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# taz.de -- Gynäkologin Mangler über Frauenkörper: Wären Geburten im Matria…
> Je mehr Wert ein Land auf Frauengesundheit legt, desto zivilisierter ist
> es, sagt Mandy Mangler. In Deutschland sieht sie große Lücken.
Bild: „Es gibt noch viele blinde Flecken in der Gynäkologie“: Mangler ford…
taz: [1][Ihr Buch] beginnt mit dem Satz: „Manchmal ist es eine
Herausforderung, einen weiblichen Körper zu haben.“ Wo liegt die
Herausforderung?
Mandy Mangler: Wir Menschen sind alle Säugetiere, Männer und Frauen. Mit
diesem Körper müssen wir umgehen. Wir Frauen haben die zusätzlichen Themen
des Zyklus: Menstruation, Verhütung, Schwangerschaft,
Schwangerschaftsverluste, Geburt, Menopause.
taz: Das klingt anstrengend. Ist es schwer, eine Frau zu sein?
Mangler: So würde ich das nicht sagen. Ich finde alles, was mit
Weiblichkeit zusammenhängt, stark. Wir als Gesellschaft erkennen viel zu
wenig an, was Frauenkörper leisten: Allein die 400 Zyklen, die eine Frau
durchschnittlich in ihrem Leben durchläuft – was für eine Kraft. Aber es
kann für eine Frau herausfordernd sein, wenn sie sich nicht auskennt und
ihrem Körper ausgeliefert ist. Je mehr wir darüber wissen, desto mehr
können wir unseren Körper als etwas Starkes, Gutes begreifen.
taz: Kennen sich Frauen heute nicht besser aus als je zuvor?
Mangler: Das Wissen ist heute viel zugänglicher als früher. Trotzdem stelle
ich immer wieder fest, wie viel Wissen dadurch verloren gegangen ist, dass
wir nicht mehr im großen Familienverband leben.
taz: Zum Beispiel?
Mangler: Nehmen wir die Geburt und alles drumherum. Eine Freundin von mir
hat ein Kind bekommen und war völlig überrascht vom Wochenfluss. Darauf
wäre sie früher vielleicht von Schwestern, Tanten, Cousinen vorbereitet
worden.
taz: Vor welchen Herausforderung stehen Frauen zwischen 30 und 49?
Mangler: Frauen in Deutschland bekommen im Schnitt mit 30 Jahren ihr erstes
Kind. In dieser Lebensphase setzt man sich also mit der Frage auseinander,
ob man Kinder möchte oder nicht. Wenn man keine möchte, beschäftigt man
sich mit Verhütung. Wenn man welche möchte, dann eben mit den Themen
schwanger werden, schwanger bleiben, Geburt, stillen.
taz: Was bedeutet reproduktive Selbstbestimmung in diesem Alter?
Mangler: Der wesentliche Punkt ist, für sich selbst zu verstehen, wie man
leben möchte, etwa in Bezug auf Kinder. Als Geburtshelferin finde ich
Kinder natürlich toll – und nicht nur ich. Kinderhaben gilt als Norm in
unserer Gesellschaft. Dabei unterschätzen viele, welchen enorm großen
Einfluss diese Entscheidung auf das Leben, besonders von Frauen hat. Da
spreche ich nicht nur [2][von unbezahlter Care-Arbeit] und
Karriereeinbußen. Die Gesundheit von Frauen leidet langfristig, wenn sie
Kinder haben. Studien zeigen, dass Frauen kürzer leben, wenn sie sich in
Beziehungen um einen männlichen Partner kümmern. Andere Studien zeigen,
dass Männer länger leben, wenn sie von einer Frau umsorgt werden.
Gleichzeitig will ich nicht sagen, dass man sich gegen Familie entscheiden
sollte. Das muss jede Person für sich selbst wissen.
taz: Sie kritisieren immer wieder, dass die Medizin zu männlich geprägt
ist. Wo spüren Frauen das?
Mangler: Es gibt [3][noch viele blinde Flecken in der Gynäkologie.] Ich bin
mir sicher, die würde es nicht geben, wenn wir im Matriarchat leben würden.
