# taz.de -- Gen Z im Porträt: „Wir brauchen Visionen“ | |
> Der Fotograf John Kolya Reichart zeigt die vielen Gesichter der Gen Z. | |
> Wovon träumen junge Volljährige? Was fürchten sie? | |
wochentaz: Herr Reichart, Sie haben 18-Jährige mit der Kamera porträtiert | |
und zu ihrem Leben befragt. Wie kamen Sie auf die Idee? | |
John Kolya Reichart: Ich hatte zuvor ein Fotoprojekt in der Eisenacher | |
Straße in Berlin gemacht, für das ich 100 Menschen zwischen 1 und 100 | |
Jahren porträtiert habe. Bei den Gesprächen fand ich die Perspektive der | |
jungen Erwachsenen besonders spannend – diese Umbruchphase, in der | |
einerseits noch so eine kindliche Naivität durchscheint, aber | |
andererseits auch schon ganz viel da ist an Reife und Weitblick. So kam ich | |
auf die Idee, eine Fotoarbeit mit der Fragestellung zu machen: Was bewegt | |
die junge Generation in diesen Zeiten in unserem Land? Wie blicken sie auf | |
die Welt? | |
Sie meinen, in Zeiten der „Zeitenwende“? | |
Ja, genau. Vor vier, fünf Jahren habe ich selbst noch anders auf diese Welt | |
geschaut. Ich glaube, dass wir damals mehr Antworten als Fragen hatten und | |
sich dieses Verhältnis umgekehrt hat. Ich bin mit so einem Vertrauen in die | |
Welt aufgewachsen, die Verunsicherung trifft mich heute als Erwachsener, | |
mit Anfang 40. Wie muss es der Generation damit gehen, die gerade erwachsen | |
wird? | |
Und welche Antwort haben Sie auf diese Frage gefunden? | |
Ich habe beobachtet, dass da insgesamt doch wenig Naivität war. Und auch | |
wenig Zuversicht, wenn es in den Gesprächen um die Zukunft ging – ihre | |
eigene oder die der Welt als Ganzes. Das Thema war oft mit Angst besetzt. | |
Es war niemand dabei, der oder die gesagt hätte: Ich habe richtig Bock, in | |
diese Welt zu gehen. Bestenfalls fielen so Aussagen wie: Das ist alles ganz | |
schön schwierig, aber ich glaube schon auch, dass wir daran wachsen können. | |
Kürzlich ging die neue Trendstudie [1][„Jugend in Deutschland 2024“] durch | |
die Presse. Gen Z, also alle 14- bis 29-Jährigen, seien unzufriedener mit | |
den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen als in früheren | |
Befragungen. Wie haben Sie das wahrgenommen? | |
Ja, die Unzufriedenheit hat sich in der pessimistischen oder ängstlichen | |
Haltung gegenüber der Zukunft in den Interviews schon widergespiegelt. Ich | |
denke, das hat viel mit der global angespannten Situation zu tun. Die | |
Coronakrise, dann die Kriege, der Klimawandel sowieso, diese Umstände | |
müssen sie in ihrem jungen erwachsenen Leben sehr prägen. | |
Ein weiteres Ergebnis der Studie besagt, die Angehörigen der Gen Z seien | |
der AfD zugewandter. Teilen Sie diese Beobachtung aus Ihrem Projekt? | |
Nein, eine Zugewandtheit gegenüber der AfD habe ich in keinem Fall bemerkt. | |
Ich habe zwar nicht explizit politische Einstellungen oder | |
Parteipräferenzen abgefragt, aber ich hatte bei niemandem das Gefühl, dass | |
er oder sie rechte oder rechtsextreme Einstellungen gehabt hätte, weder in | |
West- noch in Ostdeutschland. Ihr Grad der Reflektiertheit und eine | |
Zugewandtheit zur AfD gehen für mich auch nicht zusammen. Da haben mich die | |
Ergebnisse der Studie wirklich überrascht. | |
