# taz.de -- Donald Sutherland gestorben: Eine andere, neue Art von Mann | |
> Viele Kinorollen von Donald Sutherland waren Affronts gegen den | |
> traditionellen Machohelden. Nun ist der Schauspieler im Alter von 88 | |
> Jahren gestorben. | |
Bild: Donald Sutherland in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Bev… | |
Die Prostituierte Bree (Jane Fonda) ist fassungslos. „Er kennt meine | |
schrecklichsten Seiten“, sagt sie über ihren neuen Partner, den Polizisten | |
Klute (Donald Sutherland), „hat mich gemein und hässlich erlebt. Und es | |
scheint ihn nicht zu stören. Er scheint mich zu akzeptieren …“ | |
Alan J. Pakulas Psychothriller „Klute“ von 1971 zeigt eine andere Art von | |
Mann auf der Kinoleinwand. Ein stiller, toleranter Held, der einer | |
Partnerin Freiräume lässt, ihr auf Augenhöhe begegnet. Der in der ersten | |
gemeinsamen Nacht zunächst nur den Schlafanzug und erst später, erst auf | |
ihre Initiative, das Bett mit ihr teilt. Der die Entscheidungen einer Frau, | |
sogar einer selbstbestimmten Prostituierten wie Bree, respektiert, ihr | |
hilft, sie nicht ändern will. | |
„Klute“ war Donald Sutherlands Durchbruch in eine neue Schauspielkategorie | |
und in eine neue Welt. Der 1935 geborene Kanadier, der nach einem | |
Ingenieursstudium in Toronto zur „London Academy of Music and Dramatic Art“ | |
gewechselt war, hatte in den frühen 60ern zunächst in britischen | |
Theaterproduktionen und Fernsehserien gespielt, unter anderem hatte er | |
einen Auftritt in „The Avengers“, und war zweimal neben Roger Moore in der | |
TV-Serie „The Saint“ zu sehen. | |
Die Gastrolle brachte ihm seine erste große US-Produktion ein: In Robert | |
Aldrichs [1][Kriegsfilm „The Dirty Dozen“] spielte er neben Legenden wie | |
Lee Marvin, Ernest Bognine, John Cassavetes und Charles Bronson einen von | |
zwölf Sträflingen eines Strafbataillons im Zweiten Weltkrieg, das einen | |
hochgefährlichen Einsatz ausführen muss. | |
In einer Szene soll er sich als Militär-General ausgeben, der eine Truppe | |
inspiziert. Sutherland schlakst daraufhin grinsend und kaugummikauend durch | |
die Reihen, jede Bewegung ein Affront gegen den traditionellen Machohelden. | |
In den späten 60ern und während des Vietnamkriegs politisierte sich das | |
Klima in den USA, auch was Filminhalte betrifft. 1970 spielte Sutherland in | |
den beiden bitteren Antikriegskomödien „M.A.S.H.“ und „Kelly’s Heroes�… | |
Doch es war vor allem seine Partnerin in Pakulas die dunklen Seiten der USA | |
thematisierenden Paranoia-Thriller, die Sutherland für die Dringlichkeit | |
politischer Arbeit sensibilisierte: Nach der Scheidung von seiner zweiten | |
Frau, mit der er die Zwillinge Kiefer und Rachel Sutherland hat, begann | |
Sutherland während der Dreharbeiten zu „Klute“ ein Verhältnis mit der zur | |
Aktivistin gewordenen Jane Fonda. | |
## Fuck The Army | |
Gemeinsam produzierten die beiden einen Dokumentarfilm mit dem Titel | |
„F.T.A.“ – das stand für „Fuck The Army“ und war der Name einer | |
Anti-Vietnamkrieg-Roadshow, mit der man GIs erreichen und ihnen die | |
Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit ihres Tuns klarmachen wollte. | |
Die Beziehung zu Fonda hielt drei Jahre, und schien sowohl sein politisches | |
Selbstverständnis – er blieb bis zum Lebensende Demokrat, unterstützte | |
später aktiv Obama – als auch seine Auswahl nachhaltig beeinflusst zu | |
haben: In den 70ern brillierte Sutherland weiterhin in tiefgründigen und | |
hochkomplexen Rollen wie in „Fellini's Casanova“ und in Nicolas Roegs | |
