# taz.de -- 6. Marzahn Pride: „Wir gehören hier hin“ | |
> Der Verein Quarteera organisiert am 21. Juni die Marzahn Pride. | |
> Koordinator Adam Baas benennt die Probleme der queeren Community im Osten | |
> Berlins. | |
Bild: Stolz und Platte: Auf der Marzahn Pride im vergangenen Jahr | |
taz: Herr Baas, [1][am 21. Juni findet die 6. Marzahn Pride statt]. Bei der | |
Bundestagswahl Anfang des Jahres wurde die AfD in Marzahn-Hellersdorf | |
stärkste Kraft. Wie ist die Situation für queere Menschen im Bezirk? | |
Adam Baas: Marzahn Pride ist sehr wichtig, in diesen Zeiten mehr denn je. | |
Und es ist mehr als nur ein Fest, es ist eine politische Handlung. Ein Akt | |
der Sichtbarkeit für unsere Community und ein klares Zeichen dafür, dass | |
queere Menschen überall sind, nicht nur in Kreuzkölln. Und dass wir hier | |
hingehören. Dieses Jahr ist die Bedrohungslage jedoch besonders hoch. Die | |
rechtsextreme „Deutsche Jugend Voran“ hat eine Gegendemo angemeldet, an der | |
300 Personen teilnehmen sollen. Unser Team kümmert sich deshalb intensiv um | |
Maßnahmen, damit alle Teilnehmer:innen der Marzahn Pride sicher sind. | |
taz: Haben Sie [2][bereits in der Vergangenheit] Anfeindungen erlebt? | |
Baas: Im letzten Jahr gab es Vorfälle, bei denen sich Gruppen aggressiv | |
verhielten und versuchten, Teilnehmende einzuschüchtern. Glücklicherweise | |
kam es zu keinen ernsthaften Zwischenfällen. Es gab aber auch schon bei | |
vergangenen Umzügen Fälle von Provokationen, zum Beispiel versuchten | |
Personen, die Teilnehmenden mit Eiern zu bewerfen, und schon am Vortag der | |
Demo wurden rechtsextreme Aufkleber entlang der veröffentlichten Route | |
angebracht. In diesem Jahr bereiten wir uns aufgrund der aktuellen | |
politischen Lage besonders sorgfältig vor. Wir hoffen auf einen friedlichen | |
Ablauf, treffen aber zugleich alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen. | |
taz: Wie wichtig ist Marzahn Pride für den Bezirk? | |
Baas: Sehr. Es geht nicht nur um ein schönes Fest, bei dem alle | |
vorbeikommen und eine gute Zeit zusammen haben. Es ist ein Protest, bei dem | |
es um Sichtbarkeit, Solidarität und Vielfalt geht. In Marzahn-Hellersdorf | |
leben viele Menschen aus der OKZ (Osteuropa, Kaukasus, Zentralasien), | |
einige in prekären Lebenslagen. Hier kommen also viele Lebensrealitäten | |
zusammen. Für uns als russischsprachige Community ist die Veranstaltung | |
wirklich wichtig. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, ich zum Beispiel | |
aus der Ukraine, und diese Dinge können einige von uns in unseren Ländern | |
nicht machen, diese Freiheit und Selbstbestimmung haben wir nicht alle. Mit | |
der Pride können wir mehrfach marginalisierte Menschen stärken und uns für | |
demokratische Werte einsetzen. Die Veranstaltung ist für uns eine Antwort | |
auf die politischen Verhältnisse. | |
taz: Werden Sie vom Bezirk unterstützt? | |
Baas: Ja, vor allem finanziell. Es gibt auch logistische Unterstützung bei | |
der Veranstaltung. Das reicht aber nicht. Was fehlt, ist eine langfristige | |
Strategie. Es gibt im Bezirk keinen festen queeren Treffpunkt, | |
Projektförderungen sind instabil, es gibt keine Planungssicherheit und | |
keine systematischen Schutzstrategien für queere Menschen im öffentlichen | |
Raum. Und es fehlt einfach an Personal. Was wir brauchen sind strukturelle | |
Veränderungen, klare Positionierungen und einen handlungsfähigen Bezirk, | |
der queere Menschen unterstützt. Uns fehlen auch klare, offizielle | |
Empfehlungen zum Schutz unserer Teams und Räume vor Gewalt. | |
taz: Was bedeutet das? | |
Baas: Bei einem kürzlichen Runden Tisch zum Thema queerfeindliche Gewalt | |
haben viele Organisationen gesagt, dass sie bislang improvisieren müssen. | |
Es wäre sehr hilfreich, wenn Institutionen wie die Polizei oder das LKA | |