Wer sind die jungen Menschen, die Sie getroffen haben? Wie haben Sie sie | |
gefunden? | |
Ich habe in allen Bundesländern alle möglichen Stellen und Institutionen | |
angeschrieben – Sportvereine, Jugendzentren, Schulen. Und ich habe | |
teilweise auf Reisen auf der Straße junge Menschen angesprochen. Mir war es | |
wichtig, keine Sprecher:innen ihrer Generation zu casten, also | |
Jugendliche, die bereits eine Stimme haben, sondern vor allem denen Raum zu | |
geben, die nicht so sichtbar sind. | |
Was war der größte Unterschied zu Ihrer Jugend? | |
Das hohe Maß an Reflexion, die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken und | |
offen über Gefühle zu sprechen. Das hat mich beeindruckt. Einer zum | |
Beispiel ist ohne Vater aufgewachsen und konnte sehr klar ausdrücken, wie | |
ihn das geprägt hat. Eine andere leidet unter Anorexie und Depressionen und | |
hat frei darüber gesprochen. Ein anderer hat in der Pubertät angefangen, | |
Drogen zu konsumieren, und erklärte mir, inwiefern das für ihn mit seiner | |
Rolle als „Goldjunge der Familie“ zusammenhängt. Das zog sich wirklich | |
durch, unabhängig vom Schulabschluss oder familiären Hintergrund. | |
Was brauchen junge Menschen? | |
Ich denke, es ist wichtig, dass nicht nur über sie gesprochen wird, sondern | |
mit ihnen. Dass ihnen zugehört wird, ihre Einstellungen und Bedürfnisse | |
sichtbar werden. Und ich finde, dass es unserer Gesellschaft an einer | |
übergeordneten Vision fehlt, einer Vorstellung davon, wie wir in Zukunft | |
leben wollen. Ohne diese Vision verharren wir in dem statischen Gedanken: | |
So wie es ist, kann es nicht weitergehen. Das macht es jungen Menschen | |
besonders schwer, eine positive, handlungsorientierte Perspektive gegenüber | |
ihrer Zukunft zu entwickeln. Sie brauchen etwas, woran sie glauben und | |
woran sie sich orientieren und festhalten können, etwas, das über die | |
nächsten paar Monate hinausgeht. | |
Interview: Nora Belghaus | |
## Mia*, 20 Jahre, aus Rostock | |
Gerade mache ich Abitur und hoffe, dass ich das gut meistere. Die Schulzeit | |
war nämlich gar nicht so einfach für mich. Als ich die vierte Klasse | |
wiederholt habe, waren die jüngeren Kinder ganz schön fies zu mir. | |
Ein paar Jahre später, während der Coronapandemie, habe ich mich sehr | |
zurückgezogen und drei Monate in meinem Zimmer verbracht. Da habe ich mich | |
oft alleine gefühlt. Doch das ist zum Glück vorbei. Jetzt freue ich mich | |
darauf, im Sommer bei meinen Eltern auszuziehen und mit meiner Freundin | |
nach Leipzig zu gehen. Dort möchte ich Pädagogik studieren oder Soziale | |
Arbeit oder eine Ausbildung zur Ergotherapeutin machen. | |
Da ich selber schon schwierige Phasen erlebt habe, könnte ich mir | |
vorstellen, dass ich Menschen, denen es gerade selbst nicht so gut geht, | |
vielleicht besser verstehen kann. In den Akutkliniken, in denen ich wegen | |
meiner Essstörung und Depression war, hat es mir echt geholfen, mit anderen | |
Betroffenen zu reden. Wir konnten uns gegenseitig Halt geben, weil wir | |
gerade alle etwas Ähnliches durchmachten. | |
Für unsere Gesellschaft wünsche ich mir, dass mentale Gesundheit nicht mehr | |
so ein Tabuthema ist. Wenn man sagt, ich habe Depressionen, wissen die | |
