch in der Nacht begann das sächsische Landeskriminalamt, das mit seiner
„Soko Linx“ noch nach weiteren Beschuldigten der Budapest-Angriffe fahndet,
Fakten zu schaffen und fuhr Maja T. über Österreich an die ungarische
Grenze. Die Anwälte hatten da keinen Kontakt mehr zu T. Von einer „Nacht-
und Nebelaktion“, spricht Richwin.
Richwin und sein Kollege Maik Elster stellten noch Freitagmorgen, 7.38 Uhr,
einen Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht, um die Auslieferung noch
zu verhindern. Und die Karlsruher Richter intervenierten am Vormittag
tatsächlich. Sie wiesen die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das
sächsische Landeskriminalamt an, die Auslieferung vorerst nicht umzusetzen.
Maja T. dürfe, bis eine Entscheidung über den Eilantrag gefallen sei, nicht
ungarischen Behörden übergeben werden, längstens für eine Dauer von sechs
Wochen.
Tatsächlich war Maja T. laut Bundesverfassungsgericht aber bereits um 6.50
Uhr österreichischen Behörden übergeben worden. Als die Karlsruher Richter
ihren Beschluss gegen 11 Uhr der Generalstaatsanwaltschaft Berlin
mitteilten, antworteten diese, dass Maja T. bereits um 10 Uhr ungarischen
Behörden übergeben worden sei.
## Verfassungsgericht verlangt Rückführung
Das Bundesverfassungsgericht machte in seinem Beschluss aber auch klar:
Sollte sich Maja T. bereits in Ungarn befinden, sei eine „Rückführung in
die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken“.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin antwortete dazu auf Nachfrage am
späten Freitagnachmittag, der Fall sei für sie abgeschlossen. Die Verfügung
des Bundesverfassungsgerichts sei zu spät gekommen. Mit der Übergabe von
Maja T. an die ungarischen Behörden habe sich diese „erledigt“. Einen
Auftrag, Maja T. nach Deutschland zurückzuholen, entnehme man der
einstweiligen Anordnung der Verteidiger nicht. Man habe aber das
Bundesverfassungsgericht um einen Hinweis gebeten, „ob der Senat die
Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin teilt, dass sich die
einstweilige Anordnung erledigt hat“.
Die Polizei Budapest teilte derweil mit, dass Maja T. inzwischen in eine
Haftanstalt in Budapest gebracht wurde. T. habe die Aussage verweigert. In
einem Video präsentierten sie T. in Fesseln auf einem Polizeirevier,
umringt von schwer bewaffneten Beamten.
Ein Solidaritätsbündnis für Maja T. hatte zuvor noch am Freitagmorgen zu
einer Kundgebung vor der JVA in Dresden aufgerufen, um die Auslieferung
noch zu verhindern. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein
schloss sich der Forderung an. „Wir sind schockiert, dass ein deutsches
Gericht nun wahrmacht, wovor es jedem rechtsstaatlich denkenden Menschen
graut“, erklärte RAV-Vorständin Angela Furmaniak. „Eine queere Person in
ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken, verstößt gegen
die Europäische Menschenrechtskonvention.“
## Schirdewan spricht von „Schande für Deutschland“
Der Linken-Parteivorsitzende Martin Schirdewan sprach gar von einer
„Schande für Deutschland“. Orbán sei kein Demokrat und Ungarn werde kein
rechtsstaatliches Verfahren garantieren. „Es ist unerträglich, dass
Deutschland Menschen an Autokraten ausliefert, statt ein rechtsstaatliches
Verfahren vor eigenen Gerichten sicherzustellen.“
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner warnte ebenso, dass Maja T.
in Ungarn „erniedrigende Haftbedingungen und eine Verurteilung aufgrund
politischer Vorgaben des autoritär-rechten Orbán-Regimes“ drohten.
Der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg forderte, die Auslieferung zu
stoppen. Er habe „große Zweifel“, dass Maja T. in Ungarn ein faires
Verfahren erwarte. Das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuvorzukommen, sei „eines
Rechtsstaats unwürdig“. Limburg forderte, dass die Berliner Justizsenatorin
Felor Badenberg (CDU) zu dem Fall Stellung nehmen müsse.
Auch Thüringer Landespolitikerinnen kritisierten die Entscheidung scharf.
Die Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss erklärte, mit der
Entscheidung werde „die Rechtsstaaatlichkeit ad absurdum geführt“. Während
die EU Gelder für Ungarn in Milliardenhöhe eingefroren habe, weil Orbán
rechtsstaatliche Standards nicht einhalte, liefere Deutschland einen
nonbinären Menschen dorthin aus, so die Politikerin. Maja T. drohten dort
nun „enorme Repression“, die ungarische Justiz sei nicht unabhängig. Im
Land herrsche „ein Klima der Angst bei politisch Aktiven“. König-Preuss
forderte die Bundesregierung auf, „alle Hebel in Bewegung zu setzen“, um
die Auslieferung noch zu verhindern.
## Andere Linke sind abgetaucht
Auch die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling erklärte, in Ungarn sei mit
keinem fairen Verfahren für Maja T. zu rechnen. „Eine Auslieferung
widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention und muss gestoppt
werden.“
Bei den Angriffen in Budapest im Februar 2023 hatten Autonome Teilnehmende
des rechtsextremen „Tag der Ehre“ [5][angegriffen und teils schwer
verletzt]. Maja T. werden schwere Körperverletzung und Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Noch vor Ort waren zwei deutsche
Tatverdächtige und eine Italienerin festgenommen worden, gegen [6][die
bereits ein Prozess läuft]. Nach zehn weiteren Deutschen wurde gefahndet,
das Verfahren hat inzwischen die Bundesanwaltschaft übernommen.
Nach der Festnahme von Maja T. war im Mai [7][in Nürnberg eine weitere
Beschuldigte festgenommen worden, Hanna S.], der ebenfalls eine Beteiligung
an den Angriffen in Budapest vorgeworfen wird. [8][Weitere Linke sind bis
heute abgetaucht], weil sie ebenfalls eine Auslieferung nach Ungarn
fürchten. Auf ein Angebot sich zu stellen, wenn eine Nichtauslieferung
zugesichert werde, ging die Bundesanwaltschaft bisher nicht ein.
Dieser Text wurde am 28. Juni um 19.30 Uhr aktualisiert.
28 Jun 2024
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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