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# taz.de -- Verbrechen in Mexiko: Frühstück bei den Eichhörnchen
> Der Bürgermeister von Chilpancingo wird von der Mafia hingerichtet. Die
> organisierte Kriminalität in Mexiko macht normales Regieren unmöglich.
Bild: Trauer um Alejandro Arcos, der gerade sein Amt als Bürgermeister von Chi…
Die Bilder machten schnell die Runde. Kaum war er tot, gingen Fotos der
sterblichen Reste von Alejandro Arcos Catalán durch soziale Medien und
Onlinezeitungen: der abgeschnittene Kopf auf dem Dach eines weißen Autos,
sein Körper auf dem Beifahrersitz. Die ersten Aufnahmen zirkulierten schon
im Netz, bevor die Behörden die Ermordung des 43-Jährigen meldeten.
Wer sie verbreitet hat, ist schwer auszumachen. Aber zweifellos können die
Killer des Bürgermeisters von Chilpancingo, der Hauptstadt des
südmexikanischen Bundesstaats Guerrero, über die zielsichere Promotion
zufrieden sein. Denn wie die Hamas setzen auch die [1][Kriminellen des
organisierten Verbrechens in Mexiko] darauf, dass die Inszenierungen ihres
brutalen Vorgehens weite Verbreitung finden. Die Botschaft der Mafia: Wer
sich mit uns anlegt, wird so enden.
Mit wem sich Arcos angelegt hat, ist nicht bekannt. Zumindest nicht
öffentlich. Der Politiker hatte erst sechs Tage zuvor, am 1. Oktober, sein
Amt übernommen. Gleich danach töteten Unbekannte einen seiner engsten
Mitarbeiter, kurz darauf einen Militärangehörigen, der als künftiger
Polizeichef gehandelt wurde.
## „Förderer des Friedens“
Naheliegend also, dass es auch ihn treffen könnte. Stunden vor seinem Tod
hatte Arcos ein Video ins Netz gestellt, in dem er erklärt, wie er gern
gesehen werden wolle, wenn er einmal nicht mehr lebe. „Wie ein Förderer des
Friedens, ein Förderer des Glücks“, sagt er auf Facebook, unterlegt mit
harmonischen Klavierklängen.
Wie aber könnte ein gut gewillter Politiker Frieden und Glück in einem
Bundesstaat fördern, der größtenteils [2][von Mafiaorganisationen
kontrolliert wird] und in dem jeden Tag fünf Menschen eines gewaltsamen
Todes sterben? „Er war ein Guter, sehr beliebt und stammte aus einer
alteingesessenen Familie aus Guerrero“, sagt eine Freundin, die es wissen
muss.
Ganz anders sah es ein Kollege, den ich nach den Wahlen in Chilpancingo im
Juni traf. „Die Mafia hat gewonnen“, kommentierte er den Sieg von Arcos,
der ihm eine kurze Amtszeit bescherte. Auch er muss es wissen, er arbeitet
seit Jahrzehnten als Reporter in der Region. Was nun? Gut oder Mafia?
Beides? Wer im Interesse der Bevölkerung agieren will, kommt in Guerrero
nicht umhin, mit dem organisierten Verbrechen zu kooperieren.
Das ging Arcos Vorgängerin Norma Otilia Hernández ebenso. Sie musste die in
Mexiko regierende Morena-Partei verlassen, nachdem ein Video veröffentlicht
wurde, das sie mit Celso Ortega, dem Chef der Mafiabande Los Ardillos – die
Eichhörnchen – beim gemeinsamen Frühstück zeigte. Dass die Bürgermeisterin
mit Leuten wie Ortega kooperiert, wird niemand bezweifelt haben. Aber
immerhin hat sie ihren Job überlebt.
## Ohne Personenschutz zur Mafia
Auch Arcos reiste kurz vor seinem Tod in eine Hochburg der Ardillos. Er sei
willentlich allein gefahren, ohne Personenschutz und Fahrer, erklärte
Sicherheitsminister Omar García Harfuch und bestätigte, dass der Politiker
bei einem „speziellen Treffen“ gewesen sei.
Ist Arcos also gestorben, weil er den Forderungen der Eichhörnchen nicht
gerecht wurde? Die Rede ist von der Kontrolle der Polizeibehörde. Oder
gefiel den „Los Tlacos“, die gegen die Ardillos um die Vorherrschaft
kämpfen, seine Kooperation mit den Rivalen nicht? Die Antwort wissen
wenige. Insider sagen, dass Arcos’ Partei PRI ebenso den Ardillos nahestand
wie seine Vorgängerin Hernández von Morena.
Parteibuch hin oder her, viele Menschen in Chilpancingo hatten gehofft,
dass ein Waffenstillstand anhält, den die beiden kriminellen Unternehmen im
Februar ausgehandelt hatten. Tausende sind in den letzten Tagen auf die
Straße gegangen, haben getrauert und Gerechtigkeit für den „feigen und
unheilbringenden“ Mord gefordert.
Doch die wird es wohl nicht geben, wie meistens in solchen Fällen.
Jedenfalls nicht nach rechtsstaatlichen Kriterien. Allerdings ist nicht
auszuschließen, dass bald wieder Fotos von fürchterlich zugerichteten
Leichen durch die sozialen Medien geistern. Jene, an die sie gerichtet
sind, werden genau wissen, wer hinter dem Verbrechen steckt.
16 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Kolumne Latin Affairs
Mexiko
Drogenmafia
Morde
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