# taz.de -- Kanzler Scholz im Baltikum: „Ein Angriff auf uns alle“ | |
> Scholz und die baltischen Ministerpräsidentinnen setzen auf traute | |
> Einigkeit. Woher das Geld für die Brigade in Litauen kommen soll, bleibt | |
> unklar. | |
Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz steigt bei dem Besuch der Nato-Übung Quadriga … | |
RIGA taz | Am Montagabend herrschte in Riga bei einem Auftritt vor der | |
Presse traute Einigkeit. [1][Die estnische Ministerpräsidentin Kaja | |
Kallas], sonst für kritische Töne Richtung Berlin bekannt, sagte: | |
„Deutschland stand den baltischen Staaten noch nie so nah wie jetzt.“ Die | |
Ministerpräsidentinnen von Lettland, Evika Siliņa, und von Litauen, Ingrida | |
Šimonytė, klingen genauso. Man freue sich, dass Deutschland bei der | |
Unterstützung der Ukraine „die Führungsrolle“ übernehme, sagte die | |
lettische Ministerpräsidentin. Und als Kanzler sagte Olaf Scholz genau das, | |
was man im Baltikum hören wollte. „Ein Angriff auf euch wäre auch ein | |
Angriff auf uns alle.“ | |
In Deutschland gilt Scholz als Zögerer, der im Zweifel Rücksicht auf | |
Eskalationsrisiken nimmt, anstatt entschlossen Panzer und Marschflugkörper | |
zu liefern. Es scheint somit zwei Scholz-Bilder zu geben: den vorsichtigen | |
Zauderer – ein Bild, das manche Grüne und die Union zeichnen – und den | |
Scholz, [2][der ein paar Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt | |
aus einem Radpanzer steigt, um sich ein Nato-Manöver anzuschauen, bei dem | |
ein imaginierter Feind besiegt wird.] | |
Den Kanzler gibt es demnach in doppelter Ausführung: als bedächtig, | |
abwägende Willy-Brandt-Version zu Hause und als energische | |
Helmut-Schmidt-Version in Osteuropa, der markige Sätze nicht scheut. Am | |
Montagabend sagte der Kanzler, man werde als Nato im Baltikum „jeden | |
Zentimeter“ verteidigen. | |
Vor Kurzem noch warfen baltische Politiker Berlin vor, es an Unterstützung | |
mangeln zu lassen und über Osteuropa hinweg auf Moskau zu starren. In | |
Berlin hielten manche die baltischen Ängste vor Russland für verständlich, | |
aber übertrieben. Die atmosphärischen Störungen scheinen der Vergangenheit | |
anzugehören. Man ist sich einig darin, dass man Russland international | |
isolieren müsse. Die Profite der im Westen eingefrorenen russischen Gelder | |
sollen schnell dazu genutzt werden, Waffen für die Ukraine zu kaufen. Es | |
geht dabei um Milliarden. | |
## Bisher unvorstellbare Sätze fallen | |
Unterschiede zwischen Deutschland und den baltischen Ländern gibt es | |
dennoch. Alle drei Ministerpräsidentinnen halten „den Sieg der Ukraine über | |
Russland“ für nötig. Scholz vermeidet diese Formel, um nicht zu aggressiv | |
gegenüber Moskau zu wirken und keine Erwartungen zu wecken, die mögliche | |
Verhandlungen am Ende des Krieges belasten könnten. Aber das ist wohl ein | |
semantischer Unterschied. Und kein Symbol für unterschiedliche strategische | |
Einschätzungen der Lage. Die Analyse ist gleich: Russland bedroht | |
langfristig die Sicherheit der europäischen Demokratien. Die litauische | |
Ministerpräsidentin lobte Deutschlands Verteidigungsausgabe als vorbildlich | |
für andere Nato-Staaten. Auch dieser Satz wäre vor zwei Jahren kaum | |
vorstellbar gewesen. | |
Der neue Berlin-Baltikum-Konsens lautet, die Gefahr aus dem Osten mit | |
Abschreckung zu bannen, ohne eine Konfrontation zu provozieren. Das Mittel | |
dazu ist die Bundeswehr-Brigade. 2027 sollen knapp 5.000 deutsche | |
SoldatInnen jeden Zentimeter Nato-Gebietes verteidigen. Zum Vergleich: Die | |
litauische Armee verfügt über rund 15.000 SoldatInnen. Es ist die erste | |
[3][dauerhafte Stationierung einer so großen Bundeswehreinheit jenseits | |
deutscher Grenzen.] | |
Damit wird die Bundesrepublik für das Baltikum eine ähnliche Rolle spielen | |
wie die USA für Westdeutschland vor 1989. Nämlich die einer Schutzmacht, | |
die Abschreckung garantiert. Diese neue Rolle ist in Deutschland, wo man | |
sich lieber mit langwierigen Debatten um die Lieferung von einzelnen | |
Waffensystemen an Kyjiw beschäftigt, noch nicht begriffen worden. | |
Aber dies wird passieren. [4][Denn die neue Abschreckungspolitik kostet | |
extrem viel Geld] und wird Verteilungskonflikte mit sich bringen. Die | |
Etablierung der deutschen Brigade wird Berlin mehr als 10 Milliarden Euro | |
kosten. Woher das kommen soll, ist unklar. In Litauen gibt man 2,5 Prozent | |
des Bruttoinlandprodukts für Militär aus und wird zusätzlich Milliarden | |
Euro lockermachen müssen, um die Infrastruktur für die deutsche Brigade zu | |
bauen. Der Streit um das Geld, in Litauen, in Deutschland, zwischen | |
Deutschland und Litauen kommt noch. Und er wird hart. | |
Das ist erst der Anfang. [5][Die USA werden abrupt, wenn Trump die US-Wahl | |
im November gewinnen sollte], oder mittelfristig ihr militärisches | |
Engagement in Europa deutlich reduzieren. Scholz kündigte in Riga an, | |
Berlin werde langfristig 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung | |
ausgeben. Realistisch betrachtet, wird das nicht reichen. Wie die Politik | |
der Abschreckung ohne Konfrontation finanziert werden soll – ohne die | |
Schuldenbremse entschieden zu lockern und ohne rabiate Einschnitte ins | |
soziale Netz –, ist unklar. Zu Zeiten des Kalten Krieges gab die | |
Bundesrepublik knapp 4 Prozent des BIP für Militär aus. | |
7 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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