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# taz.de -- Pressefreiheit in Belarus: Rachefeldzug Lukaschenkos
> Die Deutsche Welle als Organisation wurde in Belarus nun als
> extremistisch eingestuft. Wie kann man Menschen dort weiterhin erreichen?
Bild: Die Kanäle müssen offenbleiben
„Der Schritt kam nicht unerwartet, in gewisser Weise waren wir vorbereitet.
Doch der Schock war dennoch groß“, sagt Christian Trippe. Der 62-jährige
promovierte Historiker verantwortet bei der Deutschen Welle die Programme
für Russland, die Ukraine und Osteuropa. Zumindest was Belarus angeht – für
viele immer noch ein blinder Fleck –, dürfte sein Job nicht einfacher
werden, im Gegenteil: Ende April stufte das Minsker Innenministerium den
deutschen Auslandssender als extremistische Organisation ein.
Im Klartext heißt das, dass alle DW-Inhalte verboten sind. Eine
Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle in Belarus, welcher Art auch immer,
ist fortan strafbewehrt. Wer Informationen an die Redaktion weitergibt,
riskiert mehrjährige Haftstrafen. Auch in Russland ist das eine gängige
Methode, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Der Aufbau des belarussischen Dienstes der Deutschen Welle (DW) geht auf
den Herbst 2020 zurück, als das autoritäre Regime unter Alexander
Lukaschenko im Zuge seiner gefälschten Präsidentenwahl am 9. August und der
wochenlangen Massenproteste mit immer härteren Repressionen gegen
Andersdenkende vorzugehen begann.
DW Belarus antwortete darauf mit einer verstärkten Präsenz in den sozialen
Medien – sei es auf Youtube, Telegram oder beispielsweise über eine eigene
Rubrik auf der Startseite [1][www.dw.com/ru]. Mit neuen Formaten, wie dem
internationalen Talk „Auf den Punkt genau“ (w samuju totschku) oder der
Diskussionssendung „Swarka“ (Streit-)Show“, wurde das Programmangebot auf
Russisch, aber auch auf Belarussisch stetig erweitert.
## Smartphones von der Polizei kontrolliert
Laut Trippe ist diese „Expansion“ anfangs nur durch eine dreimalige
Förderung des Auswärtigen Amtes möglich gewesen. Doch diese sei ausgelaufen
und die Finanzierung von DW Belarus mittlerweile ein fester Posten im
Stammetat der Deutschen Welle. „Es wäre ein unethisches Verhalten gewesen,
den Stecker zu ziehen. Gerade in Zeiten wachsender diktatorialer
Medienmärkte ist es wichtig, präsent zu bleiben“, sagt Trippe.
Doch das gestaltete sich bereits ab 2021 immer schwieriger. Zunächst wurde
die DW-Webseite gesperrt. Im März 2022 verpassten die belarussischen
Behörden der DW-Berichterstattung das Label „extremistisch“. Die Folgen der
stufenweisen Demontage sind spürbar und erfüllen genau den Zweck, den das
Regime beabsichtigt: Hatte der DW-Telegram-Kanal Anfang 2021 noch 15.000
Abonnent*innen, liegt deren Anzahl nun bei unter 10.000. In Belarus werden
Smartphones von der Polizei kontrolliert und die Besitzer*innen
genötigt, unliebsame Telegram-Kanäle und Apps zu löschen.
Derzeit hat DW Belarus 12 ständige Mitarbeiter*innen (mehrheitlich
Frauen), die in Bonn und Berlin, aber auch von Polen und Litauen aus tätig
sind. Von ihnen kann niemand mehr nach Belarus reisen. Auch vor Ort gibt es
aus naheliegenden Gründen keine Freelancer*innen mehr. An
Informationen über das aktuelle Geschehen in Belarus kommt die Redaktion
nur noch über persönliche Kontakte.
## Suizidversuche im Gefängnis
DW Belarus ist beileibe nicht das erste unabhängige Medium, das dem
Rachefeldzug Lukaschenkos zum Opfer fällt. Laut der
Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) nimmt Belarus auf
ihrer aktuellen [2][Rangliste der Pressefreiheit den 167. Platz von 180
Staaten] ein. „Die belarussischen Medien wurden von den Behörden noch nie
so stark unterdrückt wie seit der umstrittenen Wiederwahl von Lukaschenko
zum Staatsoberhaupt im August 2020“, heißt es in einem Statement von ROG.
Angaben des unabhängigen belarussischen Journalistenverbandes Basch zufolge
sind derzeit 37 [3][Medienmacher*innen in Belarus inhaftiert.] Einer
von ihnen ist der Blogger Ihar Losik. Der 31-Jährige war im Dezember 2021
wegen „Organisation von Massenunruhen“ und „Aufstachelung zu sozialem Has…
zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Losik hat bereits zweimal
versucht, sich in der Haft das Leben zu nehmen.
Die Nichtregierungsorganisation [4][Free Press Unlimited] mit Sitz in den
Niederlanden kommt zu folgendem Befund: „Da fast alle unabhängigen Medien
verboten, Websites gesperrt und/oder als „extremistisch“ eingestuft sind,
was wiederum das Lesen oder Teilen dieser Medien strafbar macht, ist die
belarussische Medienlandschaft eine der restriktivsten der Welt.“
## Kaum mehr Einnahmen
Nicht zuletzt um diesen drakonischen Strafen zu entgehen, haben
mittlerweile zahlreiche Journalist*innen ihre Heimat verlassen und
versuchen, im Exil weiter in ihrem Beruf zu arbeiten. Aber auch da wird die
Luft zusehends dünner. Denn belarussische Medien im Ausland generieren kaum
noch Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft, da potenzielle Geldgeber*innen
die Gefahr, durch Lukaschenkos Regime sanktioniert zu werden, abschreckt.
Erschwerend hinzu kommt, dass exilierte belarussische Journalist*innen
mit ihren ukrainischen und russischen Kolleg*innen um finanzielle
Zuwendungen konkurrieren. In einem Beitrag auf der Webseite des Basch weist
dessen Vize-Vorsitzender Barys Haretski auf ein weiteres Dilemma hin:
Einige internationale Spender*innen setzten fälschlicherweise
belarussische und russische unabhängige Medien und die Größe von deren
jeweiligem Heimatpublikum gleich.
Vor allem kleine belarussische Medien seien nicht in der Lage, die
finanzielle Krise durchzustehen, vielen von ihnen drohe die Schließung. „Es
ist sehr wichtig, die Verbindung zum belarussischen Publikum
aufrechtzuerhalten. Damit dieses Publikum nicht der russischen und
belarussischen Propaganda in die Hände fällt“, zitiert der Sender Radio
Freies Europa Haretski.
## Menschen müssen erreicht werden
Dieser Einschätzung dürfte wohl auch Christian Trippe zustimmen. Dem Druck
nachzugeben ist für ihn keine Option. Vielmehr müsse es jetzt darum gehen,
in technische Umgehungsstrategien zu investieren, um die Menschen in
Belarus, aber auch in Russland weiter zu erreichen. Das funktioniere am
besten im Verbund mit anderen internationalen Programmanbietern.
In diesem Zusammenhang erinnert sich der DW-Osteuropa-Chef an einen Chat,
in dem Nutzer*innen eine Sendung von DW Belarus kommentiert hätten. Wie
habe es da geheißen: „Danke, dass ihr uns nicht vergessen habt.“
13 May 2024
## LINKS
[1] http://www.dw.com/ru
[2] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus
[3] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!5945462
[4] https://www.freepressunlimited.org/en
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
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