Dann wüssten wir definitiv mehr über die Geburt. Das Thema hätte mehr Wert,
es gäbe mehr Forschung, mehr Geld. Wir hätten hoffentlich weniger Gewalt in
der Geburtshilfe. Und wir hätten uns mehr mit der weiblichen Sexualität
beschäftigt. Wir hätten untersucht, welche Auswirkungen Operationsmethoden
wie etwa die Gebärmutterentfernung auf die weibliche Sexualität haben. Bei
der Prostataentfernung wissen wir das. Wir haben viel Geld ausgegeben für
die Erforschung und Verbesserung der männlichen Erektion, aber nicht
annähernd so viel für die weibliche Sexualität. Noch immer hält sich der
Mythos, das Wichtigste an der sexuellen Erregung der Frau sei die Vagina
und dass die Penetrationsfähigkeit erhalten bleibt. Aber das wird Frauen
und ihrer Sexualität nicht gerecht. Denn die Klitoris ist das Orgasmusorgan
der Frau.
taz: Wären Geburten schmerzfrei im Matriarchat?
Mangler: Schmerzfrei, ich weiß nicht, ob das geht. Aber Geburten wären
intensiver untersucht. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 692.989
Geburten. Daraus ergibt sich eine unfassbar große Datenmenge, die nicht
ausreichend analysiert ist. Denn eine Hebamme oder Ärztin nachts um drei
weiß nicht, wie diese Geburt weitergeht. Aus der Überforderung, dem Stress,
der Müdigkeit kann dann zum Beispiel verbale Gewalt geschehen. Da können
Sätze fallen wie: „Sie wollen ja nicht, dass ihr Kind stirbt.“
taz: Datensammeln [4][gegen Gewalt in der Geburtshilfe] – sind Geburten
nicht viel zu individuell, um sie berechenbar zu machen?
Mangler: Für andere Situationen, Herzinfarkte oder Infekte, machen wir
das doch auch: Wir sammeln Daten und werten sie aus, um für kommende Fälle
gewappnet zu sein. Bei Geburten könnten wir den CTG-Verlauf, die Größe des
Kindes, die Biometrie der Mutter, die Untersuchungsergebnisse unter und
nach der Geburt sammeln. Wir können sie so auswerten, dass die Ärztin und
Hebamme nachts weiß: Das wird zu 95 Prozent eine vaginale Geburt mit einem
guten Ergebnis. Dann kann sie ganz anders agieren, als wenn sie weiß, das
wird nur zu 25 Prozent eine vaginale Geburt, vielleicht ein Kaiserschnitt.
taz: Sie sind seit 25 Jahren in der Medizin. Wie hat sich die Geburtshilfe
verändert?
Mangler: Körperliche Gewalt ist in der Geburtshilfe glücklicherweise extrem
selten geworden. Es gibt immer mehr hebammengeleitete Kreißsäle wie hier
bei uns in der Klinik, in denen die liebevolle Begleitung, Stärkung und
Motivation der Gebärenden im Vordergrund steht. Gynäkologie und
Geburtshilfe sind auf einem guten Weg – aber das reicht nicht, wie man an
der letzten Krankenhausreform gesehen hat. Knapp eine Million Menschen sind
in Deutschland jährlich mit dem Thema Schwangerschaft und Geburt
beschäftigt. Das sind neben den Gebärenden auch mehr als 100.000 Frauen mit
Fehlgeburten und etwa 100.000 Frauen, die Abbrüche haben. Dazu kommen die
jeweiligen Partner oder Partnerinnen. Und trotzdem hat die
Krankenhausreform das Thema kaum betrachtet. In der ganzen
Expertenkommission saß keine einzige Geburtshelferin.
taz: Warum nicht?
Mangler: Weil der Gesundheitsminister keinen Fokus darauf gelegt hat, dafür
aber auf das Thema Hirninfarkt. Das ist ein wichtiges Thema, zweifelsohne.