Verlust-Vexierspiel „Wenn die Gondeln Trauer tragen“. | |
Nach Roeg benannte Sutherland einen seiner Söhne, die er mit der | |
frankokanadischen Schauspielerin Francine Racette hatte – alle seine Söhne | |
tragen die Namen von Regisseuren, die ihm wichtig waren. | |
Sutherland spielte 1989 die Hauptrolle im Anti-Apartheits-Drama „Weiße Zeit | |
der Dürre“ der Schwarzen, französischen Regisseurin Euzhan Palcy, in Oliver | |
Stones prominent besetzten, dreieinhalbstündigen Politthriller „JFK“ gab er | |
1991 den mysteriösen Regierungskritiker „Mr. X“. Er wurde viel und oft als | |
Sprecher gebucht – seiner charakteristischen, distinguierten Stimme hörte | |
man an, dass sie aus einem fast zwei Meter großen, schlanken Körper stammt, | |
sein durch eine Exotropie, dem ganz leichten Auswärtsschielen eines Auges | |
geprägter Blick war faszinierend. | |
## Junge Menschen politisieren | |
Als er 2012 die wiederkehrende Rolle des „Coriolanus Snow“ im Fantasyhit | |
[2][„Die Tribute von Panem“] übernahm, jagte einem seine ruhige | |
Interpretation des weißhaarigen, faschistischen, streng riechenden | |
Antagonisten Schauer über den Rücken. | |
Sutherland hatte sich aktiv um die Rolle beworben: „Die Figur des | |
Präsidenten war mir noch gar nicht angeboten worden“, sagte er in einem | |
Interview. „Ich sah eine politische Qualität in dem Stoff, mit der man | |
junge Menschen mitreißen, vielleicht sogar politisieren kann. Panem soll ja | |
ganz klar die Vereinigten Staaten symbolisieren“. Sutherland schrieb einen | |
Bewerbungsbrief an die Produktion, Regisseur Gary Ross war hocherfreut. | |
2016 wurde Sutherland in die [3][Jury des Filmfestivals von Cannes] | |
berufen, 2017 bekam er, nach vielen, vielen weiteren Auszeichnungen, | |
endlich auch einen Oscar für sein Lebenswerk. | |
Nachdem Donald Sutherland am Donnerstag nach langer Krankheit 88-jährig in | |
Miami verstarb, verabschiedete sich sein Sohn Kiefer mit einem bezaubernden | |
Foto, auf dem er als Kleinkind neben seinem Vater in die Kamera schaut, auf | |
der Plattform X von ihm: „Keine Rolle hat ihn je eingeschüchtert, good, bad | |
or ugly. Er liebte, was er tat, und er tat, was er liebte. Mehr kann man | |
sich nicht wünschen.“ | |
21 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Tarantino-Film-Inglourious-Basterds/!5157788 | |
[2] /Neuester-Tribute-von-Panem-Film/!5028287 | |
[3] /Kolumne-Cannes-Cannes/!5299628 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Kino | |
Nachruf | |
Schauspieler | |
Hollywood | |
Männerbild | |
GNS | |
Social-Auswahl | |
taz Plan | |
Spielfilm | |
Alzheimer | |
Dystopie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Filmempfehlungen für Berlin: Die schönsten Jahre | |
Woche der Originalgenies mit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, Anouk Aimée | |
im Cinema Paris und Jacques Beckers Modigliani-Porträt „Montparnasse 19“. | |
Regisseur des „Planet der Affen“ Sequels: „Äffinnen so zeigen, wie sie s… | |
US-Regisseur Wes Ball über Science-Fiction als historisches Epos, | |
Verständigung zwischen Tier und Mensch und Motion-Capturing von | |
Menschenaffen. | |
Spielfilm „Das Leuchten der Erinnerung“: Gegen die Erwartung | |
Der Regisseur Paolo Virzì erkundet die „Störung“ Alzheimer. Die Stärke | |
seines Films liegt in der präzisen Beobachtung. | |
Neuester „Tribute von Panem“-Film: Covergirl der Revolution | |
In den neuen Dystopienfilmen müssen junge Frauen die Welt retten. Eine | |
willkommene Entwicklung – und doch nur eine Variation alter Muster. |