# taz.de -- Am 15. Juni ist wieder Marzahn Pride: Regenbogen im braunen Kiez | |
> Mit dem ersten Queer-Beirat Berlins ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf | |
> Vorreiter bei queerpolitischen Belangen. Mehr Budget für Stellen und | |
> Beratung. | |
Bild: Das war der 4. Marzahn Pride im letzten Jahr, die fünfte Ausgabe finde… | |
BERLIN taz | Das sind doch mal gute Nachrichten, die sich unter dem | |
Tagesordnungspunkt 2 „Bericht aus dem Bezirksamt“ verstecken. Gordon Lemm | |
(SPD) ist Gast auf der Sitzung des [1][Queer-Beirats Marzahn-Hellersdorf]. | |
Der Bezirksstadtrat für Jugend, Familie und Gesundheit (und ehemalige | |
Bezirksbürgermeister) kann unter anderem verkünden, dass Vanessa Krah, die | |
Queerbeauftragte des Bezirks, ab Anfang Januar nächsten Jahres personelle | |
Unterstützung mit einer halben Stelle bekommt. Das 16-köpfige Gremium nimmt | |
diese News wohlwollend auf. | |
„Damit wären wir dann der personell bestausgestattete Bezirk, was das Thema | |
Queer angeht“, sagt Lemm. Auch weil Krah – seit zwei Jahren [2][Beauftragte | |
für „Queer, Städtepartnerschaften und freiwilliges Engagement“] – ihren… | |
als Queerbeauftragte demnächst zu 100 Prozent ausüben kann. Und nicht wie | |
bisher nur zu 60 Prozent. | |
Damit hat sie zum Beispiel mehr Zeit für den Queer-Beirat. Das ist ein vom | |
Bezirksamt berufenes Gremium, das selbständig und unabhängig arbeitet. Auch | |
hier war der Bezirk Vorreiter: Es handelte sich mit Gründung im März 2023 | |
um den ersten bezirklichen Beirat dieser Art in Berlin. | |
Der Queer-Beirat versteht sich als überparteilich und vertritt die | |
Interessen von LSBTIQ* im Bezirk und steht dem Bezirksamt beratend zur | |
Seite. „Wir behandeln Themen, planen gemeinsam Veranstaltungen, | |
koordinieren Termine, versuchen uns in die Geschicke von Bezirksamt und BVV | |
einzumischen“, sagt Vanessa Krah. Und wenn dort etwas passiert, was dem | |
Beirat nicht gefällt, kommt „ein böser Brief“ mit einer Stellungnahme. | |
„Viel mehr als das gibt es dann auch nicht“, räumt Krah ein, „es gibt | |
unsererseits keine Sanktionsmöglichkeiten.“ | |
## Die Vielfalt der queeren Gemeinschaft | |
Trotzdem ist Krah froh, dass es den Beirat „mit den wichtigsten queeren | |
Akteur:innen des Bezirks und den verschiedenen Perspektiven“ gibt. | |
Schließlich könne sie als einzelne Person ja nicht die gesamte Vielfalt der | |
queeren Gemeinschaft abbilden. „Es ist eine der ersten Maßnahmen, die ich | |
umsetzen konnte.“ | |
Im Beirat arbeiten queere Vertreter:innen von Vereinen und | |
Organisationen wie Maneo oder [3][Lesben* Leben Familie (LesLeFam)], von | |
LSU, SPD queer, LSVD, von Jugendfreizeiteinrichtungen und dem | |
Stadtteilzentrum sowie engagierte Einzelpersonen zusammen. Außerdem kann | |
jede Fraktion der BVV einen Gast entsenden – wenn auch ohne Stimmrecht. | |
„Dieser Draht in die Fraktionen ist von Vorteil“, sagt Krah. | |
„Seit Vanessa Krah im Amt ist, ist das Thema deutlich präsenter“, findet | |
Bezirksstadtrat Gordon Lemm. Es geht ums Netzwerken und darum, Themen in | |
die Öffentlichkeit zu bringen. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu | |
schaffen, dass es in Marzahn-Hellersdorf auch jenseits des Marzahn Prides | |
eine Community gibt, die gesehen werden möchte, die Rechte einfordert. | |
Eines der größten Projekte der Queerbeauftragten ist es, für eine | |
Verbesserung der Beratungs- und Angebotsstruktur im Bezirk zu sorgen. „Wir | |
