Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fußball-Bühnenstück in Hannover: Belanglose Fußball-EM-Werbung
> Am Schauspiel Hannover kommt mit „Unsere Elf“ eine „etwas andere
> Nationalhymne“ auf die Bühne. Aber alles bleibt zu sehr im Anekdotischen.
Bild: Schwarz-rot-goldener Tüddel überall: Geht das oder nicht?
Wie Einpeitscher flankiert das Ensemble die Zuschauer:innen, klatscht
rhythmisch, grölt „Deutschland!“ und beginnt die Nationalhymne zu singen.
Und am Ende der Sequenz die Frage: „Das geht nicht, oder?“
Das unprätentiöse Deutschlandgefühl scheint seit der
[1][Fußball-Weltmeisterschaft 2006] ja wieder gesellschaftsfähig und
begehrt derzeit erneut rumorend auf. Für die karnevaleske Note obsessiver
Fußballlust starten auch wieder Vorbereitungen, um Eigenheime, Autos und
Körper mit schwarz-rot-goldenem Tüddel zu kostümieren.
Denn [2][am 14. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft]. Andererseits
möchten natürlich nur wenige in den Verdacht kommen,
deutsch-chauvinistische AfDler zu sein, gruppendynamisch aufgepumpt
schlechtes Benehmen gutzuheißen oder Fußball als eine der letzten Oasen
männlicher Selbstverwirklichung feiern zu wollen.
Um das Gefühl von Masse und Euphorie also nicht den Rechtsaußen zu
überlassen und Vorfreude auf das brachial vermarktete Sportereignis zu
schüren, hat der Bund 13,2 Millionen Euro für ein bundesweites
Kulturprogramm bereitgestellt, aber mal nicht die üblichen Lasershows,
Public-Viewing-Aufläufe oder schlagerseligen Popkonzerte organisiert.
Vielmehr reisen nun Fußballfilme auch durch norddeutsche Kinos.
## Fußballoper mit Bundesförderung
Das Hamburger Opernloft entwickelt eine „Fußballoper“. Die Kunsthalle
Hannover nimmt mit der Ausstellung „Myth of Normal“ das Verhältnis von
Körper und Gesellschaft in den Blick. Das Theater Bremen beleuchtet in „No
rain“ die Gesangskultur von Zuschauermengen. Und das Schauspiel Hannover
bringt „Unsere Elf“ zur Uraufführung, das mit der oben beschriebenen Szene
beginnt.
Natürlich ist das 22-beinige Team des [3][Recherchetheaters von Tuğsal
Moğul] mit Fußballtrikots kostümiert und spielt auf einer
Fußballplatzbühne. Entwicklungen der deutschen Nachkriegsgeschichte möchte
der Autor/Regisseur in Erzählungen rund um die deutsche Nationalmannschaft
spiegeln. Denn sie ermöglicht Identifikation und kann zum Stolz vieler
Bürger:innen werden, weil sie eben die Nation irgendwie abbildet, also
auch zunehmend divers aufgestellt ist.
Dramatisches Futter liefern Interviews, die [4][Moğul] mit
Nationalspieler:innen von einst und jetzt geführt hat. Monologisch
erspielt sich das Ensemble die Ausführungen in liebevoll zart-ironischer
Art. Zwischendurch wird kurz mal beiläufig gesungen oder Klapping getanzt:
eine Choreografie aus Street Dance und typischen Kicker-Moves. Sieht aus
wie Training ohne Ball. Hübsch sportiv.
Und was ist zwei Theater-Halbzeiten lang zu erfahren? Schnellsprecher
Christof Kramer erinnert sich an seinen Knock-out im WM-Finale 2014 und der
aufbrausende DDR-Trainer Ede Geyer berichtet über Fußball in Zeiten der
Wende.
Die Spielerin und Trainerin Silvia Neid widmet sich dem harten Kampf um die
Anerkennung des Frauenfußballs und der erste deutsche PoC-Nationalspieler
Erwin Kostedde spricht über seine Rassismus-Erfahrungen, während Felix
Magath nur noch mal seine beleidigte Eitelkeit kundtut, vom Coach Franz
Beckenbauer beim WM-Finale 1986 ausgewechselt worden zu sein.
