# taz.de -- Werbeverbot für Süßigkeiten: Großer Kampf gegen kleine Laster | |
> Die Politik diskutiert über ein mögliches Verbot von TV-Werbung für | |
> Süßkram. Verbände machen Druck. Doch die Spots sind längst Kulturgut | |
> geworden. | |
Bild: Nehmen Kinder ab, wenn es weniger Werbung gibt? | |
Ich war ein dickes Kleinkind. Nein, kein süßer Wonneproppen, wie man | |
[1][kleine Kinder mit Speckröllchen an den Unterarmen und Pausbäckchen] | |
gerne nennt. Bis ich ungefähr sieben war, wog ich doppelt so viel wie | |
andere Kinder in meinem Alter. Alle in der Familie wussten, woran das lag: | |
an meiner Oma. Meine Oma war eine herzensgute Frau, sie liebte mich, die | |
erstgeborene Enkeltochter, über alles. | |
Und ich liebte sie über alles. Viele Wochen im Jahr verbrachte ich bei | |
meinen Großeltern auf dem Dorf. In dieser Zeit gab es nicht nur vier | |
vollständige Mahlzeiten, sondern zwischendurch Eis, Schokolade, Bonbons. | |
Ich fand das toll: endlich grenzenlos naschen. Zu Hause begrenzte meine | |
Mutter den Süßigkeitenkonsum stark. Ich betone meine fetten Jahre so stark, | |
weil es zu jener Zeit im Fernsehen keine Süßwarenwerbung gab, die mich zum | |
vermehrten Kekskonsum animiert hatte. Ich war übergewichtig, weil | |
Erwachsene versagt hatten. | |
Das ist heute anders. Heute ist nicht nur das Bewusstsein für gesunde | |
Ernährung insgesamt gestiegen, heute sind Süßigkeiten ein Politikum. Da | |
geht es nicht nur um die Food-Ampel und die Kennzeichnung von Zucker auf | |
Lebensmitteln, sondern auch um das Verbannen von Süßigkeiten an der Kasse, | |
der sogenannten Quengelware. Und es geht um [2][ein Verbot von TV-Werbung | |
für vermeintliche Kindersnacks], zumindest in der Zeit, in der auch Kinder | |
Fernsehen schauen, in der Woche von 17 bis 22 Uhr und am Wochenende bis auf | |
die Nachtstunden ganztägig. | |
## Vertagt – auf irgendwann | |
Eigentlich wollte sich das Bundeskabinett am Mittwoch mit einem | |
Gesetzentwurf beschäftigen, mit dem Ernährungsminister Cem Özdemir Spots | |
für ungesunde Lebensmittel im Internet und Fernsehen stark einschränken | |
wollte. Aber der Termin wurde abgesagt – bislang ohne Auskunft darüber, | |
wann die Debatte wieder aufgenommen wird. | |
Und ja, der grüne Minister und ein Bündnis von Organisationen aus Medizin, | |
Wissenschaft sowie Verbraucher- und Kinderschutz, darunter die | |
Bundesärztekammer, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, das | |
Deutsche Kinderhilfswerk, Foodwatch, die jetzt in einem Brief ein | |
„Verbotsgesetz“ noch vor der Sommerpause fordern – haben recht: Zu viel | |
Zucker, Salz und Fett sind ungesund. | |
Wer mehr als genug davon zu sich nimmt, riskiert übergewichtig zu werden | |
und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck zu bekommen. Wenn | |
es Kinder davon betroffen sind, ist es umso dramatischer. Das dürfte | |
mittlerweile eine Binsenweisheit sein. | |
## Eine Art Kulturgut | |
Und doch scheint der große Kampf gegen die kleinen Laster schwerer zu sein | |
als gedacht. Nicht nur, weil FDP und Werbeindustrie Özdemirs Vorschlag für | |
„politischen Aktionismus“ (FDP-Vize Wolfgang Kubicki) halte[3][n. Sondern | |
auch, weil Fernsehwerbung so etwas wie ein Kulturgut geworden ist]. | |
Jedenfalls gehört Süßigkeitenreklame bei den Boomern so fest zur Kindheit | |
wie die Kultserien „Dick und Doof“, „Flipper“ und „Vier Panzersoldate… | |
ein Hund“. | |
Wer von den heute 50- und 60-Jährigen kann nicht noch TV-Spots mitsprechen | |
wie: „Nutella – Lebensbausteine für jeden Tag“. Oder die Unterhaltung | |
zweier (schlanker) Frauen. Fragt die eine die andere, die gerade herzhaft | |
in einen Schokoriegel beißt: „Du und naschen?“ „Ach, was naschen. Das ist | |
doch Banjo – schmeckt toll und leicht.“ Am Ende ist der Riegel groß in der | |
Kamera: „Banjo, so wird Naschen leicht gemacht.“ Oder der Schwung in der | |
Langnese-Werbung, der in der erster Linie vom Beagle-Song „Ice in the | |
sunshine“ kommt. Für manche Kinder war das möglicherweise das erste Lied, | |
das sie in Englisch mitsingen konnten. | |
Gut möglich, dass Kinder sich gesünder ernähren, wenn sie keine Werbung für | |
Haribo, Snickers und Duplo sehen. Das Grundproblem jedoch bleibt. Die | |
Verantwortung liegt bei den Erwachsenen, Eltern, Pädagog:innen, | |
Erzieher:innen. Wenn sie eine gesunde Ernährung vorleben, kombiniert mit | |
Sport und, ach ja, ohne Alkohol- und Zigarettenkonsum, überträgt sich das | |
auf Kinder. Und noch etwas: Preisgünstigeres Obst und Gemüse wären auch | |
nicht schlecht. Die meisten Kinder lieben es. | |
18 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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