meisten nicht, wie sie reagieren sollen. Ich finde, dass auch Lehrkräfte | |
mehr Verständnis für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zeigen und sie | |
besser unterstützen sollten. Ich habe das Gefühl, dass sie sonst oft | |
komplett untergehen. Schüler:innen mit Depression schaffen es zum | |
Beispiel vielleicht mal nicht, zwei Wochen am Stück in die Schule zu gehen. | |
Das sollte als Teil der Krankheit angesehen und nicht als faul abgestempelt | |
werden. | |
Natürlich darf man sich da nicht drauf ausruhen. Aber manchmal geht es | |
einfach nicht. Niemand sollte sich für seine Krankheit rechtfertigen | |
müssen. Allgemein wünsche ich mir mehr Akzeptanz untereinander, egal wo man | |
herkommt, wie man aussieht, egal welche Krankheiten man hat oder welche | |
Behinderung, egal wen man liebt. | |
Meine größte Angst ist, dass es mir irgendwann wieder schlecht geht. Mir | |
fallen Veränderungen sehr schwer und deshalb habe ich auch ein bisschen | |
Angst davor, bei meinen Eltern auszuziehen und selbstständig zu werden, | |
eine Ausbildung zu finden, ein Leben aufzubauen. Da wird man nach der | |
Schule schon ein bisschen ins kalte Wasser geworfen. | |
Ich beobachte in meiner Stadt, dass immer mehr Jugendliche rechts werden, | |
es kommen immer mehr rechte Sprüche und Beleidigungen, und das macht mir | |
extrem Angst. Weil ich selbst mit einer Frau zusammen bin, aber auch, weil | |
ich mich frage, was das allgemein für unsere Gesellschaft bedeutet, | |
besonders für all jene, die nicht in das Schema von Rechten passen. | |
Die Beziehung mit meiner Freundin gibt mir Zuversicht, ich freue mich auf | |
unsere gemeinsame Zukunft. Auch, dass ich mittlerweile an einem Punkt bin, | |
an dem ich für mich selber kämpfe und gesund werden will und nicht mehr der | |
Anpassungsdruck der Gesellschaft der Antrieb dafür ist. | |
Ich bekomme gerade auch viel Unterstützung von meiner Familie und | |
Freund:innen. Dafür bin ich dankbar, weil ich weiß, dass das nicht | |
selbstverständlich ist. In meinem näheren Umfeld fühle ich mich zu hundert | |
Prozent so akzeptiert, wie ich bin. Im öffentlichen Raum sieht das | |
allerdings anders aus. Letzte Woche waren wir im Club, und meine Freundin | |
wurde als Schwuchtel beleidigt, weil sie kurze Haare hat. Unsere | |
Freundinnen haben uns sofort verteidigt und gesagt: Seid ihr homophob, oder | |
was? Geht weg, lasst uns in Ruhe! | |
Auch wenn es eine echt beschissene Situation war, war es hinterher ein | |
schönes Gefühl, dass die anderen so für uns da waren. | |
Protokoll: Katharina Höring | |
* Name auf Wunsch geändert | |
## Marius, 20 Jahre, aus Anklam in Mecklenburg-Vorpommern | |
Geboren und aufgewachsen bin ich in Anklam und wohne hier auch jetzt noch. | |
Das Leben in so einer Kleinstadt bedeutet, dass um Punkt neun die | |
Bürgersteige hochgeklappt werden. In der gesamten Stadt ist dann | |
Feierabend. Es gab mal einen Jugendclub, der wurde abgerissen. Eine | |
Cocktailbar gibt es schon ewig nicht mehr. So findet vieles im Privaten | |
statt. Ich würde das aber nicht als etwas grundsätzlich Negatives abtun. Es | |
kann Freundeskreise auch enger zusammenschweißen. | |
Viele Freunde von mir sind nach der Schule nach Greifswald oder Berlin | |
