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# taz.de -- Antisemitismus in Mexiko: Die Präsidentin bleibt eine Fremde
> Claudia Sheinbaum ist die erste Präsidentin Mexikos und jüdisch. Im Land
> kündigen sich jetzt misogyne und antisemitische Ressentiments an.
Bild: Claudia Sheinbaum, die gewählte Präsidentin Mexikos, begrüßt ihre Anh…
Die Stimmung war gut, die Straßen waren voller feiernder Menschen. Folglich
war es nicht ganz einfach, ein Taxi zu finden, nachdem die Gewinnerin der
mexikanischen Präsidentschaftswahlen nachts um eins ihren Sieg im Zentrum
von Mexiko-Stadt gefeiert hatte. Was er denn davon halte, [1][dass Claudia
Sheinbaum künftig das Land regieren werde], wollte ich von dem Fahrer
wissen, der mich dann doch noch, etwas genervt von dem vielen Trubel, in
den Süden der Stadt brachte. „Nichts“, meinte der. Sie sei nicht von hier
und im Übrigen Jüdin.
Ja und? „Jüdin“, raunzte er noch einmal in entschlossenem Tonfall. Schon
vorher war mir auf einer Veranstaltung der konservativen Opposition eine
Frau begegnet, die in ähnlichem Sinne erklärte: „Sheinbaum ist keine von
uns.“
Seit der Wahlnacht sind ein paar Monate vergangen, aber Anfang Oktober wird
mit Sheinbaum von der gemäßigt linken Morena-Partei erstmals eine Frau und
Jüdin mexikanisches Staatsoberhaupt. Die 62-Jährige hat ihre religiöse
Herkunft nie thematisiert, doch mit der Amtsübernahme ist zu befürchten,
dass sich misogyne und antisemitische Ressentiments Bahn brechen werden.
## Ein vom Katholizismus dominiertes konservatives Land
Im offiziellen Diskurs war davon während des Wahlkampfs zum Glück wenig zu
hören, und immerhin haben 60 Prozent der Wähler*innen des vom
Katholizismus dominierten konservativen Landes Sheinbaum ihre Stimme
gegeben. Weder Rechte noch Linksradikale nutzten ihren familiären
Hintergrund für verschwörungsideologische Theorien. Auch Hetzkommentare in
sozialen Medien hielten sich in Grenzen.
Nur der wirtschaftsliberale Ex-Präsident Vicente Fox stach hervor, weil er
Sheinbaum als „Jüdin und zugleich Ausländerin“ bezeichnete. Den eigentlich
gar nicht zulässigen Erklärungsversuch, sie sei doch hier geboren, wollte
auch mein Taxifahrer nicht akzeptieren. Das Enkelkind bulgarischer Juden,
die 1940 vor dem Holocaust flohen, und litauischer jüdischer Einwanderer,
die 1920 nach Mexiko kamen, bleibt eine Fremde. Eine, die nicht zu „uns“
gehört.
Unweigerlich diskutiert so mancher Kolumnist, so manche Kolumnistin nun die
Frage, ob sich mit Sheinbaum die Haltung der Regierung zum Gazakrieg ändern
werde. „Der katastrophale Konflikt zwischen Israel und der Hamas könnte für
sie zu einem ausgesprochen heiklen Thema werden“, schreibt etwa der
Geisteswissenschaftler Ilan Stavans in der New York Times. Zu Recht
erinnert der Autor daran, dass die linken Regierungen Lateinamerikas „einen
antiisraelischen Hang“ haben und, „ob es uns gefällt oder nicht, wir
lateinamerikanischen Juden mit Israel assoziiert werden“.
## Zwei-Staaten-Lösung und Empathie für alle Opfer
Doch im Gegensatz etwa zu Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro, der im
Gazastreifen gleich eine Kopie von Auschwitz erkannte, blieb Mexikos
Präsident Andrés Manuel López Obrador auf dem Teppich. Zwar schloss sich
seine Regierung der [2][Genozid-Klage Südafrikas gegen Israel vor dem
Internationalen Strafgerichtshof] an, doch am nächsten Tag stellte der
Staatschef klar, er sei in dem Konflikt neutral. Der Völkermordvorwurf
vertiefe das Problem, anstatt es zu lösen.
Vieles spricht dafür, dass Sheinbaum der Linie ihres Vorgängers treu
bleibt: Zwei-Staaten-Lösung und Empathie für alle Opfer des Krieges.
Zugleich wies sie in ihrem Amt als Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt schon
2019 Kritiker*innen deutlich zurück, die ihre Nähe zu jüdischen
Israel-freundlichen Organisationen monierten: Sie werde sich „der Agenda
antiisraelischer und antisemitischer Gruppen nicht unterordnen“.
Sollte sie bei ihrer Haltung bleiben, könnte das Folgen haben. Denn
angesichts des „fürchterlichen Konflikts im Nahen Osten wurde sie wegen
ihrer jüdischen Herkunft seit ihrer Wahl Ziel des zeitgenössischen
Antisemitismus“, betont der Kolumnist Arnoldo Kraus in der Tageszeitung El
País.
Auch den christlichen Antisemitismus wird sie wortwörtlich nicht aus den
Augen verlieren. Unweit ihres Regierungssitzes liegt der Palast der
Inquisition. Dort wurden in kolonialen Zeiten Jüdinnen und Juden gefoltert,
die trotz der zwangsweisen Christianisierung heimlich ihren Glauben
praktizierten.
17 Sep 2024
## LINKS
[1] /Sheinbaum-wird-Mexikos-neue-Praesidentin/!6014973
[2] /Internationaler-Gerichtshof/!5985388
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Mexiko
Präsidentin
Antisemitismus
Misogynie
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