# taz.de -- Old-Money-Trend in der Mode: Poloshirts fürs Präkariat | |
> Unsere Autorin gehört nicht zu den reichsten Ein-Prozent der | |
> Weltbevölkerung, aber sie zieht sich so an. Was es mit dem Rich-Kid-Drag | |
> auf sich hat. | |
Bild: Zeitlose „Old Money“-Ästhetik: Auch die jungen Windsors trugen Polos… | |
Ob mich ein bestimmter Trend emotional berührt, werde ich gefragt und sage | |
nein. Ob irgendetwas mit mir passiert, wenn ich bestimmte Dinge trage, so | |
wie früher, als ich im zitronengelben Anzug zur Arbeit ging und mir das | |
tatsächlich etwas gab (gute Laune! Ein, zwei Komplimente!). | |
Nein, ich fühle nichts. Keine Vibes, kein Kribbeln, Mode ist sachlich und | |
unaufgeregt geworden, und während ich das sage, blitzt mein Spiegelbild an | |
der Außenfassade der VHS Reutlingen auf: waldgrüne Steppjacke, brauner | |
Cordkragen, Hornbrille, polierte Loafer. Als käme ich von einem | |
CDU-Parteitag oder, schlimmer noch, vom Gestüt meiner reichen, sehr reichen | |
Eltern. | |
„Old Money Aesthetic“, die Ästhetik des Geldadels, nennt sich der Stil. | |
Seit der Pandemie wird er von der Generation Z millionenfach auf Tiktok und | |
Instagram abgefeiert. „Old Money“ bezieht sich auf die Garderobe von | |
Familiendynastien wie den Kennedys, den Windsors oder den Astors: das | |
Ralph-Lauren-Shirt, der Kaschmirpullover, die zurückgegelten Haare, die | |
Perlenohrringe, niemals Logos und unter keinen Umständen Protz. Denn Geld | |
spricht, Reichtum flüstert. | |
Und dann fühle ich doch etwas. | |
Scham. | |
## Gegenbewegung zu „New Money“ | |
[1][Das HBO-Drama „Succession“], mittlerweile in der vierten Staffel, | |
schürt die Faszination für eine „Old Money“-Ästhetik. In der Serie besit… | |
eine schlecht gelaunte, milliardenschwere Familie aus New York ein | |
Medienimperium – in unauffälligen „Old Money“-Outfits, bei denen das | |
Aufregendste wohl die Preisschilder sind. Machtdemonstration durch subtilen | |
Kleidungsstil. Auf Instagram wird der „Old Money“-Look in bezahlbarer Form | |
nachgestylt. | |
„Old Money“ ist die Gegenbewegung zu „New Money“, zu den Neureichen, die | |
noch nicht wissen, wie man sich in bestimmten Kreisen verhält, wie man sich | |
gibt, wie man spricht, was man darf und was nicht. „Old Money“ blickt auf | |
„New Money“ herab, auf die [2][Kim Kardashians], die langen Fingernägel, | |
die Hiphop-Kultur, die fliegenden Geldscheine. Als gäbe es eine gute und | |
eine schlechte Art, reich zu sein. Wie zynisch. | |
„Old Money“ hat aber sicher auch einen wirtschaftspsychologischen Grund: | |
Während sich die Eltern der Gen Z noch ein Haus am Stadtrand leisten | |
konnten, sind ihre Kinder froh, wenn sie die Miete bezahlen können. Obwohl | |
die Gen Z besser ausgebildet ist, verdient sie nicht mehr. Der Traum vom | |
sozialen Aufstieg, wenn es ihn denn je gab, ist für die meisten | |
ausgeträumt. | |
## Mehr als nur Kleidung | |
Deshalb steht „Old Money“ auch für mehr als nur für Kleidung. Es steht f�… | |
eine Sehnsucht nach etwas, das viele nicht haben können: eine Familie, in | |
der Geld von Generation zu Generation weitervererbt wird und in der kein | |
normaler Mensch jemals dazugehören wird, egal wie sehr er sich anstrengt. | |
Der indische Theoretiker [3][Homi K. Bhabha] hat für diesen sozialen | |
Schutzreflex den Begriff „Mimikry“ geprägt: Die indische Bevölkerung | |
imitierte den Kleidungsstil und Habitus ihrer westlichen Kolonialherren in | |
der Hoffnung auf soziale Anerkennung. | |
Auch die Familiendynastien, von denen „Old Money“ inspiriert ist, | |
verkörpern eine sehr weiße Gesellschaft mit oftmals fragwürdiger | |
Vergangenheit. | |
Ich stehe immer noch vor der spiegelnden Außenfassade und denke an die | |
vielen Kriege, die Inflation und die Klimakrise. Wahrscheinlich hat auch | |
mein Unterbewusstsein gemerkt, dass ich nie zu den reichsten Ein-Prozent | |
der Welt gehören werde. Warum also nicht einfach so tun, als ob? | |
Zumindest solange die Welt noch nicht untergegangen ist. | |
15 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Miriam Amro | |
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