Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuester „Tribute von Panem“-Film: Covergirl der Revolution
> In den neuen Dystopienfilmen müssen junge Frauen die Welt retten. Eine
> willkommene Entwicklung – und doch nur eine Variation alter Muster.
Bild: Symbol der Rebellion: Katniss Everdeen in „Tribute von Panem“.
BERLIN taz | Peter Jackson ist schuld: Seit dem durchschlagenden Erfolg
seiner „Herr der Ringe“-Trilogie kennt das Geschäftsmodell des
Film-Franchise eine neue, gewinngarantierende Verpackung. Statt einfach
Sequel an Sequel zu reihen, wird nun die eine große Erzählung gesucht, die
sich gestreckt in Einzelfilme über Jahre hinweg am besten zur Adventszeit
präsentieren lässt. Auf „Herr der Ringe“ folgten „Harry Potter“,
„Twilight“, „Der Hobbit“ und eben die „Hunger Games“ – um nur die
Franchises aufzuzählen, bei denen das Konzept aufging.
Denn niemand erinnert sich mehr an „City of Ember“ (2008), „Eragon“ (20…
oder „The Golden Compass“ (2007) – um einige zu nennen, die es nicht
geschafft haben. Doch trotz aller Rückschläge stellte sich als Muster
heraus: Die beste Grundlage einer solchen „Verwertungskette“ bietet nicht
die reine Fantasy-Literatur, sondern eine gewisse Form des Jugendromans,
sogenannte „Young Adult Novels“, in denen junge Helden als „Berufene“ o…
gar „Auserwählte“ vorzugsweise eine zuschanden gegangene Welt retten
müssen.
„Immer wieder neue Bücher, neue Sendungen, neue Filme, diverse
Geschichtchen, aber immer wieder derselbe Sinn“, könnte man mit Roland
Barthes diagnostizieren und darin den „Bastard Massenkultur“ ausmachen,
dessen Haupteigenschaft die „schändliche Wiederholung“ von Inhalten,
ideologischen Schemata und dem Glattbügeln der Widersprüche ist, während
die Formen nur an der Oberfläche variiert werden. Doch manchmal sind gerade
die Veränderungen der Oberfläche interessant genug, um auch den kritischen
Beobachter zu fesseln.
Die augenfälligste Veränderung vom „Herrn der Ringe“, wo die einzige
weibliche Figur mit echtem Einfluss auf die Spannung eine Spinne war, über
„Harry Potter“, wo mit Emma Watsons Hermione immerhin ein Mädchen unter den
Jungs mitmischen durfte, bis jetzt zur bogenschießenden Action-Ikone
Jennifer Lawrence alias „Katniss“ in „Hunger Games“ ist denn: eben dies…
Prozess der Verweiblichung. Sicher, es mag sich um eine bloße Variation der
Oberfläche handeln, die vom Immergleichen des erzählten Sinns lediglich
ablenkt – es ist dennoch eine höchst willkommene.
## Eigenartige Revolutionsparabel
Ein wichtiger Wegbereiter für Katniss Everdeens Aufstieg zum weltweiten
Popkulturphänomen war das so oft mit Spott bedachte „Twilight“-Franchise.
Wobei der Spott nicht nur von der als schlecht geschrieben geltenden
Vorlage von Stephenie Meyer rührte, sondern von der inhärenten Peinlichkeit
des Ungewohnten: Hier wurde zum ersten Mal gezielt eine Fan-Basis aus
weiblichen Teenagern, ihren Müttern und ihren Tanten beworben. Trotz der
„Mädchenhaftigkeit“ des Stoffes mit Kristen Stewarts Bella als
keusch-erotischem Zentrum zwischen zwei mit ihrer Domestizierung kämpfenden
Jungs besaß „Twilight“ genug Anziehungskraft auch für das wichtige
Publikumssegment von „unter 25, männlich“.
Als im November 2012 der fünfte und letzte Teil des „Twilight“-Franchise
ins Kino kam, hatten sich die „Hunger Games“ bereits als Nachfolger
positioniert. Dabei hatte Suzanne Collins für ihre in den Jahren 2008 bis
2010 veröffentlichte Vorlage sehr viel größeren Zuspruch erhalten als
Stephenie Meyer für „Twilight“, und ihr Stoff schien von Beginn an mehr
Crossover-Charme zum männlichen Publikum zu besitzen. Als medienkritischer
Dystopie eignet den „Hunger Games“ ein martialischer Aspekt, der den
Vampirkämpfen im ewig-halbdüsteren Twilight-Universum fehlte.
Die Heimat von Katniss Everdeen ist ein Land, das mit seinen verarmten,
unterdrückten Distrikten wahlweise ans Dickens’sche
Industrialisierungs-England oder sowjetische Lager erinnert – mit einer
Macht im Zentrum, in deren Medienraffinesse und Brutalität auf gruselige
Weise der aktuelle Terrorismus anklingt. Und wo der erste Teil der „Hunger
Games“ noch als Plagiat gebrandmarkt wurde, weil er das mehrfach verfilmte
Klischee moderner Gladiatorenspiele als Fernsehshow wiederholte, begeben
sich die Fortsetzungen aufs Terrain einer eigenartigen Revolutionsparabel.
