# taz.de -- Autorin über Gewalt bei Geburten: „Kinder kriegen und Klappe hal… | |
> Verbale Übergriffe und körperliche Gewalt: Gebärende machen belastende | |
> Erfahrungen im Kreißsaal, sagt Lena Högemann. Warum das so ist und was | |
> sich ändern müsste. | |
Bild: Im Still Lab trainieren angehende Hebammen mit Ganzkörpersimulatoren die… | |
taz: Frau Högemann, der erste Satz Ihres Buches lautet: „Der Tag, an dem | |
ich Mutter wurde, war der schlimmste Tag meines Lebens.“ Was ist passiert? | |
Lena Högemann: Von uns Frauen wird erwartet, dass wir den Tag der Geburt | |
unseres Kindes als glücklichen Tag erleben. Aber ich habe an keinem anderen | |
Tag solche Fremdbestimmung, Übergriffe und Demütigung erlebt wie an dem | |
Tag, als ich Mutter wurde. | |
Können Sie konkreter werden? | |
Psychisch war es furchtbar. Die Hebamme hat mir von Anfang an gesagt: Was | |
ich mache, reiche nicht, das werde so nichts. Als ich weinte, sagte sie, | |
das würde mir jetzt auch nicht helfen. Körperlich ging es los mit | |
Wehentropf und PDA, also der Betäubung übers Rückenmark, beide Eingriffe | |
waren medizinisch nicht nötig und wurden mir überhaupt nicht erklärt. Das | |
habe ich aber erst verstanden, als ich später meine Akte gelesen habe. | |
Hebamme und Ärztinnen wollten offenbar, dass ich mein Kind schneller kriege | |
– die Kreißsäle waren ja voll. Ein Dammschnitt wurde mir dann nicht einmal | |
mehr angekündigt. Meine Tochter kam schließlich per Saugglocke zur Welt. Es | |
war ein Albtraum. | |
Ist das nicht eine Erfahrung, die viele Frauen so machen? | |
Doch, [1][genau das ist ja das Problem]. Ich habe für mein Buch mit rund 30 | |
anderen Müttern und Vätern gesprochen. All diese Frauen haben bei der | |
Geburt psychische, verbale und körperliche Gewalt erfahren. Einige | |
besonders krasse Fälle: Eine Frau berichtet, wie der Eingang ihrer | |
Gebärmutter gewaltvoll aufgedehnt wurde. | |
Bei einer weiteren hat die Narkose für den Kaiserschnitt nicht gewirkt, | |
aber sie wurde nicht gehört. Beim sogenannten Kristeller-Manöver, bei dem | |
Ärzt*innen starken Druck auf den Bauch der Gebärenden ausüben, riss | |
vermutlich die Milz einer Frau. Mehrere Gebärende haben berichtet, sie | |
hätten sich unter der Geburt gefühlt wie Vieh. Das darf nicht sein. | |
Sie haben Schätzungen des Vereins Mother Hood hochgerechnet, wie viele | |
Frauen [2][ihre Geburt als Belastung empfinden]. Das trifft auf 130.000 bis | |
280.000 Frauen jährlich zu – bei 680.000 bis 700.000 Geburten jährlich. | |
Warum ist das gesellschaftlich kaum ein Thema? | |
Da sind wir sehr schnell beim Patriarchat: Kinder kriegen und Klappe | |
halten. Frauen sollen sich ja auch nicht über ungerecht verteilte | |
Care-Arbeit beschweren. In vielen Bereichen wird uns nicht zugestanden, | |
Ungerechtigkeiten zu thematisieren oder zu ändern. Bei Geburten wird das | |
besonders deutlich. Wir befinden uns in einer sehr verletzlichen | |
Situationen, wenn wir Kinder bekommen. | |
Viele Frauen trauen sich nicht, während der Geburt zu widersprechen oder | |
fragen sich hinterher, was sie falsch gemacht haben. Ich selbst habe mich | |
monatelang gefragt, ob ich das Verhalten meiner Hebamme mit irgendetwas | |
provoziert hatte. Mich haben ihre Aussagen jahrelang nicht losgelassen. | |
Kann es selbstbestimmte Geburten letztlich überhaupt geben? Schließlich | |
