# taz.de -- Dokutheater zum Anschlag in Hanau: Hanau, eine Rekonstruktion | |
> „And Now Hanau“ ist eine minutiöse Rekonstruktion des rassistischen | |
> Anschlags. Die Berliner Premiere fand im Rathaus Schöneberg statt. | |
Bild: Gespielt wird wenig, aber viel erzählt: Tim Weckenbrock, Alaaeldin Dyab,… | |
„Sie werden hier nichts hören, was Sie nicht schon gehört haben. Aber Sie | |
werden merken, dass Sie alles vergessen haben.“ Schon in den ersten Minuten | |
von „And Now Hanau“, einer Koproduktion der Theater Oberhausen und Münster | |
und des Maxim Gorki Theaters, wird der Auftrag des Abends deutlich. | |
Regisseur Tuğsal Moğul inszeniert gegen das Vergessen und erinnert an die | |
Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020: Fatih Saraçoğlu, | |
Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said | |
Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun und Ferhat Unvar. | |
„And Now Hanau“ ist eine minutiöse Rekonstruktion des Anschlags. Auf einer | |
schlicht eingerichteten Bühne hangeln sich die vier Schauspieler:innen | |
durch die Tatnacht und beschreiben detailliert, was am 19. Februar 2020 | |
passierte. [1][Dazu zitieren sie aus Ermittlungsakten und Protokollen der | |
Untersuchungsausschüsse.] Sie nehmen abwechselnd die Rolle von Angehörigen | |
ein und lassen sie von ihren ermordeten Kindern und Geschwistern erzählen. | |
So kommt das Publikum den Opfern, die auf drei großen Bildschirmen auf der | |
Bühne zu sehen sind, sehr nah. | |
## Die vielen Fehler, die begangen wurden | |
Das Stück will aber nicht nur auf einer emotionalen Ebene das Publikum für | |
die Schicksale der Opfer des rassistischen Anschlags sensibilisieren, | |
sondern auf strukturelle Probleme aufmerksam machen. So zählen die | |
Schauspieler:innen 90 Minuten lang fast ununterbrochen Fehler auf, die | |
vor, während und nach der Tatnacht von Behörden und Politik begangen | |
wurden: Ein nicht ausreichend besetzter Notruf, ein verschlossener | |
Notausgang an einem der Tatorte und Angehörige, die erst Stunden oder sogar | |
Tage nach dem Anschlag informiert wurden, um nur einige wenige zu nennen. | |
Außerdem waren am Einsatz beteiligte SEK-Beamte in rechten Chatgruppen | |
aktiv. | |
Die Masse der Verfehlungen, für die niemand je Verantwortung übernommen | |
hat, wirkt überwältigend und soll auch diesen Effekt erzielen. Der | |
Eindruck, der beim Publikum erweckt wird, ist klar: Hier ist richtig viel | |
schiefgelaufen. | |
Warum das so ist, beantwortet „And Now Hanau“ zwischen den Zeilen auch. | |
„Wären die Ermittlungen anders gelaufen, wenn die Opfer Stefan oder Marie | |
hießen?“, wird Armin Kurtović, der Vater des ermordeten Hamza Kurtović, | |
zitiert. Nach dem Anschlag soll er eine sogenannte Gefährderansprache | |
erhalten haben, bei der ihm erklärt wurde, dass Blutrache in Deutschland | |
verboten sei. Es sollte verhindert werden, dass er sich am Vater des Täters | |
rächt. „Wie lange bleibe ich noch Kanacke in diesem Land?“, fragt Kurtovi�… | |
der wie sein Sohn in Deutschland geboren ist. | |
## Neun Sekunden sind eine lange Zeit | |
„And Now Hanau“ ist ein dokumentarisches Theaterstück. Viele Informationen | |
stammen unter anderem vom Recherchekollektiv Forensic Architecture und der | |
Initiative 19. Februar Hanau. Die eingesetzten Mittel sind vor allem | |
erzählerisch, gespielt wird nur wenig. Auffällig ist daher eine Szene, in | |
der es um den verschlossenen Notausgang an einem der Tatorte geht. Hätten | |
die Besucher:innen der Arena Bar in den neun Sekunden, die ihnen | |
blieben, Zeit gehabt, durch den Notausgang zu fliehen, wenn er nicht | |
verschlossen gewesen wäre? | |
Während ein Schauspieler neun Sekunden herunterzählt, rennen die übrigen so | |
schnell sie können aus dem Saal. Alle schaffen es rechtzeitig. „Neun | |
Sekunden sind eine lange Zeit“, kommentiert er. „And Now Hanau“ lässt | |
außerdem immer wieder die Grenzen zwischen Theater und politischer | |
Gedenkveranstaltung verschwimmen. | |
Besonders deutlich wird das während der Schweigeminute, zu der das Publikum | |
mitten im Stück aufgefordert wird. Während alle stehen und der Opfer | |
gedenken, erscheint die Verbindung von Publikum und Schauspieler:innen | |
enger als bei jedem noch so interaktiven Theaterstück. Dazu trägt auch das | |
Licht bei, das während der gesamten Vorstellung im Zuschauerraum an bleibt. | |
Der Eindruck, der dabei entsteht, ist nicht der eines Theaterabends, | |
sondern einer öffentlichen Verhandlung – der sich der Täter durch seine | |
Selbsttötung in der Tatnacht entzogen hat. Verstärkt wird dieser Eindruck | |
durch den Spielort. Die Berliner Premiere von „And Now Hanau“ wurde im | |
Willy-Brandt-Saal des Rathauses Schöneberg gezeigt, zuvor war das Stück | |
bereits in Rathäusern in Frankfurt und Hamburg zu Gast. | |
12 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Matthieu Praun | |
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