gezogen. Ich aber fühle mich in der Großstadt nicht wohl. Es sind zu viele | |
Menschen, es passiert viel zu viel auf einmal. Momentan mache ich einen | |
Bundesfreiwilligendienst im Rettungsdienst und suche einen Ausbildungsplatz | |
zum Notfallsanitäter. Ich mag es, dass man in diesem Beruf in so kurzer | |
Zeit auf so viele verschiedene Menschen trifft und ihnen direkt helfen | |
kann. | |
Letztes Jahr habe ich mein Abitur gemacht und habe seitdem mehr Zeit für | |
mein Ehrenamt. Ich engagiere mich seit drei Jahren bei der Hundestaffel des | |
Deutschen Roten Kreuzes. Die wird eingesetzt, wenn jemand als vermisst | |
gemeldet wird. Manchmal haben sich diese Menschen suizidiert oder sind | |
ermordet worden. Es sind harte Schicksale, denen man da begegnet, deshalb | |
prägen mich diese Einsätze sehr. Wenn wir eine demente Frau, die von ihrem | |
Wohnort weggelaufen ist, wiederfinden und zu ihrer Familie zurückbringen, | |
ist das das schönste Gefühl. Ich habe durch diese Arbeit gelernt, mein | |
Leben mehr wertzuschätzen. | |
2018 bin ich über einen Freund zum Jugendparlament gekommen und gestalte | |
Kommunalpolitik mit. Seither weiß ich, dass man für politische | |
Veränderungen kämpfen muss. Und egal wie klein sie sind, oft lohnt es sich. | |
Im selben Jahr bin ich durch einen Upcycling-Workshop auf das | |
Jugendzentrum „Demokratiebahnhof“ gestoßen. Weil ich’s so schön mit den | |
Leuten fand, bin ich wieder hingegangen. Mittlerweile bin ich Vorsitzender | |
des Jugendclubs, wo wir unter dem Motto „Bunt statt braun“ Projekte und | |
Veranstaltungen organisieren. Leider ist das alte Backsteingebäude des | |
Demokratiebahnhofs aktuell wegen seines schlechten Zustands geschlossen. | |
Ich wünsche mir, dass Menschen nicht immer nur den Fokus aufs Negative | |
richten, sondern auch mal ihre Privilegien checken. Ich frage mich | |
manchmal, über was für Probleme wir hier eigentlich sprechen. Menschen in | |
Deutschland haben alles. Die meisten haben keine Kriegserfahrung, reichlich | |
Essen, Strom, fließend Wasser, Internet, genug Geld, um in den Urlaub zu | |
fahren. Wir sind nun mal im Umbruch, das ist die ganze Welt. Man kann gern | |
irgendwo hin auswandern, da wird es aber nicht anders sein. Die Menschen | |
stellen sich ihrer Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen nicht, | |
sondern schieben sie weg. Das soll jetzt gar nicht so mindsetcoach-mäßig | |
klingen, aber ich finde, wir sollten mehr wertschätzen, was wir haben. | |
Der Rechtsruck in Deutschland beschäftigt mich sehr. Aber ich bin | |
zuversichtlich, dass wir dagegen noch etwas bewegen können. Ich erlebe | |
immer wieder Leute, die Bock haben, was zu reißen. Wir haben hier Ende | |
letzten Jahres zur kommenden Kommunalwahl am 9. Juni das Wählerbündnis | |
gegründet, das die Linke, SPD und Mitglieder ohne Parteizugehörigkeit | |
verbindet. Aktuell arbeiten wir an der Kampagne. Obwohl es sich oft so | |
anfühlt, als sei es schon fast zu spät dafür, das Ruder noch mal | |
rumzureißen, wuppt doch jeder irgendwie seinen Teil, um den Leuten gute | |
alternative Ideen anzubieten. | |
Die Kraft der Gemeinschaft motiviert mich, und doch macht mir die | |
politische Entwicklung in Deutschland Angst. Angst, dass wir an einen Punkt | |
