# taz.de -- Neue Zahlen zum Bürgergeld: Arbeitslose doch nicht so faul | |
> Für sogenannte Totalverweiger*innen hat die Ampel die Sanktionen | |
> verschärft und die FDP will es noch härter. Dabei geht es nur um wenige | |
> Fälle. | |
Bild: Abgestempelt: Knapp 16.000 Mal wurden Leistungen von Verweiger*innen gek�… | |
BERLIN taz | Die Debatte über Arbeitslose, die nicht arbeiten wollen, läuft | |
sei Monaten. Jetzt gibt es erstmals aktuelle Zahlen: [1][Laut einer | |
Auswertung der Bundesagentur für Arbeit] haben die Jobcenter zwischen | |
Februar und Dezember 2023 insgesamt 15.774 mal Bürgergeld-Leistungen | |
gekürzt, weil sich die Betroffenen einer Arbeit, Ausbildung oder | |
Fördermaßnahme verweigert haben. Bei knapp 4 Millionen erwerbsfähigen | |
Bürgergeld-Empfänger*innen entspricht das einer Quote von maximal rund 0,4 | |
Prozent. | |
Relativ wenig Auswirkungen auf die Praxis wird also eine Gesetzesänderung | |
haben, auf die sich die Ampelkoalition zu Jahresbeginn | |
öffentlichkeitswirksam geeinigt hatte: Früher konnten die Jobcenter den | |
Verweiger*innen nur bis zu 30 Prozent des Regelsatzes streichen, jetzt | |
sind es für bis zu zwei Monate 100 Prozent. „Wer nicht mitzieht und sich | |
allen Angeboten verweigert, muss mit härteren Konsequenzen rechnen“, hatte | |
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der Bild-Zeitung gesagt. | |
170 Millionen Euro, so die Angaben seines Ministeriums, ließen sich so im | |
Haushalt sparen. [2][Eine Datengrundlage konnte es für diesen Betrag | |
allerdings nicht nennen]. Auch mit den knapp 16.000 Fällen, die die | |
Bundesagentur jetzt meldet, lässt sich nicht ohne Weiteres rechnen: | |
100-Prozent-Sanktionen erlaubt auch das neue Gesetz nur im mehrfachen | |
Wiederholungsfall. Die Zahl der betroffenen sogenannten | |
Totalverweiger*innen ist also auf jeden Fall noch niedriger, wird | |
aber weiterhin nicht genau beziffert. | |
Die Mitte-rechts-Parteien fordern dennoch, diese Gruppe noch härter zu | |
sanktionieren. Im Jahr vor der Bundestagswahl stellen sie dieses Ansinnen | |
in den Mittelpunkt ihrer Sozialpolitik. So will die CDU den | |
Totalverweiger*innen künftig die Leistungen nicht nur für zwei | |
Monate, sondern dauerhaft streichen. | |
„Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund | |
eine ihm zumutbare Arbeit ab, soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass | |
er nicht bedürftig ist. Ein Anspruch auf Grundsicherung besteht dann nicht | |
mehr“, heißt es [3][im Konzept für eine „Neue Grundsicherung“, das die | |
Union im März vorstellte.] | |
## „Wirtschaftswende“ durch Sanktionen? | |
In der FDP hält man das zwar für verfassungsrechtlich nicht umsetzbar. Aber | |
auch die Freidemokrat*innen wollen die Sanktionen noch weiter | |
verschärfen. Ein Papier für den Parteitag am Wochenende, über das am | |
Sonntag die Bild berichtete, fordert eine „Wirtschaftswende“. Es sieht | |
unter anderem beim Bürgergeld vor, schon nach dem ersten abgelehnten | |
Jobangebot 30 Prozent des Regelsatzes zu streichen. Bisher sind es im | |
ersten Schritt nur 10 und im zweiten 20 Prozent. | |
Auf dem Kurznachrichtendienst X kritisierte Ulrich Schneider, | |
Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, entsprechende | |
Forderungen der Liberalen. „Wenn sich jemand wie besessen an einem Problem | |
abarbeitet, dass es praktisch so gut wie gar nicht gibt … wie nennt man | |
das?“, schrieb er. | |
Dagegen verteidigte Jens Teutrine, in der FDP-Bundestagsfraktion für das | |
Bürgergeld zuständig, Sanktionsverschärfungen trotz der neuen Zahlen der | |
Bundesagentur. „Es ist eine Frage des Respekts gegenüber den Steuerzahlern, | |
dass in der Grundsicherung für Arbeitssuchende Mitwirkungspflichten | |
gelten“, sagte er der taz. Es brauche eine konsequentere Anwendung der | |
Sanktionsmöglichkeiten. „Daher sind Anpassungen und klarere Richtlinien | |
erforderlich. Es ist irreführend zu glauben, man könne auf jegliche | |
Mitwirkungspflichten verzichten, da potenzielle Sanktionen auch ohne ihre | |
Anwendung zu einer positiven Mitwirkung beitragen können.“ | |
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch ging auf Anfrage nicht auf die | |
geringe Zahl der Totalverweiger*innen ein. Für eine Wirtschaftswende | |
hält er aber eine andere Stoßrichtung für nötig als die FDP in ihrem | |
Parteitagspapier. „Um unseren Wohlstand zu sichern, müssen wir | |
investieren“, sagte er. Dafür brauche es eine Reform der Schuldenbremse. | |
Statt den Druck beim Bürgergeld weiter zu erhöhen, will er zudem Jobs | |
attraktiver machen. „Wir müssen dafür sorgen, dass sich Arbeit mehr lohnt. | |
Das heißt mehr Tariflöhne und einen fairen Mindestlohn“, so Audretsch. Ein | |
Konzept seiner Fraktion sieht als Lohnuntergrenze 60 Prozent des | |
Medianlohns vor. | |
21 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.arbeitsagentur.de/presse/2024-15-leistungsminderungen-in-der-gr… | |
[2] /Kuerzungen-beim-Buergergeld/!5979944 | |
[3] /CDU-Rueckstoss-zum-Buergergeld/!5996235 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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