Dabei bleiben auch die „Hunger Games“ gut erkennbar als Mädchenstoff:
Katniss ist einmal mehr eine romantische Heldin zwischen zwei Männern. Ging
sie im ersten Teil noch mit Pfeil und Bogen bewaffnet als das taffeste
aller Girls aus den „Games“ hervor, zeigte sie schon der zweite Film sehr
viel klassischer weiblich: als in erster Linie um ihre Lieben und um ihr
Image besorgt. Der dritte Teil gestaltet aus Letzterem eine eigene
Handlung: Katniss muss sich entscheiden, ob sie die Rolle des „Mockingjay“,
des Symbols der Rebellion, übernimmt.
## Tapferkeit für die Kamera
So besteht die „Action“ in diesem Teil auch nicht wie sonst üblich aus
einer Schlacht, die als Vorspiel zur großen Entscheidung im Finale dient,
sondern aus Image-Konflikten. Katniss muss ihre Rolle nicht als Anführerin
mit der Waffe in der Hand finden, sondern als Covergirl, als
„bestangezogenste Rebellin aller Zeiten“. „Mockingjay“ zeigt Katniss, w…
sie mit einem Kamerateam Verwundete und Trümmer besucht, um spontan in die
Kamera Trotz und Tapferkeit zu bezeugen, auf dass die Distrikte in ihrer
Rebellion ermutigt werden.
Das Besondere ist, dass der Film daran gar nichts Schlechtes oder
Verächtliches findet. Im Gegenteil belegt der Film völlig unironisch, dass
die Rolle des Covergirls von großer, entscheidender Bedeutung für den
Erfolg der Rebellion sein kann. Dementsprechend steigen auch die Figuren,
die noch im ersten Teil in ihrer oberflächlichen medialen Obszönität
ausgestellt wurden, wie Elizabeth Banks’ Kostümberaterin, zu quasi
subversiven Helden auf, die im gleichgeschalteten Lager der Rebellen
Lichter des Individualismus aufsetzen.
Die „Hunger Games“ sind ein eigentümlicher Bastard der Massenkultur. Wie
das Geschäftsmodell es vorsieht, werden in den Nebenrollen große Namen
aufgefahren: Donald Sutherland, Julianne Moore, Woody Harrelson – und
Philip Seymour Hoffman in, wie es so hilflos heißt, einer seiner letzten
Rollen. Sie alle, und Hoffman in besonderer Weise, bringen so viel
Charaktergewicht mit, dass ihre eher phrasenhaften Monologe fast darunter
erdrückt werden. So offenbart gerade die Qualität der Schauspieler, was man
angesichts der vielen interessanten Oberflächenreize von wegen Gewichtung
des Weiblichen usw. vergessen wollte: den Mangel an erzählerischer
Substanz.
## Als nächstes kommt Divergent
Aber dafür scheint Abhilfe in Sicht: Die nächsten Franchises stehen bereits
in den Startlöchern. Mit „Divergent“ lief im März eine weitere auf vier
Teile angelegte Verfilmung einer „Young Adult“-Trilogie mit weiblicher
Heldin im Zentrum an. Wobei die Dystopie, in der sich das mit Shailene
Woodley erneut charismatisch besetzte taffe Girl bewähren muss, an
Komplexität und Düsternis die Diktatur der „Hunger Games“ noch übersteig…
Die bedeutsamsten Schatten aber wirft die angekündigte Verfilmung von
Patrick Ness’ „Chaos Walking“-Trilogie voraus, angesiedelt in einer
postapokalytischen Welt, in der Gedanken hörbar sind. Den ersten Band mit
dem Originaltitel „The Knife of Never Letting Go“ verwandelt kein
Geringerer als Charlie Kaufman in ein Drehbuch. Erwartet wird eine Art
„Citizen Kane“ des Young-Adult-Genres.
19 Nov 2014
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Dystopie
Kino
Jennifer Lawrence
Philip Seymour Hoffman
Kino
Kino
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Donald Sutherland gestorben: Eine andere, neue Art von Mann
Viele Kinorollen von Donald Sutherland waren Affronts gegen den
traditionellen Machohelden. Nun ist der Schauspieler im Alter von 88 Jahren
gestorben.
Letzter Teil der „Tribute von Panem“: Mit Propos gegen den Diktator
Die „Tribute von Panem“-Reihe gilt als fortschrittlichste im Fantasy-Genre.
Dennoch muss die Heldin beim Tyrannenmord gut aussehen.
Essay zum Erfolgsfilm „Monsieur Claude“: Ignoranz ist die beste Verdrängung
3,5 Millionen Zuschauer haben Philippe de Chauverons Komödie gesehen.
Offenbar greift die Freude an der Reproduktion von Ressentiments.
Kinostart „Divergent – Die Bestimmung“: Posterwechsel im Mädchenzimmer
Ein Mädchen rebelliert: In „Divergent – Die Bestimmung“ trifft der
Groschenroman auf Öko-Agitprop, Teenie-Horror aufs Martial-Arts-Drama.
„Bis(s) zum Ende der Nacht – Teil 2“: Die Wunschmaschine der Mädchen
Mit „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht“ endet die „Twilight“-…
Auch Teil 2 bedient hemmungslos Mädchenfantasien und -eitelkeiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.