| # taz.de -- Studie klimaschädliche Werbung: Wer hat Lust auf Gummibärchen? | |
| > Kreuzfahrten, Butter, Gummibärchen: Jeder dritte Werbespot auf Youtube | |
| > und im Fernsehen wirbt für klimaschädliche Produkte. Was tun? | |
| Bild: Dieses Produkt wirbt damit, klimaneutral zu sein | |
| Ein klarer Wintermorgen, die Sonne scheint durch die Baumwipfel. Daneben | |
| das ewig weite, tiefblaue Meer. Mittendrin: ein Auto. Oder: ein Luxusliner, | |
| mehrfamilienhaushoch, der durch norwegische Fjorde tuckert, während | |
| sekttrinkende Rentner:innen vom Deck in die Ferne schauen. Diese Bilder | |
| kennt fast jede:r. Denn: Jeder dritte Werbespot wirbt für klimaschädliche | |
| Produkte wie Autos oder Kreuzfahrten, aber auch Fleisch oder Frischkäse. | |
| Zu diesem Ergebnis kommt [1][eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung], die | |
| knapp 10.000 Werbespots auf Youtube und im Fernsehen untersucht hat. Das | |
| Forschungsteam analysierte vier Wochen lang die Werbung auf den 20 | |
| beliebtesten deutschen Youtube-Kanälen und zwei Wochen lang auf den fünf | |
| reichweitenstärksten deutschen TV-Sendern: Das Erste, ZDF, RTL, SAT.1 und | |
| ProSieben. | |
| Bei rund 30 Prozent der Werbespots stufte das Forschungsteam das beworbene | |
| Produkt als klimaschädlich ein. Bei Lebensmitteln heißt das etwa, dass ein | |
| Kilogramm des Produkts mehr als vier Kilogramm CO₂-Äquivalente verursacht. | |
| Um das zu berechnen, griffen die Autor:innen auf existierende Literatur | |
| zurück, die genau solche Werte für verschiedene Produkte berechnet hat. Ein | |
| Beispiel: Frischkäse verursacht 5,5 Kilogramm CO₂-Äquivalente pro | |
| Kilogramm. Ein Spot für Frischkäse gilt demnach als Werbung für ein | |
| klimaschädliches Produkt. | |
| Für Autos und Fernreisen nutzte das Team den CO₂-Rechner des | |
| Umweltbundesamts (UBA). Damit, so Medienforscher und Studienleiter Uwe | |
| Krüger, lasse sich ein sehr genaues Bild der Emissionen zeichnen. Oft | |
| überschreite bereits ein einzelnes Produkt wie ein Neuwagen das | |
| CO₂-Jahresbudget einer Person. Die dahinterstehende Idee ist eine | |
| individuelle Menge an Treibhausgasemissionen, die jedem:r Bürger:in | |
| zusteht, um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben, auf den sich die | |
| Weltgemeinschaft im Klimaabkommen von Paris 2015 geeinigt hatte. Demnach | |
| dürfte ein Mensch rund 1,5 Tonnen CO₂-Äquivalente ausstoßen. Die | |
| Einwohner:innen Deutschlands liegen im Durchschnitt deutlich über | |
| diesem Budget: Sie stießen im Jahr 2023 laut UBA 10,5 Tonnen | |
| CO₂-Äquivalente pro Kopf aus. | |
| ## Wenig nachhaltig | |
| Folgende Produktklassen bewerben besonders oft klimaschädliche Produkte: | |
| „Schokolade, Eis und Gummibärchen“ mit 86 Prozent, „Autos und | |
| Autodienstleister“ mit 78 Prozent, „Körperpflege, Hygiene und Beauty“ mit | |
| 72 Prozent. Der Anteil der Werbung für umweltschädliche Produkte sei im | |
| Fernsehen höher als bei Youtube, schreiben die Autor:innen. „Auf YouTube | |
| wurden online-nahe Güter und Dienstleistungen wie Online-Versandhändler | |
| anteilig stärker beworben als im TV, dafür sehr viel weniger Körperpflege | |
| und Beauty-Produkte und weniger Schokolade. Möglicherweise hat das den | |
| Ausschlag gegeben“, vermutet Krüger. | |
| Die übrigen 70 Prozent der Werbespots preisen keineswegs durchgängig | |
| klimafreundliche Produkte an. Im Gegenteil: Theoretisch ist fast jedes | |
| Produkt umweltschädlich, weil es für eine bestimmte Menge Treibhausgase | |
| verantwortlich ist. Die Grenze ist also bis zu einem gewissen Grad | |
| willkürlich. „Wir haben eine relativ hohe Grenze gewählt.“ Eier, Milch, | |
| Quark, Sahne und Brot liegen darunter, Kaffee, Schokolade, Butter, Käse | |
| sowie die meisten Fleischprodukte darüber. „Wir möchten nicht den Eindruck | |
| erwecken, dass man nichts mehr essen und trinken dürfe, wenn man | |
| klimafreundlich leben möchte“, sagt Krüger. | |
| Wirklich klimafreundliche Werbung – Kampagnen zum Energiesparen, Werbung | |
| für den Umstieg auf Erneuerbare – hat das Team kaum gesehen. | |
| Diskussionen darüber, ob und wie Werbung staatlich reguliert werden sollte, | |
| gibt es schon lange. Zwei Beispiele: In Deutschland beinhaltet Werbung für | |
| Glücksspiel seit dem Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im | |