Wohl jeder Fußballfan kennt diese Geschichten. Auch all die erwähnten
Rituale – der eine Fußballer zieht sich immer den rechten Schuh zuerst an,
der andere wechselt Unterhosen nur nach Niederlagen. Auch bekannte
Chauvi-Sprüche und ausländerfeindliche Gesänge werden in Hannover zu Gehör
gebracht.
Zusätzlich gibt es Anspielungen auf kürzlich geführte Diskurse: Hätten alle
die [5][One-love-Binde bei der gekauften Advent-WM in Katar] tragen müssen?
Aber all das einfach nur zu erwähnen, ist keine hochkulturelle Beleuchtung
des Fußballs oder fußballerische Erkundung gesellschaftlicher
Veränderungen.
Leider wird es mit der Bebilderung nicht besser. Als der
Deniz-Aytekin-Darsteller übers strebsame Hocharbeiten als Gastarbeiterkind
zum allseits anerkannten Bundesligaschiedsrichter plaudert – wird er mit
Plastikbierflaschen und Beschimpfungen beworfen sowie von einem
Fackelträger bedroht. Das Theater hat keine Auseinandersetzung mit
konfliktbehafteten Herkunftsgeschichten und gebrochenen Identitäten
hinzuzufügen.
## Sommermärchen und NSU
Und so ist es konsequent, dass zur Erinnerung an die
EM-Sommermärchen-Inszenierung 2006 zwar erwähnt wird, „zu diesem Zeitpunkt
mordet der NSU bereits seit sechs Jahren wahllos Migranten“ – dann aber
nichts als der nächste Themenwechsel folgt. Alles bleibt im Anekdotischen.
Da Fußball nicht nur die schlimmsten, auch die besten Eigenschaften zum
Vorschein bringen kann, die in Menschen schlummern, stellt sich das
Ensemble final zum Mannschaftsfoto auf und behauptet die vereinende Kraft
des Sports als sozial grenzübergreifendes Gemeinschaftserlebnis. Moralisch
ist das vorbildlich, als Werbeveranstaltung für die EM okay, als
Theaterabend zum nostalgischen Abnicken nett, aber inhaltlich eher
belanglos.
Wieder am Mi, 29. 5., 19.30 Uhr, [6][Schauspielhaus Hannover]; weitere
Aufführungen: 6. 6., 11. 6., 14. 6.
26 May 2024
## LINKS
[1] /Rahmenprogramm-zur-Fussball-EM-in-Berlin/!5992633
[2] /Fan-Zone-am-Brandenburger-Tor/!6008955
[3] /Dokutheater-zum-Anschlag-in-Hanau/!5988719
[4] https://tugsalmogul.de/
[5] /EM-Trikot-wird-Verkaufsschlager/!5996343
[6] https://staatstheater-hannover.de/de_DE/schauspiel
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Theater
Schauspiel Hannover
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Fußball
Fußball-EM 2024
Hannover
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Theatertreffen Berlin
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Performance-KünstlerIn
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nordderby in der Zweiten Bundesliga: Gestern Versager, heute ein Held
Der Rausschmiss von Trainer Stefan Leitl stand schon zur Debatte. Doch nach
dem Sieg gegen den Hamburger SV kommt Hannover 96 wieder zur Ruhe.
Rechte Empörung über Theaterstück: Glatt gelogen
Das rechte Online-Magazin „Nius“ skandalisiert das Stück „Unsere Elf“ …
Staatstheater Hannover. Der Angriff ist ein Beispiel rechter
Kulturagitation.
Preisverleihung beim Theatertreffen: Kritik wird gebraucht
Gleich mit zwei Preisen wurde beim Theatertreffen das Stück die
„Hundekot-Attacke“ aus dem Theaterhaus Jena ausgezeichnet.
Fußball-EM in Deutschland: Warnung vor unzuverlässiger Bahn
Der Gründer des schottischen Fanverbands fordert die Landsleute auf, den
früheren Zug zum Spiel zu nehmen. Damit sie nicht erst zur Halbzeit
ankommen.
Künstlerin über Kunst im Stadtraum: „Politisch, lustig, interaktiv“
Die Künstlerin Farzane Vaziritabar ist für ihre Performances bekannt. In
Hannover wird sie mit einer Pferdeapfelskulptur Bürgerbeschwerden sammeln.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.