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# taz.de -- Pädagogin über Schulen und Eltern: „Das Wichtigste ist Beziehun…
> An Brennpunktschulen ist Elternarbeit besonders wichtig, sagt die
> Leiterin eines Familiengrundschulzentrums. Dort baut sie Vertrauen auf.
Bild: Die Unterstützung der Eltern ist entscheidend für den Bildungserfolg de…
taz: Frau Leigers, Sie koordinieren ein Familiengrundschulzentrum in
Bielefeld. Das Konzept ist im Ruhrgebiet entstanden, um „Knotenpunkte“ im
Sozialraum zu schaffen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Katrin Leigers: Es geht darum, die Schulen ins Quartier zu öffnen. Wir
versuchen, Familien mit den unterschiedlichsten Bedarfen zu unterstützen
und gegebenenfalls an die passenden Institutionen weiterzuleiten. So
profitieren wir alle voneinander und knüpfen ausgehend von der Schule ein
Netzwerk. Letztendlich geht es darum, „unsere Kinder“ bestmöglich zu
begleiten und Bildungsungleichheit entgegenzuwirken. Grundlage für
gelingende Unterstützungsangebote sind Kommunikation und Austausch zwischen
Eltern und Schule und allen beteiligten Akteuren. Unser Ziel ist, eine
Verantwortungsgemeinschaft zu sein, an der alle mitwirken.
In Bielefeld liegt die Armutsquote bei Kindern mit rund 20 Prozent fast
doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Auf die Sudbrackschule, an der Sie
angegliedert sind, gehen Kinder aus 28 verschiedenen Nationen. Was bedeutet
das für Ihre Arbeit?
Viele Familien können nicht einmal die alltäglichen Kosten für das
Familienleben bewältigen. Gemeinsam mit den Schulsozialarbeiterinnen an
unserer Schule helfen wir bei verschiedenen Anträgen wie Bildung und
Teilhabe. Der bürokratische Aufwand frisst viel Zeit. Zudem sind natürlich
sprachliche Barrieren ein großes Hindernis. Aber auch hier suchen wir
gemeinsam nach Lösungen, kümmern uns beispielsweise um Übersetzung.
Dennoch: So viele unterschiedliche Nationen an einer Schule sind ein großer
Gewinn. Es ist schön zu sehen, dass die Kinder kein Problem damit haben,
dass alle unterschiedlich sind. Eine Mutter aus Bosnien hat einmal gesagt:
Das ist Frieden, was hier auf dem Pausenhof stattfindet.
Wie gelingt es Ihnen, Vertrauen zu den Eltern aufzubauen?
Das Wichtigste ist Beziehungsarbeit. Mein erstes Projekt war ein Sprachcafé
für Mütter. Daraus ist eine Elterngruppe entstanden, die zum Ziel hat,
andere Familien zu unterstützen und am Schulalltag mitzuwirken. Koordiniert
durch das Familiengrundschulzentrum finden mittlerweile mehrere Projekte
pro Tag statt. So gibt es ein Tanzprojekt für Kinder mit Auftritten auf dem
Bielefelder Leineweberfest und beim Karneval der Kulturen. Zu den
Auftritten kommen dann die Eltern und sehen: Mein Kind erlebt an der Schule
etwas Schönes. Das baut natürlich Vertrauen auf. Wir arbeiten auch eng mit
einer Kita zusammen und bieten dort bereits Sprachtreffen für die Eltern
an, deren Kinder dann zu uns an die Schule kommen. Wir bemühen uns, früh
auf die Eltern zuzugehen.
Laut einer [1][aktuellen Umfrage der Wübben Siftung Bildung] unter
Familiengrundschulzentren ist die größte Herausforderung, jene Eltern zu
erreichen, deren Kinder besonders hohe Bedarfe haben. Wie ist das bei
Ihnen?
Das ist auch bei uns so. Ich habe schnell gemerkt, dass ich aktiv auf
Eltern zugehen muss. Mit Aushängen oder Zetteln in der Schultasche erreiche
ich niemanden. Mein Glück ist, dass ich viele Familien bereits in der
Coronazeit zu Hause besucht habe. Aber an bestimmte Eltern komme ich
trotzdem schwer heran. Dennoch bin ich zufrieden. Vor dreieinhalb Jahren
habe ich das Familiengrundschulzentrum gestartet. Das Sprachcafé ist immer
gut besucht. Und viele haben jetzt den Mut zu sagen: Ich brauche
Unterstützung. Ich weiß nicht, wie ich diesen oder jenen Behördengang
mache. Das ist für viele Menschen nicht einfach. Damit haben wir viel
erreicht.
Und können Sie auch helfen?
Zum Glück ja. Gerade erst habe ich eine Familie ins Rathaus begleitet, um
Grundsicherung zu beantragen. Es irritiert mich schon sehr, wie viele
Menschen dort abgewiesen werden, nur weil sie die Sprache nicht sprechen.
Für ein Kind, das auf eine Förderschule gewechselt ist, habe ich neulich
eine Schulbegleitung organisiert. Es gibt noch viele weitere Beispiele.