kommen, an dem man den eigenen Nachbarn nicht mehr in die Augen gucken | |
kann, weil die politischen Ansichten zu sehr auseinanderdriften. Ich | |
glaube, wir müssen auch lernen, für das Gemeinwohl und den | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt so manche eigene Forderung etwas | |
zurückzustellen, damit ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Zum | |
Beispiel beim Gendern. | |
Obwohl ich ein großer Verfechter vom Gendern bin, verstehe ich auch | |
diejenigen, die es nicht okay finden, wenn einem an der Uni das | |
Nichtgendern rot angestrichen wird. Zumal es genug Menschen gibt, die schon | |
mit dem einfachem Satzbau Probleme haben. Dass für sie Sprache durch | |
Gendern nicht einfacher wird, verstehe ich. | |
Protokoll: Maria Disman | |
## Maaradji, 18 Jahre, aus Kaiserslautern | |
Ich bin zusammen mit meinen zwei jüngeren Geschwistern bei meinem Vater in | |
Kaiserslautern aufgewachsen. Meine Eltern stammen aus Algerien. An meine | |
Mutter habe ich allerdings kaum Erinnerungen, die beiden haben sich | |
getrennt, als ich vier Jahre alt war. Mein Vater war daraufhin | |
alleinerziehend. Wir haben zwischenzeitlich eineinhalb Jahre in Oran an der | |
Küste Algeriens gelebt, dann in Stuttgart, dann wieder in Kaiserslautern. | |
Armut ist eine grundlegende Erfahrung meiner Kindheit. Mein Papa war | |
zeitweise arbeitslos, wir haben Hartz IV bezogen. Manchmal hat er auch | |
Arbeit gefunden, meistens als Reinigungskraft. Wenn man arm ist, geht es | |
nicht „nur“ darum, dass man sich keine coolen Klamotten leisten kann. Es | |
ist grundlegender. Ich konnte zum Beispiel keine Kindergeburtstage feiern | |
wie andere. Ich bekam keine Nachhilfe in Fächern, in denen ich nicht so gut | |
war – das war zu teuer. Dabei war schulischer Erfolg sehr wichtig für mich. | |
In der Schule konnte ich mich beweisen. | |
Ich bin eher pessimistisch, wenn ich an die Zukunft denke. Vor allem macht | |
mir der Rechtsruck Sorge, den wir in vielen Nationen in Europa sehen. | |
Marginalisierte Gruppen haben es dort immer schwerer. Ich wünsche mir, dass | |
sich dieser Trend umkehrt und dass deren Rechte geachtet werden. Auch der | |
Klimawandel macht mir Angst; ich hoffe, dass wir das irgendwie geregelt | |
bekommen. | |
Positiv sehe ich den technischen Fortschritt, vor allem in der Medizin. Was | |
K.I. angeht, bin ich etwas skeptischer, vor allem in der Kunst zerstört sie | |
meines Erachtens die Originalität. Ich wünsche mir am meisten, dass | |
Kinderarmut bekämpft wird und abnimmt. | |
Mut machen mir die vielen Menschen, die sich aktiv beteiligen, um die | |
Situation zu verbessern. Ich selbst besuche Demonstrationen, engagiere mich | |
bei der Antifa. Und ich werde wählen gehen, zum ersten Mal im Juni. | |
Zunächst will ich mein Abitur machen und danach studieren, | |
Sozialwissenschaften oder Soziologie. Ich könnte mir vorstellen, auf eine | |
Professur hinzuarbeiten oder Journalist*in zu werden. Eine längere | |
Beziehung habe ich noch nicht gehabt, aber irgendwann wünsche ich mir auch | |
eine Partnerschaft. Auf jeden Fall will ich weggehen von hier. Ich möchte | |
in einer größeren Stadt leben, am liebsten in Berlin. | |
Protokoll: Jens Uthoff | |
