| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Mexiko: Wohlstand ja, Ende der Gewalt nein | |
| > Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum verspricht Frieden und ein | |
| > wohlhabendes Land. Die Morde und das Verschwindenlassen erwähnt sie | |
| > nicht. | |
| Bild: Die neue mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum ist Ziehtochter ihre… | |
| Mexiko-Stadt taz | Am Ende des Tages steht Claudia Sheinbaum auf dem | |
| zentralen Zócalo-Platz im Zentrum von Mexiko-Stadt und klatscht in die | |
| Hände. „Das erste Mal in der 200-jährigen Geschichte Mexikos wird mit mir | |
| eine Frau Präsidentin“, ruft [1][das neu gewählte Staatsoberhaupt] den | |
| Anhänger*innen zu. Und die reagieren mit Sprechchören: „Präsidentin, | |
| Präsidentin!“ Es ist Sonntagnacht, ein Uhr, und dennoch sind Tausende im | |
| Herzen der Metropole auf den Beinen. | |
| Kurz zuvor hat die Nationale Wahlbehörde die ersten Hochrechnungen der | |
| mexikanischen Präsidentschaftswahl verkündet. Demnach kann Sheinbaum, die | |
| Kandidatin der linken Morena-Partei des Staatschefs Andrés Manuel López | |
| Obrador (kurz: Amlo), etwa 60 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. | |
| [2][Ihre Konkurrentin Xóchitl Gálvez] vom oppositionellen | |
| Mitte-rechts-Bündnis kommt dagegen nur auf maximal 28 Prozent. Die | |
| Politikerin sowie der abgeschlagen auf Platz drei liegende Kandidat Jorge | |
| Máynez von der „Bürgerbewegung“ erkannten ihre Niederlage nach Verkündung | |
| des Zwischenergebnisses an. | |
| Die Menschen, die an diesem Abend auf den Zócalo gekommen sind, feiern | |
| nicht nur Sheinbaum, sondern auch jenen Mann, der den Erfolg der | |
| 61-jährigen Physikerin erst möglich machte: López Obrador. Zwischen den | |
| weiß-braunen Fahnen der Morena-Partei, Blaskapellen und | |
| Gewerkschaftsgruppen bieten Händler Puppen des Politikers an, in | |
| Sprechchören rufen seine Anhänger*innen: „Es ist eine Ehre, mit López | |
| Obrador zu sein!“ Wegen seiner Sozialprogramme und seines populistischen | |
| Diskurses erfreut sich Amlo auch nach fast sechsjähriger Amtszeit großer | |
| Beliebtheit. | |
| ## Morena gewinnt Mexiko-Stadt | |
| Spektakulärer als der zu erwartende Erfolg Sheinbaums ist der Sieg der | |
| [3][Morena-Kandidatin für die Hauptstadt-Regierung, Clara Brugada]. Dass | |
| die bisherige Bürgermeisterin des armen Bezirks Iztapalapa gewinnen würde, | |
| war nicht ausgemacht. López Obrador hatte in Mexiko-Stadt an Zustimmung | |
| verloren, da sich frühere Unterstützer*innen aus der Mittelschicht | |
| sowie linke Kritiker*innen wegen seines aggressiven Auftretens ihnen | |
| gegenüber von ihm abgewandt hatten. | |
| Sheinbaum, die im Gegensatz zu Amlo besonnen auftritt, ließ in ihrer ersten | |
| Rede durchscheinen, dass sie sich vom polarisierenden Kurs ihres Vorgängers | |
| abwenden könnte. Man müsse „in Frieden und Harmonie voranschreiten, um ein | |
| gerechtes und wohlhabendes Mexiko aufzubauen“, sagte sie. | |
| Sollte sich die Tendenz bestätigen, nach der das Bündnis der linken | |
| Regierungspartei mit den Grünen und der Arbeiterpartei die qualifizierte | |
| Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat stellt, stehen der künftigen | |
| Präsidentin viele Türen offen. | |
| ## Gewalt überschattete den Wahlkampf | |
| [4][Wie bereits die vergangenen Monate] waren auch die letzten Tage des | |
| Wahlkampfs von zahlreichen Gewalttaten überschattet. Im Bundesstaat Puebla | |
| kamen zwei Menschen bei bewaffneten Angriffen auf Wahllokale ums Leben. Am | |
| Freitag wurde der Lokalpolitiker Jorge Huerta ebenfalls in Puebla | |
| erschossen, Tage zuvor traf es zwei Kandidaten in den Bundesstaaten | |
| Guerrero und Michoacán. Dem Thinktank Laboratorio Electoral zufolge starben | |
| insgesamt 84 Menschen im Kontext des Wahlkampfes, 37 von ihnen waren | |
| Anwärter*innen auf eine Kandidatur oder waren bereits Kandidat*innen. | |
| Hinter den Angriffen stecken meist kriminelle Organisationen, die ihren | |
| Einfluss auf lokale Regierungen sicherstellen wollen, um weiter ihren | |
| Geschäften nachgehen zu können. Die Gewalt im Wahlkampf, so López Obrador, | |
| habe sich entfesselt, „weil das Volk vernachlässigt wurde und die Behörden | |
| mit dem organisierten Verbrechen verstrickt sind“. Dafür macht López | |
| Obrador die „konservative Elite“ der Vorgängerregierungen verantwortlich. | |
| Viele seiner Kritiker*innen sind jedoch überzeugt, dass er keine | |
| kohärente Strategie entwickelt habe, um der Gewalt und den massiven | |
| Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. | |
| Diese Unzufriedenheit brachten Angehörige von Verschwundenen am Wahltag zum | |
| Ausdruck. Sie „wählten“ schlicht ihre Liebsten, indem sie deren Namen auf | |
| den Stimmzettel schrieben. Griselda Triana, die Witwe des vor sieben Jahren | |
| ermordeten Journalisten Javier Valdéz erklärte, sie habe ihren Mann | |
| gewählt, weil das Verbrechen bis heute straflos geblieben sei. | |
| Weniger optimistisch als Sheinbaums Anhänger*innen auf dem Zócalo ist | |
| auch Clemente Rodriguez Morena, der Vater eines der 2014 verschleppten 43 | |
| Studenten des Ayotzinapa-Lehrerseminars im Bundesstaat Guerrero. Er rechnet | |
| nicht damit, dass die angehende Präsidentin Licht in das Dunkel des | |
| Verbrechens bringt, dessen Aufklärung schon Amlo bei seinem Amtsantritt zur | |
| Chefsache erklärt hatte. | |
| Der taz berichtete er von einem Protestcamp, das die Angehörigen während | |
| eines Auftritts von Sheinbaum im März auf dem Zócalo installiert hatten: | |
| „Sie sprach von Straßen, Zügen und Großprojekten, verlor aber kein Wort | |
| über das Morden, das Verschwindenlassen und den Fall von Ayotzinapa.“ | |
| 4 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wolf-Dieter Vogel | |
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