# taz.de -- Macron auf Staatsbesuch in Deutschland: Es gibt viel zu besprechen | |
> Am Sonntag trifft Frankreichs Präsident Macron zum Staatsbesuch in Berlin | |
> ein. Bei der Ukraine und anderen europäischen Fragen knirscht es. | |
Bild: Ein etwas verkrampftes Verhältnis: Macron und Scholz bei einem Arbeitstr… | |
Schon vor einem Jahr wurde Emmanuel Macron in Deutschland erwartet. Vom 2. | |
bis 4. Juli 2023 war er für einen Staatsbesuch angekündigt. Doch damals | |
musste er seine Reise kurzfristig verschieben: der Tod eines Jugendlichen | |
im Pariser Vorort Nanterre hatte schwere Unruhen ausgelöst. Ein Polizist | |
hatte den 17-jährigen Nahel unter ungeklärten Umständen erschossen. Das | |
führe zu einer Welle von Krawallen in zahlreichen Städten und Vorstädten – | |
der Präsident wurde zu Hause als Krisenmanager gebraucht. | |
Auch heute hätte er guten Grund, seinen Besuch noch einmal zu vertagen. | |
Statt nach Berlin zu fliegen, könnte er seinen wenig erfolgreichen | |
[1][Kurzbesuch in Neukaledonien] verlängern. Dort hatte er versucht, die | |
schwere innenpolitische Krise beizulegen, die er selber mit einer | |
ungelegenen Wahlrechtsreform für den Archipel im Südpazifik provoziert | |
hatte. | |
Doch Nouméa ist nicht Nanterre, es ist nicht nur geografisch weiter von der | |
französischen Hauptstadt entfernt. Oder aber, Macron ist nach einer | |
fruchtlosen Gesprächsrunde in Neukaledonien ernüchtert. Seine Chancen, | |
zusätzlich etwas zu Beruhigung im französischen Überseegebiet beitragen zu | |
können, dürften eher gering sein. Am Samstag hat Frankreich wegen der | |
anhaltenden schweren Unruhen in dem Überseegebiet damit begonnen, | |
französische Touristen zu evakuieren. | |
## Mit Jetlag und Sorgen aus Neukaledonien | |
Die Gastgeber in Berlin, Dresden, Münster und Meseberg müssen sich deshalb | |
nicht wundern, wenn Macron im Verlauf der kommenden Tagen auf seinem Handy | |
Fernanrufe aus dem 17'000 Kilometer entfernten Krisenherd erhält. Wegen | |
demografischen Spätfolgen des Kolonialismus steht Neukaledonien am Rand | |
eines Bürgerkriegs zwischen der minoritär gewordenen indigenen Bevölkerung, | |
den Kanak, und den später aus Europa zugereisten „Caldoches“. Wenn Macron | |
am Sonntagnachmittag in Begleitung seiner Ehefrau Brigitte in Berlin | |
landet, bringt er, der eben noch auf dem langen Rückflug aus Nouméa war, | |
nicht nur zusätzliche Sorgenfalten wegen der andauernden Krise auf der | |
anderen Seite des Erdballs mit – sondern auch einen gehörigen Jetlag. | |
Die Europapolitik und die Partnerschaft mit Deutschland haben jedoch eine | |
absolute Priorität, so dass sie sich nicht ein zweites Mal aus | |
innenpolitischen Erwägungen hintan stellen lassen. Die kommenden Wahlen des | |
EU-Parlaments diktieren zudem die Aktualität in der Agenda des französische | |
Staatspräsidenten. Zunächst wird er in Berlin von seinem Amtskollegen | |
Frank-Walter Steinmeier empfangen und absolviert ein Besuchtsprogramm in | |
der Hauptstadt. In Berlin werden beide Staatsoberhäupter den | |
deutsch-französischen Sportsommer einläuten, der von der Fußball-EM in | |
Deutschland und den Olympischen Spielen in Paris geprägt ist. | |
Erst am dritten Tag trifft er in Meseberg vor einer gemeinsamen | |
Ministerratssitzung am Mittwochabend Bundeskanzler Olaf Scholz. Dazwischen | |
macht er in Dresden und Münster Station. In Dresden will Macron vor der | |
Frauenkirche eine weitere europapolitische Rede halten, an die Jugend | |
gerichtet – möglicherweise aber auch an die osteuropäischen Partner | |
Tschechien und Polen. Sie sorgen sich, die nächsten Opfer der | |
Expansionspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin werden könnten. | |
In Münster soll Macron der Internationale Preis des Westfälischen Friedens | |
verliehen werde. Dabei wird Steinmeier die Laudatio halten. | |
## Ernste Diskussionen erst am Dienstag | |
An den ersten beiden Tagen seines Staatsbesuchts kann Macron die | |
historische Freundschaft mit Deutschland feiern. Dann stehen für ihn mit | |
Scholz ernste Diskussionen über echte Meinungsverschiedenheiten an. Denn in | |
der Analyse laufender Konflikte, in der Strategie der transatlantischen | |
Beziehungen oder auch wegen der Rolle der Kernenergie in der Energiewende | |
gibt es Differenzen. | |