| Jahr 2006 den Slogan „Glücksspiel kann süchtig machen“. Außerdem muss auf | |
| Zigarettenschachteln und andere Tabakerzeugnisse seit 2014 einer von 14 | |
| möglichen Sprüchen wie „Rauchen kann tödlich sein“ abgedruckt sein. | |
| ## Werbebeschränkungen für mehr Klimaschutz | |
| Und kürzlich, im Jahr 2023, legte Bundesagrarminister Özdemir [2][einen | |
| Gesetzentwurf zur Einschränkung von Junk-Food-Werbung vor,] die sich vor | |
| allem an Kinder richtet. Die Regelungen sollen dazu beitragen, Kinder vor | |
| ungesunder Ernährung und deren Folgen zu schützen. Einigkeit herrscht in | |
| der Bundesregierung bei dem Thema jedoch nicht: Die FDP lehnt den Vorschlag | |
| ab, sie sieht die Ursache im Bewegungsmangel und nicht in der Ernährung. | |
| Was es in Deutschland noch nicht gibt, ist in Frankreich seit zwei Jahren | |
| Praxis: Werbebeschränkungen zur Förderung von mehr Klimaschutz. Seit März | |
| 2022 muss in Autowerbung stets auf umweltfreundliche Alternativen zum | |
| eigenen Auto hingewiesen werden. Werbende müssen dabei eine von drei | |
| Botschaften verwenden: „Für den täglichen Gebrauch öffentliche | |
| Verkehrsmittel nutzen“, „Bei kurzen Wegen lieber gehen oder Rad fahren“ | |
| oder „Über Carsharing nachdenken“, lauten die Optionen übersetzt. | |
| Die Hersteller sind außerdem verpflichtet, in den sozialen Medien einen | |
| Hashtag zu nutzen, der dafür wirbt, bei der Fortbewegung weniger zu | |
| verschmutzen. Das Gesetz gilt für Plakat- und Onlinewerbung sowie Reklame | |
| in Print, Radio und Fernsehen. Bei Fernsehspots muss die Botschaft so lange | |
| eingeblendet werden, dass sie gut lesbar ist. Im Radio folgt die Ansage auf | |
| die Spots. Bei Nichteinhaltung droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. | |
| Die Effektivität von schriftlichen Warnhinweisen bezweifeln einige | |
| Wissenschaftler allerdings. Kurz nach Inkrafttreten des französischen | |
| Gesetzes [3][sagten Glücksspielforscher Tobias Hayer und Marketingforscher | |
| Volker Trommsdorff der taz], dass es effektiver sei, Autowerbung zu | |
| reduzieren oder gänzlich zu verbieten. Beim Glücksspiel etwa seien | |
| schriftliche Warnhinweise im Vergleich zur eigentlichen Werbung oft | |
| verhältnismäßig klein, so Hayer. Auch nach der französischen Regelung | |
| müssen lediglich 7 Prozent der Werbefläche mit einer klimafreundlichen | |
| Botschaft besetzt sein. | |
| ## Berichte, Budget oder ein Verbot? | |
| Das Forschungsteam der Otto-Brenner-Studie hat aber noch weitere Ideen: | |
| Etwa könnte der Gesetzgeber Fernsehsender und Plattformen wie Youtube | |
| verpflichten, regelmäßige Berichte über die Werbung, die bei ihnen gebucht | |
| wird, zu liefern. Diese Berichte enthielten wertvolle Informationen und | |
| wären ohne großen Aufwand machbar, so Krüger: „Bei vielen Sendern gibt es | |
| bereits Listen, welcher Kunde welchen Spot gebucht hat und was das Thema | |
| der Werbung war“. | |
| Oder: ein CO₂-Budget, das skizziert, wie hoch die Emissionen sein dürfen, | |
| die in einem bestimmten Zeitraum in der Werbung beworben werden. Dies hätte | |
| allerdings den Nachteil, dass ein erheblicher Aufwand seitens der | |
| Wissenschaft und der Medienhäuser erforderlich wäre. Die Forschung müsste | |
| weitere Erkenntnisse über einzelne Produkte gewinnen und diese fortlaufend | |
| aktualisieren, die Medienhäuser bräuchten Personal, das sich mit dem | |
| eigenen CO₂-Budget auseinandersetzt. | |
| Theoretisch infrage käme auch ein Verbot von Werbespots für besonders | |
| klimaschädliche Produkte, ähnlich einem Verbot für Zigarettenwerbung im | |
| Fernsehen. Verbote hätten jedoch „politische Sprengkraft“, so Krüger, und | |
| charmanter wäre möglicherweise ein dynamischer Preis: „Wenn man Spots für | |
| klimaschädliche Güter teurer macht und Spots für klimafreundliche Güter | |
| billiger“, sodass sich das für die Medien nicht nachteilig auswirkt, wenn | |
| auf einmal ein bisschen Auto- und Reisewerbung wegfällt, könnte man Werbung | |
| für klimafreundliche Produkte querfinanzieren“, sagt Krüger. | |
| 10 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.otto-brenner-stiftung.de/reklame-fuer-klimakiller/ | |
| [2] /Einschraenkungen-von-Junkfood-Werbung/!5950795 | |
| [3] /Klimaschutz-in-Frankreich/!5828296 | |
| ## AUTOREN | |
| Enno Schöningh | |
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