# taz.de -- Nach den Wahlen in Mexiko: Von Banden und Journalisten | |
> Journalisten leben in Mexiko gefährlich. Ob die neu gewählte Präsidentin | |
> Sheinbaum daran etwas ändern kann, ist fraglich. Gedanken über einem | |
> Meskal. | |
Bild: Nationagarde an einem Gewaltort in Guerrero | |
Besuch bei Kolleginnen und Kollegen in Chilpancingo, der Landeshauptstadt | |
des mexikanischen Bundesstaats Guerrero: Bei einem ausgiebigen Abendessen, | |
Bier und ein paar Gläschen des Agavenschnapses Meskal sprechen wir über die | |
jüngsten Wahlen in dem Land. „Gewonnen hat der [1][Narco]“, ist der | |
langjährige Journalist Sergio Ocampo überzeugt. Die anderen Anwesenden | |
stimmen zu: Wie so oft habe die organisierte Kriminalität auch am 2. Juni | |
das Rennen gemacht. | |
Dabei denken sie weniger an [2][Claudia Sheinbaum], die frisch gewählte | |
künftige Präsidentin, die jüngst versprochen hat, sich für die Sicherheit | |
von Medienschaffenden einzusetzen. In Guerrero wurden zeitgleich | |
Lokalwahlen abgehalten. Und in der von Armut geprägten Region sind | |
Politiker nur Marionetten. De facto regieren Mafiabanden und ebenso | |
kriminelle „legale“ Unternehmer sowie bewaffnete autonome | |
Selbstverteidigungskräfte, die im besseren Falle im Interesse jener | |
agieren, die von den anderen bedroht, erpresst und skrupellos ausgebeutet | |
werden. | |
Mittendrin befinden sich korrupte Justizbeamte und Polizisten sowie | |
Nationalgardisten und Militärs, die allesamt nicht fähig oder erst gar | |
nicht willens sind, rechtsstaatliche Verhältnisse zu garantieren. So etwa | |
in La Palma, einer kleinen Gemeinde in den Bergen der Sierra. Die 20 dort | |
stationierten Soldaten eines Lagers der Armee können nicht verhindern, das | |
die Einheimischen regelmäßig mit Bomben angegriffen werden, die von Drohnen | |
abgeworfen werden. | |
## „Zonen des Schweigens“ | |
Die Bewohnerinnen und Bewohnern weigern sich, einer kriminellen Bande | |
„Steuern“, also Schutzgeld zu zahlen. Der letzte Angriff fand vier Tage | |
nach der Wahl statt. Eine gute Woche später ermordeten Unbekannte den | |
frisch gewählten Bürgermeister der Stadt Copala, wenige Tage danach fand | |
man die Leiche des Gemeindepräsidenten der Ortschaft Malinaltepec in der | |
Region Montaña. | |
Wo [3][Gewalt] dominiert und Rechtsstaatlichkeit ein Fremdwort ist, leben | |
Journalisten gefährlich. Warum also sollten Ocampo und seine Kollegen daran | |
glauben, dass sie nach der Wahl sicherer arbeiten können. Im Gegenteil: In | |
Chilpancingo wurde ein Politiker zum Bürgermeister gewählt, der für die | |
falsche Partei und damit für die falsche kriminelle Organisation arbeitet. | |
Soll heißen: Durch den Machtwechsel könnte ein fragiler Waffenstillstand | |
zwischen zwei Banden beendet sein und der Krieg wieder beginnen. | |
Ocampo, der unter anderem für die regierungsnahe Tageszeitung La Jornada | |
schreibt, hat erlebt, was solche Eskalationen bedeuten: Raubüberfälle, | |
Drohungen und tödliche Angriffe auf Medienschaffende. Auch die anderen | |
Kollegen machen sich keine Illusionen: Weiterhin wird es „Zonen des | |
Schweigens“ geben, also Regionen, über die niemand berichtet, weil es | |
lebensgefährlich ist. | |
## Guerrero besonders umkämpft | |
Guerrero zählt zu den besonders umkämpften Gebieten. In einigen | |
Bundesstaaten herrschen ähnlich schwierige Verhältnisse, aber nicht in | |
allen. So gesehen ist die Ankündigung Sheinbaums trotz allem ein | |
Hoffnungsschimmer. Wenige Tage vor ihrer Wahl traf sich die Politikerin der | |
gemäßigt linken Morena-Partei mit Reporter ohne Grenzen (ROG). Sie | |
verpflichtete sich, 22 Maßnahmen anzugehen, um Journalisten mehr Sicherheit | |
zu garantieren. | |
Dazu zählt etwa der Kampf gegen die Straflosigkeit durch die Stärkung des | |
Justizsystems. Hoffen lässt auch, dass von der künftigen Präsidentin nicht | |
zu erwarten ist, dass sie wie der noch amtierende Präsident Andrés Manuel | |
López Obrador ständig gegen kritische Kolleginnen sowie Kollegen hetzt und | |
diese so zu Freiwild erklärt. | |
Immerhin konnte Sheinbaum in ihrem bisherigen Amt als Bürgermeisterin von | |
Mexiko-Stadt die Zahl der Morde verringern. Sie ließ viele | |
Überwachungskameras installieren, erhöhte die Zahl der Polizeistreifen und | |
sorgte für eine bessere Beleuchtung von Straßen. Das mag für die Hauptstadt | |
funktionieren. Doch für Regionen wie Guerrero, wo Kriminalität und | |
Korruption seit Jahrzehnten tief in die Gesellschaft eingeschrieben sind, | |
braucht es weitergehende Konzepte. Und die müssen erst noch erfunden | |
werden. Sheinbaums Vorgänger López Obrador ist daran leider gescheitert. | |
25 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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