Im Ukraine-Konflikt überraschte Macron zuletzt mit Überlegungen, | |
Bodentruppen zu entsenden – ein Gedanke, den Scholz kategorisch ablehnt. | |
[2][Scholz lehnt es auch ab, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu | |
liefern], während Frankreich schon länger Scalp-Raketen bereit stellt. | |
Dafür zahlt Deutschland den weitaus größeren Anteil der Ukraine-Hilfe. | |
Macron möchte die Wirtschaft stärker vor Konkurrenz aus China und den USA | |
schützen. Scholz dagegen hält an Deutschlands wichtigen Handelspartner | |
China fest. [3][Chinas Präsident Xi Jinping besuchte auf seiner großen | |
Europa-Reise im Mai diesen Jahres allerdings Paris] – und nicht Berlin. | |
Im April, kurz zuvor, hielt Macron an der in der Pariser | |
Sorbonne-Universität seine zweite Grundsatzrede zur „Souveränität Europas�… | |
Mit der ersten Rede am gleichen Ort hatte er 2017 für Aufsehen gesorgt. | |
Seitdem hat sich das politische Umfeld durch den Krieg in der Ukraine | |
drastisch verändert. Doch noch immer erhofft sich Macron von Deutschland | |
mehr Unterstützung für sein [4][Konzept einer verstärkten europäischen | |
Eigenständigkeit] in der Verteidigungspolitik, inklusive atomarem | |
Schutzschild, und gemeinsamen Investitionen in die Rüstung und in andere | |
Industriesektoren von strategischer Bedeutung, etwa Energie, Pharmazeutik | |
und Nahrung. In Paris hatte man den Eindruck, dass diese drängenden | |
Vorschläge in Berlin eher auf höfliches Desinteresse gestoßen sind – die | |
Deutschen haben Angst, ihre nordamerikanischen Schutzherren zu verdrießen, | |
glaubt man. | |
## Dramatische Wortwahl | |
Macron wird im Rahmen seines Besuch sicher nachlegen wollen – wenn nötig | |
mit jener Dramatik, die er im April an der Sorbonne an den Tage legte. | |
„Unser Europa kann sterben“ – dieser Satz aus seiner Rede wurde am meisten | |
zitiert. [5][„Europa ist nicht unsterblich!]“, das sagte er dort. In | |
Deutschland dürfte er hinzufügen, dass angesichts einer drohenden Rückkehr | |
von Donald Trump ins Weiße Haus auch der Schutzschirm der NATO, und | |
insbesondere der USA, für Europa nicht auf ewig garantiert ist. | |
Jacques Chirac war der letzte französische Präsident, der zu einem | |
dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kam, er traf dort den damaligen | |
Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das war vor 24 Jahren. Anders als bei den | |
üblichen Arbeitsbesuchen, zu denen auch Macron schon öfters in Berlin war, | |
gelten bei einem Staatsbesuch andere protokollarische Regeln. | |
## Scholz und Macron brauchen sich | |
Doch nicht nur die historische und politische Lage war damals anders, | |
sondern auch die Stimmung die Ambiance. Vor der offiziellen Visite trafen | |
sich die beiden Ehepaare Chirac und Schröder zu einem freundschaftlichen | |
Privatbesuch. Jacques Chirac und Gerhard Schröder bildeten das letzte | |
deutsch-französische Tandem, nach dem Vorbild der fast legendär gewordenen | |
Gespanne Adenauer & De Gaulle, Giscard d’Estaing & Schmidt und Mitterrand & | |
Kohl. | |
Marcrons Verhältnis zu Merkel verbesserte sich im Laufe der Zeit: zum | |
Abschied bereitete er ihr einen herzlichen Abschied, mit Umarmungen, | |
Jubelparaden im Burgund und dem Großkreuz der Ehrenlegion, dem höchsten | |
Preis Frankreichs zog er alle Register seines Charmes. Mit Scholz pflegt | |
Macron einen kumpelhaften Umgangston. Dieser täuscht aber nicht darüber | |
hinweg, dass er von der spröden Herzlichkeit – und erst recht von der | |
mangelnden Begeisterung des deutschen Kanzlers für seine Vision der Zukunft | |
Europas – enttäuscht ist. | |
Der sehr formelle Rahmen eines Staatsbesuchs erlaubt es vielleicht, dies zu | |
überspielen und die Differenzen und bilateralen Fragen mit der nötigen | |
nüchternen Sachlichkeit anzugehen. Die ist auch angesagt, denn Scholz und | |
Macron brauchen sich: wie die Zeitung Le Monde erwähnt, treffen sich mit | |
Macron und Scholz zwei Politiker, die in ihren eigenen Länder jeweils | |
geschwächt dastehen. Gemeinsam wollen sie nun versuchen, den „Motor“ der EU | |
wieder in Gang zu bringen – und sich selbst dabei ein bisschen | |
gegenseitigen Auftrieb zu geben. (Mitarbeit Daniel Bax) | |
26 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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