haben ja Gebärende nicht generell medizinische Expertise. | |
Natürlich ist da ein Machtgefälle zwischen Ärzt*innen, Hebammen und | |
Gebärender. Zudem schwebt über einer Geburt immer die Drohung, [3][dass dem | |
Kind etwas passieren könnte]. Natürlich muss dann getan werden, was nötig | |
ist. Genau das setzt Frauen unter Druck, weil sie ihr Kind ja nicht | |
gefährden wollen. Aber diese hochgefährlichen Situationen betreffen viel | |
weniger Frauen als die, die ihre Geburt als gewaltvoll erleben. Es ist | |
nicht nur in der Geburtshilfe so – aber hier scheint es mir besonders | |
zutreffend zu sein, dass Betroffenen von Gewalt nicht zugestanden wird, | |
betroffen zu sein. | |
Was würde helfen? | |
Man kann zum Beispiel beeinflussen, welchen Geburtsort man wählt und ob man | |
sich dort wohlfühlt. Kliniken sind Dienstleister – und ich kann woanders | |
hingehen, wenn ich das möchte. Zudem gibt es eine Leitlinie zur vaginalen | |
termingerechten Geburt. Die beschreibt den höchsten Stand der Wissenschaft, | |
aber sie wird leider oft nicht angewendet. Wer sie vorher zumindest gelesen | |
hat, kann im Zweifel mitreden, wenn Dinge passieren, die nicht gewollt sind | |
– oder der Partner oder die Partnerin kann mitreden. | |
Das Ziel unter der Geburt ist, die Entscheidung für das, was als nächstes | |
passiert, gemeinsam zu treffen. Viele Frauen sagen zum Beispiel, sie hätten | |
gespürt, dass eine bestimmte Position für sie nicht funktioniert. Aber | |
Ärzt*in oder Hebamme hätten schlicht gegen ihren Willen gehandelt. | |
Also sind Hebammen und Ärzt*innen das Problem? | |
Lange nach der Geburt meiner Tochter habe ich mit dem Chefarzt der | |
damaligen Klinik gesprochen, der sinngemäß sagte: Das war eine gute Geburt, | |
ich solle doch jetzt auch mal das Positive daran sehen. Ich habe ihn | |
ausgelacht, aber das Gespräch war letztlich sehr heilsam für mich, weil ich | |
das System verstanden habe. Natürlich kann man mit einzelnen Personen Pech | |
haben. | |
Aber letztlich funktioniert das System nicht. Es wird über Fallpauschalen | |
finanziert und setzt damit für Geburten völlig falsche Anreize: Je mehr man | |
eingreift, desto mehr Geld bekommt die Klinik. Eine Geburt, die natürlich | |
verläuft und lange dauert, rentiert sich einfach nicht. Dazu kommt | |
überfordertes Personal: Manche Hebammen müssen drei Frauen unter der Geburt | |
gleichzeitig betreuen. Das ist Wahnsinn, sowohl für die Hebamme als auch | |
für die Gebärenden. Und schließlich gibt es zum Beispiel ein Phänomen, das | |
Coolout genannt wird: Zu viel Stress und zu hohe Arbeitsbelastung führen | |
bei manchen dazu, dass sie abstumpfen und keine Empathie mehr empfinden | |
können. | |
Die Krankenhausreform soll das System der Fallpauschalen beenden. Wird sich | |
damit also die Geburtshilfe verbessern? | |
Dass wir ein System bekommen, in dem es gar keine Fallpauschalen mehr gibt, | |
glaube ich nicht. Es ist im Gespräch, das anteilig zu verschieben, sodass | |
ein Teil der Einnahmen unabhängig von den Eingriffen wäre. Das wäre ein | |
wichtiger Schritt. Alternativ könnte man eine neue Fallpauschale für eine | |
natürliche Geburt einführen. Der Deutsche Hebammenverband hat dazu schon | |
ein Modell vorgestellt. | |
Das Problem bei der Krankenhausreform ist aber, dass | |
Geburtsmediziner*innen und Hebammen überhaupt nicht eingebunden | |