Schritt-für-Schritt-Leitfäden für den Schutz von Mitarbeitenden, | |
Besucher:innen und Räumen bereitstellen würden. | |
taz: Quarteera setzt sich für die Sichtbarkeit queerer russischsprachiger | |
Menschen ein. Der Bezirk hat eine sehr große russischstämmige Community. | |
Welche Rolle spielt sie im Bezirk? | |
Baas: Ich wohne schon seit Jahren in Marzahn. Hier gibt es viele Geschäfte | |
und Supermärkte mit Waren aus dem Osten, in denen auch ich einkaufen gehe. | |
Und wenn man spazieren geht, hört man sehr oft Russisch oder andere | |
slawische Sprachen. Die Leute kommen natürlich nicht nur aus Russland, | |
sondern aus allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion oder Jugoslawien. Seit | |
dem Beginn des russischen Angriffskrieges sind es noch mehr geworden. Es | |
gibt auch eine spürbare Präsenz asiatischer Gemeinschaften, es ist ein sehr | |
vielfältiger Bezirk. | |
taz: Wie wird Quarteeras Arbeit in der russischsprachigen Community | |
wahrgenommen? | |
Baas: Einerseits kriegen wir viel Zuspruch queerer Menschen. Gerade von | |
jungen Leuten, Transpersonen oder queeren Geflüchteten. Andererseits | |
erleben wir auch Widerstand, Ablehnung und auch Schweigen, insbesondere von | |
Konservativen. Das macht unsere Arbeit so wichtig. In postsowjetischen | |
Communitys ist das Thema queere Identität nach wie vor sensibel und wird | |
oft tabuisiert. Genau da setzen wir an. Wir wollen Brücken bauen statt | |
Mauern. In unsere Räume können alle kommen, unsere Veranstaltungen | |
versuchen wir mehrsprachig zu machen. Aufgrund begrenzter Kapazitäten in | |
der Vergangenheit war unser Community Zentrum nicht so aktiv. Jetzt haben | |
wir schon mehrere Veranstaltungen geplant. Wir planen auch Projekte zum | |
kulturellen Austausch mit unseren Nachbarn im Kiez, unabhängig von ihrer | |
kulturellen und sprachlichen Herkunft. | |
taz: Was steht dieses Jahr auf dem Programm? | |
Baas: In diesem Jahr ist es wegen der politischen Lage natürlich ein | |
bisschen anders, aber wir wollen uns weiter für Sichtbarkeit an einem Ort | |
einsetzen, an dem queeres Leben oft unsichtbar ist. Ansonsten gibt es | |
Konzerte, Reden, Party. Unser Motto dieses Jahr ist: Wir sind verschieden, | |
wir stehen zusammen. Das Leben ist nicht schwarz-weiß, wir sind nicht alle | |
gleich, zum Beispiel sind auch unsere Mitarbeiter:innen verschieden. | |
Aber wir sind alle zusammen. Uns geht es um Akzeptanz und Frieden. | |
taz: Wird der Krieg in der Ukraine eine Rolle spielen? | |
Baas: Pride ist ein politischer Akt. Seit Anfang des Krieges 2022 haben wir | |
immer wieder ukrainische Künstler:innen eingeladen. Ich komme aus der | |
Ostukraine, aus Charkiw. Ich musste mein Leben dort zurücklassen – mein | |
Zuhause, meine Arbeit, meine Freund:innen. Diese Unsicherheit wurde durch | |
den russischen Angriffskrieg ausgelöst, und sie begleitet mich bis heute. | |
Aber die Perspektiven sind unterschiedlich. Dass ich hier in Berlin jetzt | |
diesen Frieden und diese Freiheit genieße, ist ein Privileg. Auch viele | |
russische Aktivist:innen oder Dissident:innen haben ihr Zuhause, | |
ihre Familie oder ihre Stabilität durch staatliche Repression und | |
politische Verfolgung verloren. Auch in Russland sind die Perspektiven | |
unterschiedlich. Quarteera tritt gegen Kriege und Repression ein, wo immer | |
sie stattfinden, und unterstützt Menschen, die sich für Menschenrechte und | |
demokratische Werte einsetzen: in Russland, der Ukraine, Georgien, | |
Kirgisistan oder anderswo. | |
15 Jun 2025 | |
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[1] https://www.marzahn-pride.de/de/ | |
[2] /Am-15-Juni-ist-wieder-Marzahn-Pride/!6013663 | |
## AUTOREN | |
Marco Fründt | |
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