# taz.de -- Zapatist*innen in Mexiko: Ungewohnte Solidaritätsbekundung | |
> Der mexikanische Bundesstaat Chiapas ist Schauplatz blutiger Kämpfe. Die | |
> Zapatist*innen vor Ort haben sich ihren internationalistischen Blick | |
> erhalten. | |
Bild: Zapatistische Gruppen protestieren in Mexiko-Stadt und fordern mehr Schut… | |
Was machen eigentlich die Zapatist*innen? Eine Frage, die bis heute viele | |
Menschen sofort stellen, wenn von Mexiko die Rede ist. Da rangieren die | |
indigenen Rebell*innen gleich hinter der Mafia. Wahrscheinlich wüssten | |
bis heute nur Rucksackreisende und Archäolog*innen, dass Chiapas ein | |
Bundesstaat im mexikanischen Südosten ist, hätte es dort nicht vor 30 | |
Jahren einen bewaffneten Aufstand des Zapatistischen Befreiungsheers (EZLN) | |
gegeben. | |
Aber die Frage, was sie tun, kam auch mir in den Sinn, als ich vor wenigen | |
Tagen auf dem Weg von der Provinzmetropole San Cristóbal de las Casas in | |
die Stadt Comitán an einer zapatistischen Gemeinde vorbeifuhr. „Wir fordern | |
die russische Regierung auf, den Krieg zu beenden“, hieß es da auf einer | |
großen Holztafel am Straßenrand. Und: „Für das Leben der russischen und | |
ukrainischen Bevölkerung.“ | |
Die Solidaritätsbekundung aus dem verarmten Süden Mexikos erinnert daran, | |
dass [1][die Zapatist*innen] im Gegensatz zu vielen anderen Linken in | |
Lateinamerika die Verantwortung für Putins Krieg nicht reflexartig im | |
„Westen“ gesucht haben. Beachtenswert ist sie aber noch aus einem anderen | |
Grund. Nur wenige Kilometer entfernt, an der Grenze zu Guatemala, findet | |
derzeit selbst ein Krieg statt. Dort kämpfen das Sinaloa- und das | |
Jalisco-Kartell um die Kontrolle der Grenzregion, also darum, wer am | |
Schmuggel von Drogen, Waffen und Migrant*innen verdient. | |
„Chiapas ist in Mexiko angekommen“, sagte dazu mal ein Freund. Lange Zeit | |
war die abgelegene Region keiner der großen Schauplätze der Kämpfe des | |
organisierten Verbrechens. Offenbar hatte ein kriminelles Kartell das | |
Sagen. Das verspricht meistens weniger blutige Verhältnisse. | |
Das aber hat sich in den letzten Jahren geändert. Tausende | |
Einwohner*innen mussten flüchten, ganze Gemeinden suchten Schutz im | |
benachbarten Guatemala. Andere mussten sterben, Jugendliche werden | |
zwangsrekrutiert. Ein öffentlicher Transport in die Region existiert nicht | |
mehr, eine journalistische Berichterstattung vor Ort ist lebensgefährlich. | |
Zonen des Schweigens. | |
## Zapatist*innen verteidigen ihre Dörfer | |
Unweit dieses Kriegsszenarios verteidigen die Zapatist*innen die von | |
ihnen regierten Dörfer. Zwar sind es nicht direkt die Killer der Kartelle, | |
die ihnen das Leben schwer machen. Dennoch leiden sie wie viele unter | |
Angriffen andere gewalttätiger Gruppen und gegnerischer Gemeinden. Auch bei | |
diesen Überfällen handelt es sich nicht nur um lokale Konflikte, oft | |
stecken die Interessen der Mafia und der politisch Mächtigen dahinter. Also | |
auch die der Morena-Partei, die das Land und auch in Chiapas regiert. | |
Die derzeit geplanten „Internationalen Treffen der Rebellion und des | |
Widerstands 2024–2025“ müssten möglicherweise abgesagt werden, da an kein… | |
Ort in Chiapas die Sicherheit der Teilnehmenden garantiert werden könne, | |
schreibt der EZLN-Sprecher Subkommandant Moisés. | |
Nicht einmal die Touristenhochburg San Cristóbal de las Casas ist noch | |
sicher. Immer wieder kommt es dort zu Schießereien, jüngst versetzte der | |
Mord an dem indigenen Pfarrer Marcelo Pérez die Stadt in einen | |
Schockzustand. Padre Marcelo hatte sich intensiv für die Menschen | |
eingesetzt, die in diesen elenden Verhältnissen diskriminiert, gedemütigt | |
und verfolgt werden. Seine Mörder lauerten dem stadtbekannten Geistlichen | |
nach seiner Messe auf, am Vormittag, vor einer der wichtigsten Kirchen der | |
Stadt. Die Botschaft der Killer: Wir können machen, was wir wollen. | |
Das sind die Verhältnisse, in denen auch die Zapatist*innen um ihr | |
Überleben ringen. Längst sind sie nicht mehr die dominierende regionale | |
Kraft, zurückgezogen organisieren sie den Alltag in ihren Gemeinden. Dass | |
sie sich dennoch ihren kritischen internationalistischen Blick erhalten | |
haben, ist bemerkenswert. Ob es die philosophischen Ausschweifungen ihres | |
ehemaligen Frontmanns Subcomandante Marcos auch sind, sei dahingestellt. | |
Er veröffentlicht derzeit unter dem Namen „El Capitán“ ein Traktat nach d… | |
anderen, in dem es zum Beispiel um schizophrene Käfer, biologische | |
Geschlechter und Bertolt Brecht geht. Und um Kunst, Wissenschaft und | |
Moderne. Interesse? Alles weitere, auch in deutscher Sprache, steht [2][auf | |
der Webseite „Enlace Zapatista“.] | |
21 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Rebellen-im-Museum/!5880174 | |
[2] https://enlacezapatista.ezln.org.mx/ | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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