waren. Und nur, weil es vielleicht irgendwann keine finanziellen | |
Fehlanreize für die Eingriffe mehr gibt, heißt das nicht, dass Routinen | |
aufgebrochen werden, in die Geburt einzugreifen. An der Haltung der | |
Ärzt*innen und Hebammen in der Klinik muss sich etwas ändern. Sie müssen | |
lernen, die Geburt als einen natürlichen Prozess zu sehen. | |
Sie zitieren die Forscherin Tina Jung, die von einer starken | |
Internalisierung und Normalisierung von Gewalt in der Geburtshilfe | |
schreibt. Was heißt das? | |
Dass gesagt wird, wir machen das hier so, wir machen das immer so, und Sie | |
machen mit – oder wir können für nichts garantieren. Dann wird im | |
schlimmsten Fall auch noch als Hilfe verpackt, was gewaltvolle Übergriffe | |
sind. Und das führt eben zu einer Normalisierung. Ich bekomme unglaublich | |
viele Nachrichten von Menschen, die Gewalt unter der Geburt betrifft, die | |
das aber jahrelang überhaupt nicht benennen konnten. Es wird viel zu wenig | |
darüber gesprochen, was Gebärende erleben und was das mit ihnen und ihren | |
Kindern macht. | |
Sie fordern eine neue Geburtshilfe. Wie würde die aussehen? | |
Manches könnte man schnell umsetzen: verpflichtende Schulungen für eine | |
sensible Kommunikation und zur Gewalt unter der Geburt, gerade für Hebammen | |
und Ärzt*innen. Die jüngeren machen seit Kurzem keine Ausbildung mehr, | |
sondern studieren dual. Die lernen, Geburt auf Augenhöhe zu begleiten. Die | |
erkennen Gewalt und wollen Geburten eben nicht so fremdbestimmt begleiten – | |
aber natürlich gibt es trotzdem alte Strukturen und Hierarchien. Die | |
aufzubrechen, würde bedeuten, dass wir uns als Gesellschaft fragen: Wie | |
wollen wir Geburt begleiten? | |
Wie denn? | |
Die Fallpauschalen darf es bei Geburten nicht geben, und die Kliniken | |
brauchen mehr Geld für Personal. Die Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden | |
steht sogar im Koalitionsvertrag, ist aber bisher nicht umgesetzt. Das ist | |
ein Unding. | |
Sie schreiben, dass Ihnen viel Ablehnung für Ihr Buch entgegenschlägt. Wie | |
erklären Sie sich das? | |
Ich kann verstehen, dass sich Ärzt*innen und Hebammen aufregen, weil da | |
eine Journalistin und Mutter kommt und ihnen sagt, wie viele Menschen ihre | |
Arbeit erleben. Das ist eine normale Abwehrhaltung. | |
Sie schreiben, es gebe auch Mütter, deren Kinder nichts von den | |
traumatischen Geburten wissen und die Ihnen vorwerfen, Sie würden Angst und | |
Schrecken verbreiten. | |
Es gibt sehr viele Frauen, die mir schreiben, dass sie ähnliche Erfahrungen | |
gemacht haben, die Informationen suchen und die fordern, dass sich etwas | |
ändert. Aber es gibt auch die, die sagen, dass ihr Kind nichts von ihren | |
Erfahrungen wissen soll, weil es dann möglicherweise denkt: dass die Geburt | |
furchtbar war, bedeutet, dass es nicht geliebt wird. Das eine hat mit dem | |
andren nichts zu tun. Meine Tochter kennt ihre Geschichte, und sie weiß, | |
dass wir beide unter der Geburt gelitten haben. Wir konnten nichts dafür, | |
dass wir das erlebt haben. Ich bin sehr froh, für meine zweite Geburt einen | |
ganz anderen Ort gefunden zu haben und dort von einer sehr unterstützenden | |
Hebamme begleitet worden zu sein. | |
18 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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