haben bisher eigentlich fast gar keine professionellen Hilfsangebote für | |
queere Menschen“, sagt Krah. Egal, ob zum Thema Outing, Regenbogenfamilie | |
oder ältere queere Mitbürger:innen. | |
## Budget der Queerbeauftragten erhöht | |
Trotz Kürzungen in vielen Bereichen wurde das Budget der Queerbeauftragten | |
sogar erhöht: Waren es zu Beginn noch 20.000 Euro jährlich für Zuwendungen | |
an Träger, sind es jetzt 50.000 Euro. Das liegt auch daran, dass es zum | |
Zeitpunkt des Beschlusses über die Budgeterhöhung noch eine rot-rot-grüne | |
Mehrheit in der BVV gab, erklärt Lemm. Mittlerweile ist der Bezirk von der | |
CDU regiert. | |
Mit dem Geld will Krah unter anderem eine Beratungsstelle für | |
Regenbogenfamilien und queere Kinder und Jugendliche gründen. „Wir hoffen, | |
noch in diesem Jahr einen Träger zu finden“, sagt sie. Die Beratungsstelle | |
soll mit einem Büro an das Familienzentrum des DRK andocken. | |
Zurück zur Sitzung des Queer-Beirats: In den gut zwei Stunden geht es unter | |
anderem um die Veranstaltungen im Pride Sommer. Allein in der Pride Week im | |
Vorfeld des Marzahn Prides am 15. Juni – dem Höhepunkt – finden gut ein | |
Dutzend Veranstaltungen statt, die Krah der Runde vorstellt. Ein Ausflug | |
mit Picknick in die bekannten „Gärten der Welt“ ist genauso dabei wie eine | |
Lesung divers erzählter Kinderbücher und Workshops, Filmabende oder | |
Fortbildungen für Führungskräfte im Bezirksamt. | |
„Viele Einrichtungen machen mit“, sagt Krah. „Das zeigt, wie engagiert die | |
queere Gemeinde ist, und dass das Thema angekommen ist.“ Es geht um | |
Sichtbarkeit und Akzeptanz von queeren Lebensentwürfen – auch | |
Marzahn-Hellersdorf ist ein „Ort der Vielfalt“. | |
## Damit die Zuständigkeiten klar sind | |
In der Sitzung des Queer-Beirates geht es mitunter kleinteilig zu, damit | |
die Zuständigkeiten klar sind, damit alle eingebunden werden: Welche Stände | |
wird es beim Marzahn Pride geben, wo kommen die nötigen Finanzen her und | |
wer kennt einen tollen Musikact, den man für das Bühnenprogramm anfragen | |
könnte? Aus der Runde wirft jemand den Namen der Newcomerin Cloudy June in | |
die Runde, weitere Tipps folgen … | |
Kleine Überraschung: Der Marzahn Pride wird eine neue Route nehmen, es geht | |
die lange Allee der Kosmonauten entlang „an einer Jugendeinrichtung und an | |
einer russisch-orthodoxen Kirche vorbei. Das wird spannend“, sagt Christine | |
Shneydin vom Verein Quarteera, der den Marzahn Pride organisiert. | |
Auch Nora Heim ist Teil des Queer-Beirats. Die Aktivistin hat die | |
[4][„Queere Begegnung“] erfunden, ein niedrigschwelliges Angebot für einen | |
lockeren Austausch, und Unternehmungen aller Art in Marzahn-Hellersdorf – | |
auf ehrenamtlicher Basis. „Ich will einen sicheren Raum bieten“, erklärt | |
Heim. „Hier können sich queere Personen treffen, sei es zum Vernetzen, zum | |
Probleme besprechen oder auch, um ihr eigenes Ding zu machen.“ Mal werden | |
Filme geschaut, mal eine Veranstaltung besucht, einmal im Monat, immer an | |
einem Samstag. Im Moment kommen im Schnitt zehn Leute, manchmal weniger, | |
manchmal auch zwanzig, sagt Heim, die an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) | |
Soziale Arbeit studiert und im Bezirk wohnt. | |
Zur ASH gibt es gute Kontakte, sagt die Queerbeauftragte Krah. Aus dem | |
[5][Frauen- und Gleichstellungsbüro] ist jemand beim Queer-Beirat dabei. | |