* Maaradji möchte nur beim Nachnamen genannt werden | |
## Fee*, 19 Jahre, aus Berlin, lebt heute in Eberswalde | |
Ich denke in Farben, Formen oder Texturen. Schon seit meiner Kindheit. Ich | |
male viel, spiele Gitarre und drücke so meine Gedanken und Gefühle aus. | |
Durch Kunst adressiere ich das, was in meinem Kopf vor sich geht, Träume, | |
Wünsche. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir weniger konsumieren und | |
nicht irgendwelchen Idealen hinterherlaufen, ohne sie zu hinterfragen. | |
Ich komme aus Berlin, aber schon seit meiner Kindheit fühle ich mich zu | |
einem Leben auf dem Land hingezogen. In der Großstadt kommen mir die | |
Menschen von der Natur entfremdet vor. Konsum kann zwar Spaß machen, aber | |
eben auch viel zerstören. Mein Aufwachsen in Berlin hat mir gezeigt, dass | |
unser Wirtschaftssystem mit Nachhaltigkeit nur schwer zu vereinbaren ist. | |
Es wird immer noch immer mehr produziert, dabei sind die Ressourcen unseres | |
Planeten doch endlich. Wir sollten Umweltschutz viel ganzheitlicher denken. | |
Das hat mich auch zu meinem aktuellen Studium inspiriert. Nach meinem Abi | |
habe ich mir ein Jahr Zeit genommen, um erst mal zu jobben und in Ruhe | |
herauszufinden, was ich im Leben machen möchte. Letztes Jahr bin ich dann | |
für mein Studium des Holzingenieurwesens nach Eberswalde gezogen. Ich | |
möchte einen Beitrag dazu leisten, dass die Natur nicht ausgemerzt wird, | |
dass Wirtschaftlichkeit und Natur bestmöglich in Einklang gebracht werden. | |
Ich würde später gerne Tiny-Häuser bauen oder ein kleines Unternehmen | |
aufbauen, das nachhaltig mit Holz baut. | |
Und ich träume davon, mit meiner Arbeit später öffentliche, | |
gemeinschaftliche Räume zu schaffen. Ich habe bemerkt, dass im öffentlichen | |
Raum, insbesondere in der Stadt, zu wenige Räume existieren, in denen man | |
sich auf das Zwischenmenschliche fokussieren kann, außer man konsumiert | |
etwas im Café. Wenn es mehr andere Räume gäbe, würden sich Menschen aus den | |
unterschiedlichsten sozialen Schichten begegnen, statt so isoliert in ihren | |
Bubbles zu leben. | |
Ich stelle mir die Gesellschaft der Zukunft als eine große Gemeinschaft | |
vor. Ich bin der festen Überzeugung, wenn sich Menschen mit verschiedenen | |
Biografien gegenseitig besser kennenlernen würden, hätten sie viel weniger | |
Vorurteile. Dann würden sie auch verstehen, warum unterschiedliche | |
gesellschaftliche Schichten unterschiedliche Konsumverhalten haben. | |
Nur in der Gemeinschaft kann man für Probleme, die sich aus solchen | |
Unterschieden ergeben, eine Lösung finden. Angst macht mir das Thema | |
Künstliche Intelligenz. Ich habe das Gefühl, dass Menschen es sich immer | |
bequemer machen. KI-Anwendungen werden uns in Zukunft immer mehr Aufgaben | |
abnehmen. Ich habe Angst vor der Entmündigung der Menschen, davor, dass uns | |
irgendwann sogar das Denken abgenommen wird. | |
Wenn ich mir die Welt anschaue und mal wieder meine Zweifel daran habe, | |
dass wir es noch hinkriegen, die Menschen vor dem Verlust ihrer Zuhause zu | |
bewahren, weil der Meeresspiegel immer mehr steigt oder die Dürren | |
zunehmen, gibt mir mein soziales Umfeld Halt und Zuversicht. | |
Protokoll: Maria Disman | |
* Name auf Wunsch geändert | |
