# taz.de -- Asyldebatte in Deutschland: Absurd teure Scheinlösungen | |
> Die Politik sucht mit den anvisierten Asylverfahren in Drittstaaten eine | |
> Wunderwaffe gegen die AfD-Erfolge. Sogar mit neokolonialem Verhalten. | |
Bild: Die Ministerpräsident:innen verspüren „Handlungsdruck“ und wollen G… | |
Für die Union war die Sache klar: Es gebe „Handlungsdruck“, meinte | |
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), die Kommunen | |
seien überlastet mit den vielen Flüchtlingen, da „müssen wir liefern“. | |
[1][Markus Söder (CSU) befand, die Grünen müssten „endlich von der Bremse | |
gehen“], damit Deutschland seine Asylverfahren in Drittstaaten verschieben | |
könne. | |
Monatelang hatte das Innenministerium die Idee von Dutzenden | |
Expert:innen prüfen lassen. Doch diese seien „skeptisch bis kritisch“ | |
oder lehnten „solche Modelle klar ab“, heißt es in dem Bericht, den | |
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag der | |
[2][Ministerpräsidentenkonferenz] vorstellte. | |
Viele der Fachleute hatten auf die Entrechtungen hingewiesen, auf den | |
„Eindruck neokolonialistischen Verhaltens“, die zweifelhafte | |
Kosten-Nutzen-Relation solcher Modelle. Die Länderchefs juckte das nicht. | |
Sie rangen – mit Ausnahme von Bremen und Thüringen – der Bundesregierung | |
das Zugeständnis ab, bis Dezember „konkrete Modelle“ dafür zu entwickeln. | |
Zu groß ist die Sehnsucht nach einer Wunderwaffe gegen die anhaltenden | |
AfD-Erfolge. Alle gieren nach einer neuen, durchschlagenden Idee, die das | |
Asylproblem endlich lösen soll – und tun in einem Akt kollektiver | |
Selbsttäuschung so, als seien das die Drittstaaten. Die Union will auf sie | |
den kompletten Flüchtlingsschutz der gesamten EU abwälzen. Wäre das die | |
Lösung, wäre sie längst unter Dach und Fach. | |
## 20 Jahre geister die Idee schon herum | |
Die Ampel hatte sich 2021 im Koalitionsvertrag vorgenommen zu prüfen, ob | |
Asylverfahren in Drittstaaten „in Ausnahmefällen“ möglich sind. 2023 kam | |
ihr „Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen“, der FDPler Joachim | |
Stamp, ins Amt – und plädierte für Asylverfahren in Afrika, auch wenn das | |
„sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf“ erfordere. | |
Einen langen Vorlauf? Den gab es: 2018 sinnierte Angela Merkels | |
Afrikabeauftragter Günter Nooke darüber, ob afrikanische Regierungschefs | |
bereit seien, „gegen eine Pacht ein Stück territoriale Hoheit abzugeben“. | |
Dort, so Nooke, „könnten in Wirtschaftssonderzonen Migranten angesiedelt | |
werden.“ | |
Ab 2016 und 2017 wollten die Innenminister Thomas de Maizière und Horst | |
Seehofer im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nach Nordafrika bringen. Schon | |
2004 hatte der SPD–Innenminister Otto Schily die Idee aufgebracht. Bayerns | |
Innenminister Günther Beckstein (CSU) meinte damals, die Bundeswehr könnte | |
Flüchtlingslager in Nordafrika betreiben und dorthin Geflüchtete | |
abschieben. 20 Jahre geistert die Idee schon herum – wieso hat sie keiner | |
je zum Abschluss gebracht? Auch Stamp nicht, der nun schon 18 Monate genau | |
dafür im Amt ist? | |
## 43 Millionen Flüchtlinge afrikaweit | |
Die Antwort ist, dass viele Regierungen Afrikas der Ansicht sind, schon | |
genug Flüchtlinge aufzunehmen – 43 Millionen sind es afrikaweit. Sie halten | |
die europäischen Auslagerungswünsche für kolonialistisch und fürchten, dass | |
so langfristig immer mehr Menschen bei ihnen hängen bleiben. | |
Es ist auch eine Frage von Souveränität – und von alten offenen Rechnungen. | |
Wenn die Union nun glaubt, die Afrikaner schon irgendwie weichklopfen zu | |
können, ignoriert sie, was auf dem Kontinent passiert. Das [3][Wall Street | |
Journal etwa schrieb im Mai hellsichtig, dass der Westen den Kontinent „an | |
Putins Russland verliert“.] Der Westen werde „vom Kontinent verdrängt“. | |
Europas Wünsche werden entsprechend zunehmend zurückhaltend behandelt. Der | |
CDU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei will mit Ghana und Senegal | |
verhandeln. Doch auch Senegals neuer Präsident Bassirou Diomaye Faye gewann | |
die Wahl im März mit einer spürbar souveräneren Rhetorik. So werden | |
Aufnahmeplätze für Flüchtlinge aus Europa allenfalls noch zu astronomischen | |
Preisen verkauft – bei wachsender Erpressbarkeit. | |
## Absurdes Beispiel Großbritannien | |
Großbritannien musste Ruanda 370 Millionen Pfund Entwicklungshilfe | |
versprechen, dazu weitere 120 Millionen Pfund, sobald die ersten 300 (!) | |
Menschen umgesiedelt werden. Dazu überweist London bis zu 171.000 Pfund pro | |
umgesiedelter Person, um diese für zunächst fünf Jahre zu versorgen. | |
[4][Bis April 2024 sollen bereits 290 Millionen Pfund geflossen sein, | |
obwohl noch kein einziger Flüchtling nach Kigali kam.] | |
Es ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne weitere Länder sich darauf | |
einlassen könnten, für ähnliche Beträge eine überschaubare, vierstellige | |
Zahl an Menschen aus Deutschland aufzunehmen. Ausgeschlossen aber ist, dass | |
sich diese Bereitschaft auch in Größenordnungen erkaufen lässt, die die | |
deutschen Kommunen spürbar entlasten würden – also im mindestens | |
fünfstelligen Bereich, über Jahre. Dabei brauchen die Kommunen wirklich | |
Entlastung: Geld und Personal für Bildung, Integration, Sozialleistungen, | |
Wohnen. Teure Scheinlösungen in Afrika lenken davon ab. | |
21 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/ministerpraesidentenkonferenz-… | |
[2] /Asylverfahren-in-Drittstaaten/!6014711 | |
[3] https://www.wsj.com/articles/lose-africa-democracy-security-russia-putin-36… | |
[4] /Britischer-Asyl-Deal/!6003455 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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