Studien zeigen, dass weniger privilegierte Eltern [2][auch seltener einen
Kitaplatz erhalten] – obwohl der wichtig wäre, um die ungleichen
Startchancen zu verringern. Hören Sie das auch von Ihren Familien?
Ja, das hören wir leider öfter. In unserem Einzugsgebiet liegt auch ein
Frauenhaus, wo Frauen in Not eine Anlaufstation haben. Es ist schon
häufiger vorgekommen, dass eine Mutter dann ein Kind bei uns zur
Einschulung gebracht hat und das jüngere Geschwister nicht zur Kita ging,
weil die Mutter keinen Platz gefunden hat oder gar keine Kapazitäten hatte,
sich darum zu kümmern. Wir haben in solchen Fällen schon mehrfach einen
Kitaplatz organisiert.
Grundschulen beklagen, dass immer mehr Kinder [3][bereits in der ersten
Klasse nicht mithalten können]. Welchen Anteil daran haben Ihrer Erfahrung
nach die Eltern?
Viele Familien sind unterschiedlichsten Belastungen ausgesetzt. Wie schon
vorher erwähnt, müssen häufig beide Elternteile arbeiten, sodass manchmal
wenig Zeit ist für regelmäßigen Austausch innerhalb der Familie. Hinzu
kommen auch Unsicherheiten bezüglich unterschiedlichster Themen – der
Mediennutzung beispielsweise. Ich denke, es ist unumgänglich, das System
Schule zu überdenken und den Austausch zwischen den Eltern und der Schule
durch Familiengrundschulzentren vertrauensvoll zu gestalten, sodass es
möglich wird, auch über Unsicherheiten in der Erziehung und andere Themen
zu kommunizieren.
Versuchen Sie auch, die Eltern dazu zu bewegen, sich stärker in die Bildung
ihrer Kinder einzubringen?
Natürlich. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Rucksackprojekt. Da
besprechen wir mit den Eltern, was ihre Kinder gerade in der Schule lernen.
Wir geben auch Anregungen, wie sie zu Hause spielerisch den Unterricht
nachbereiten können. Ebenso wie das Rucksackprojekt haben wir ein
Bücherkofferprojekt in Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum
in Bielefeld gestartet. Jedes Kind aus der ersten und zweiten Klasse darf
den Koffer mal mit nach Hause rollern. Das ist für die Kinder schön – und
die Eltern sehen, dass ihr Kind gerne liest.
Fördern Sie am Familiengrundschulzentrum auch gezielt Kinder?
Ja, das machen wir auch. Teilweise nehmen wir – in Rücksprache mit der
Lehrkraft und den Eltern – die Kinder dafür auch aus dem Unterricht. So
findet zum Beispiel regelmäßig für einige Kinder Logopädie an der Schule
statt. Das haben wir eingerichtet, weil nicht alle Familien die
Möglichkeit haben, ihr Kind am Nachmittag in die Praxis zu bringen. Dann
kommen auch Ehrenamtliche an die Schule, die jeweils mit einzelnen Kindern
lesen, die hier erhöhten Förderbedarf haben. Zudem erhalten bestimmte
Kinder gezielte Nachhilfe.
Wie sind Sie eigentlich personell aufgestellt?
Ich leite das Familiengrundschulzentrum mit 30 Stunden die Woche. Eine
Lehrkraft und eine Mitarbeiterin des Offenen Ganztags haben aber je eine
Entlastungsstunde die Woche, um mich bei den einzelnen Projekten zu
unterstützen. Natürlich arbeiten auch andere Menschen mit und sind an der
Weiterentwicklung des Familiengrundschulzentrums maßgeblich beteiligt. So
ist das Gelingen abhängig von der Mitarbeit aller Akteure an Schule, von
den unterschiedlichsten Professionen an Schule, von der Schulleitung und
der stellvertretenden Schulleitung und von den Eltern, sowie von der
Offenen Ganztagsbetreuung als auch vom Träger.
Aber natürlich würde jede Stelle mehr helfen. Momentan sieht es aber nicht
danach aus, im Gegenteil. Ab 2026 droht sogar eine Kürzung, weil das
Schulministerium Familiengrundschulzentrum aktuell nur mehr mit 20 Stunden
die Woche fördert.
In Nordrhein-Westfalen erhalten demnächst 900 Schulen zusätzliche Gelder
aus dem [4][Startchancen-Programm von Bund und Ländern]. Kommt nicht auch
dieser Topf infrage, um Ihre Arbeit zu unterstützen?
Das hoffe ich. Tatsächlich ist unsere Schule ausgewählt worden für das
Startchancen-Programm. Das ist so oder so eine gute Nachricht. Ob das
Familiengrundschulzentrum auch Stellenanteile bekommt, ist gerade im
Gespräch.
22 May 2024
## LINKS
[1] https://www.wuebben-stiftung-bildung.org/befragung-familiengrundschulzentre…
[2] /Fehlende-Plaetze-in-Kitas/!5985377
[3] /Rektorin-ueber-das-Startchancen-Programm/!5990501
[4] /Einigung-auf-Startchancen-Programm/!5989900
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
soziale Ungleichheit
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