## Fatima, 19 Jahre, aus Halver in Nordrhein-Westfalen | |
Seitdem ich 15 Jahre alt bin, bin ich als Influencerin auf Instagram und | |
Tiktok unterwegs. Dort schauen mir viele Menschen beim Leben zu, ungefähr | |
21.000 Follower, mit einigen bin ich früher zur Schule gegangen. Wenn man | |
unter 18 ist, Fashion-Content dreht und etwas macht, was die anderen nicht | |
machen, dann reden die anderen Schüler über einen. Das habe ich oft auch | |
mitbekommen, und nicht alles, was die geredet haben, stimmte. | |
Die meisten Urteile waren eher negativ als positiv. Manchmal fühlte ich | |
mich von ihnen gemobbt. Das hat mich stark geprägt. Ich glaube, viele waren | |
oder sind neidisch auf mich, weil ich mache, was mir Spaß macht. Schon mit | |
fünf wusste ich, dass ich mal etwas mit Mode machen wollte. Es ist also | |
wirklich eine Leidenschaft von mir. Ich glaube, das spüren die anderen. | |
Influencerin sein gibt mir Glücksgefühle und ist auch eine Art Empowerment | |
für mich als Frau. Ich kann mich dort zeigen, wie ich möchte. Mein Vater | |
findet, dass es too much ist, wie ich mich kleide, zu freizügig, aber ich | |
lass mir da nichts sagen. Mit meinen Videos und Fotos möchte ich den | |
Menschen zeigen, dass man alles anziehen kann, was man will. | |
Für mich bedeutet Fashion nicht einfach nur Klamotten. Da steckt viel mehr | |
dahinter. Es ist auch Ausdruck der Persönlichkeit, der eigenen Ästhetik und | |
Selbstverwirklichung. Manchmal kommentieren auch Follower, ich würde mich | |
zu freizügig anziehen oder wie ein Junge stylen, wenn meine Klamotten mal | |
sehr weit sind. Mit der Zeit habe ich gelernt, bei Hate-Kommentaren gilt: | |
in das eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Ich werde ihre | |
Meinung über mich eh nicht ändern können, und es allen recht zu machen, | |
funktioniert auch nicht. | |
Ich wünschte, die Menschen würden einander mehr akzeptieren, statt ständig | |
zu judgen, nur weil andere vielleicht andere Träume haben als man selbst. | |
Als ich noch in der Schule war und die Lehrer gefragt haben, was unsere | |
Ziele sind, und ich mit Social Media und Fashion antwortete, fühlte ich | |
mich nie ernst genommen, so als wäre mein Traum „nichts Richtiges“. Das hat | |
mich manchmal ganz schön demotiviert. Ich hoffe, dass wir uns als | |
Gesellschaft irgendwann gegenseitig supporten, egal wie unterschiedlich | |
unsere Träume sind. | |
Seitdem ich zwölf bin, habe ich immer so ein Skizzenbuch dabei, wo ich | |
Outfits reinmale. Ich hoffe, in einigen Jahren eine eigene Fashion-Brand zu | |
haben, die anderen Mädchen und Frauen das Gefühl gibt, dass man als Frau | |
alles schaffen kann. Momentan shoote ich für ein Lookbook, also ein | |
Portfolio für meine Stylingjobs, damit ich richtige Stylistin werden kann. | |
Ich bin überzeugt, wenn man motiviert ist, die eigenen Ziele zu erreichen, | |
dann wird es auch klappen, egal was andere sagen. Deshalb bin ich | |
zuversichtlich, habe keine Zukunftsängste und auch keinen Plan B. Egal wie | |
viele Hate-Nachrichten ich auch kriege, ich konzentriere mich auf das | |
Positive und auf meinen Traum, Stylistin zu werden. | |
Protokoll: Maria Disman | |
16 May 2024 | |
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