Und es gibt das Queer-Referat, mit dem sie in Kontakt sind. „Ein Problem | |
ist, dass die meisten Studierenden nicht in Marzahn-Hellersdorf wohnen“, | |
sagt Krah. Sie hat aber das Gefühl, dass sich das ändert: „Immer mehr | |
Studierende siedeln sich im Bezirk an, weil die Mieten im Innenstadtring | |
immer höher werden.“ | |
## Bezirk lädt nicht zum Verweilen ein | |
Nora Heim sieht noch ein weiteres Problem des Bezirks: „Es gibt keine | |
entspannte Atmosphäre durch nette Cafés und dergleichen. Der Bezirk lädt | |
nicht zum Verweilen ein.“ Ein weiteres Dilemma kommt hinzu: „Wie offen und | |
frei können wir uns hier zeigen?“, fragt Heim und nennt ein simples | |
Beispiel: Eine Regenbogenfahne aufhängen. | |
„Macht man das mit einer kleinen oder einer großen Fahne? Je größer du das | |
machst, um so mehr Angriffsfläche bietest du, um so verletzlicher machst du | |
dich.“ Queere Treffpunkte sollen geschützte Räume sein. „Deshalb muss man | |
überlegen, wie offen man so einen Treff in den Kiez hineinkommuniziert und | |
zugleich, wie man sich schützt.“ | |
Was die Angreifbarkeit betrifft, blickt Bezirksstadtrat Gordon Lemm besorgt | |
auf die Wahlen im kommenden Jahr. „Wir haben im Bezirk politische Kräfte, | |
insbesondere die AfD, die die Arbeit der Queerbeauftragten fundamental | |
kritisch begleitet“, sagt Lemm. „Die AfD ist sehr stark in | |
Marzahn-Hellersdorf und es gibt Befürchtungen, dass sie bei den nächsten | |
Wahlen zur stärksten Kraft werden könnte.“ | |
Nicht unbegründet: Bei der Europawahl holte die AfD hier 25,3 Prozent. „Es | |
gibt immer mal wieder Anfeindungen, wo die Arbeit der Queerbeauftragten als | |
Verschwendung von Steuergeldern oder als links-grün-versiffter Quatsch | |
diskreditiert wird.“ Das müsse man im Blick haben, um die Akteur:innen | |
zu schützen. „Das ist leider auch Teil der Wahrheit bei uns im Bezirk.“ | |
## Mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit | |
Der Queer-Beirat Marzahn-Hellersdorf will öffentlich mehr in Erscheinung | |
treten. In ein bis zwei Monaten soll es ein Fallblatt geben, das das | |
Gremium und seine Anliegen vorstellt. Auch eine Onlinepräsenz mit den Namen | |
und Fotos aller Beiratsmitglieder:innen ist angedacht. | |
Gefragt, was sich die Queerbeauftragte für die Zukunft wünschen würde, | |
antwortete sie: „Einerseits mehr Finanzen für eine bessere Infrastruktur, | |
andererseits fände ich es toll, mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit zu | |
haben, denn dieser Aspekt fällt schnell hinten runter.“ Krah hat jährlich | |
lediglich 1.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. | |
Dabei würde sie gerne eine Plakatkampagne im Bezirk machen, mit der sie | |
Menschen für das Thema sensibilisieren möchte. „Menschen, die nicht in | |
meinem Einflussbereich leben, die ich nicht auf den queeren Veranstaltungen | |
treffe, die jenseits meiner Blase leben.“ Und so eine Kampagne könnte ja | |
theoretisch auch eine berlinweite Kampagne sein. „Ohne Moralkeule, dafür | |
mit Witz.“ | |
14 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/beauftr… | |
[2] https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/beauftr… | |
[3] https://leslefam.de/ | |
[4] https://www.instagram.com/queere_begegnung/ | |
[5] https://www.ash-berlin.eu/hochschule/organisation/frauenbeauftragte/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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