Es gibt 200.000 Hirninfarkte pro Jahr in Deutschland – versus eine knappe
Million Menschen, die direkt vom Thema Schwangerschaft und Geburt betroffen
sind. Das zeigt, welchen Wert wir dem Kinderkriegen beimessen.
taz: Ein Thema, das hingegen gesellschaftlich breit debattiert wird, sind
Schwangerschaftsabbrüche. Unter der Ampel-Regierung wollte eine
fraktionsübergreifende Initiative aus Abgeordneten sie aus dem
Strafgesetzbuch streichen, [5][hat das aber nicht geschafft.] Die CDU will
den Paragrafen 218 behalten. Was macht das mit Ihnen?
Mangler: Es fällt mir wirklich nicht leicht, da die Fassung zu bewahren.
taz: Warum?
Mangler: Ich finde es komplett daneben, Frauen so zu bevormunden. 80
Prozent der Deutschen sind dafür, den Paragrafen 218 aus dem
Strafgesetzbuch zu streichen. Aber einige Politiker hinken extrem hinterher
und versuchen, [6][ihre persönliche Meinung der Mehrheit aufzuoktroyieren.]
taz: Es bremsen ja nicht nur konservative PolitikerInnen. Auch in der
linksliberalen Ampel-Regierung hatte das Thema keine Priorität.
Mangler: Dass die Koalition ihr Versprechen nicht eingelöst hat, ist
traurig. Im März 2024 hat die zuständige Regierungskommission empfohlen,
das Gesetz zu reformieren. Dann kamen die Ergebnisse der Elsa-Studie, der
stärksten Studie, die wir in Deutschland zu dem Thema haben. Sie hat
gezeigt, wie Frauen diskriminiert und stigmatisiert werden, wenn sie einen
Abbruch wollen. Es gibt also genug Evidenz, und es gab genug Zeit für eine
Reform. Von der CDU erwarte ich erst recht keine Reform. Damit haben wir
nun also noch mal ein Statement gesetzt, dass wir ein konservatives Land
sind, in dem Geschlechtergerechtigkeit und weibliche Selbstbestimmung nicht
wichtig sind.
taz: Was wäre aus Ihrer Sicht die perfekte Regelung zum
Schwangerschaftsabbruch?
Mangler: Frauen sollten frei darüber bestimmen dürfen, ob sie eine
Schwangerschaft abbrechen wollen – und zwar über den gesamten Zeitraum der
Schwangerschaft hinweg. Aus Ländern, in denen das bereits lange so geregelt
ist, wissen wir, dass keine Frau in der 30. Schwangerschaftswoche
leichtfertig entscheidet, abzubrechen. Frauen entscheiden das am Anfang der
Schwangerschaft. Diese Entscheidung sollte für alle, die an ihr beteiligt
sind – die Frau, die Ärztin, das medizinische Personal – straffrei sein.
taz: Warum ist das Thema Schwangerschaftsabbruch so extrem aufgeladen?
Mangler: Am Paragrafen 218 entscheiden sich die großen demokratischen
Fragen. Vordergründig geht es darum, wie viel Selbstbestimmung wir Frauen
zugestehen. Aber dahinter steht ja im Wesentlichen, wie wir Frauen
insgesamt behandeln. Und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf
hin: Je mehr Frauengesundheit es gibt, desto zivilisierter und
demokratischer ist ein Land.
taz: Es ist ja nicht so, als wäre in Sachen Selbstbestimmung nichts
passiert. Der Paragraf 219a, das Informationsverbot für Abtreibungen, wurde
abgeschafft, die Gehsteigbelästigung von ÄrztInnen, die Abbrüche
durchführen, verboten. Es gibt nun den gestaffelten Mutterschutz nach
Fehlgeburten. Malen Sie das Bild nicht ein bisschen düster?
Mangler: Bestimmte Dinge gehen voran. Aber gerade die Streichung von
Paragraf 219a ist für mich eine zwiespältige Erinnerung. Das war der 24.
Juni 2022, ein Tag zum Feiern in Deutschland. [7][Und am gleichen Tag wurde
in den USA die Rechtsprechung zur liberalen Abtreibungspolitik gekippt.]
Einige Bundesstaaten haben seitdem radikale Abtreibungsverbote eingeführt.
taz: Hatten Sie selbst mal einen Abbruch?
Mangler: Nein, aber eine ungeplante Schwangerschaft. Als Gynäkologin habe
ich einen extrem unemotionalen Blick auf Schwangerschaften. Ich sehe jeden
Tag Menschen, die Fehlgeburten haben und sehr traurig sind oder die
lebensbedrohliche Situationen erleben auf Grund ihrer Schwangerschaft. Und
ich sehe Menschen, die Schwangerschaften abbrechen. So ist das Leben.
taz: Sie haben fünf Kinder, sind Ärztliche Direktorin einer Klinik,
engagieren sich politisch, haben einen Podcast und gerade ein Buch
geschrieben. Wie geht das zusammen?
Mangler: Mit einer geschlechtergerechten Partnerschaft und guter
Organisation. Mein Alltag ist durchgetaktet. Sonntagabend erstelle ich den
Plan für die kommende Woche, damit jeder zu Hause weiß, was wann zu tun
ist. Mein Mann und ich teilen uns die Care-Arbeit so gerecht wie möglich
auf. Ich bin kein Typ für morgens: Kinder anziehen, in die Schule und die
Kita fahren, das ist nicht meins. Das übernimmt mein Mann, ich bin um 6 Uhr
in der Klinik. Dafür bin ich nachmittags da, wenn die Kinder kommen. Ich
versuche, zwischen 16 und 17 Uhr nach Hause zu kommen.
taz: Das klappt?
Mangler: Nicht immer und nicht von Anfang an. Als ich Chefärztin wurde,
ging die reguläre Chefarztrunde von 17 bis 20 Uhr. Mir war klar, dass ich
das nicht dauerhaft machen kann. Nach der Probezeit habe ich gesagt: Lasst
uns den Zeitpunkt auf 14.30 Uhr verschieben. Das stieß natürlich auf
Kritik, aber wir haben es durchgezogen.
taz: Nervt es Sie, in Interviews immer wieder gefragt zu werden, wie Sie
Familie und Karriere unter einen Hut bekommen? Männliche Chefärzte werden
das nicht gefragt.
Mangler: Überhaupt nicht. Das Thema bewegt mich ja auch. Ich war neulich zu
einem Vortrag beim Deutschen Ärztinnenbund, und das Hauptthema, das die
jungen Ärztinnen beschäftigt, ist: Wie kriegst du das hin, Kinder und
Karriere? Kinder haben und arbeiten, das ist wie permanentes Zirkeltraining
und eigentlich kaum zu schaffen. Aber alle suchen danach, wie es doch geht.
taz: Muss man Feministin sein, um eine gute Gynäkologin zu sein?
Mangler: Das ist eine schwierige Frage. Wir sind 77 Prozent weibliche
Gynäkologinnen in Deutschland, die Spitzenpositionen in den Kliniken und
den Unis sind aber zu über 80 Prozent mit Männern besetzt. Mein Eindruck
ist, unter den männlichen Kollegen gibt es nicht viele Feministen. Trotzdem
sehe ich, dass die Mehrheit meiner Kolleginnen klug und progressiv ist. Ich
glaube, dass man überall Feministin sein kann, egal welches Geschlecht man
hat. Es ist einfach eine gerechtere Möglichkeit, die Gesellschaft zu
betrachten.
8 Mar 2025
## LINKS
[1] https://www.suhrkamp.de/das-grosse-gynbuch-von-prof-dr-mandy-mangler-s-1520
[2] /Frauen-leisten-zu-viel-unbezahlte-Arbeit/!5653727
[3] /Gynaekologische-Erkankung-Endometriose/!5797757
[4] /Autorin-ueber-Gewalt-bei-Geburten/!6000829
[5] /Schwangerschaftsabbrueche/!6069155
[6] /Keine-Reform-des-Paragrafen-218/!6066715
[7] /Supreme-Court-kippt-Recht-auf-Abtreibung/!5863405
## AUTOREN
Anne Fromm
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