# taz.de -- Umgang mit dem Kinderkriegen: Wenn alle Freundinnen schwanger werden | |
> Irgendwann beginnt das Alter, in dem alle Kinder bekommen und man | |
> fürchtet, dass Freundschaften daran zerbrechen. Sie können daran aber | |
> auch wachsen. | |
Bild: Wie auf dieses Foto regieren? Mit Freude oder Furcht? | |
Die Worte stehen für einen Moment schwerelos im Raum: Ich bin schwanger. | |
Ein Lächeln huscht über das Gesicht der einen Freundin, die andere rührt | |
mit gesenktem Blick in ihrem Kaffee. Wer als kinderlose Person diese Worte | |
schon einmal von einer Freundin gehört hat, weiß, dass sich einiges | |
zwischen ihnen verändern wird. Spontane Café-Dates werden zur Seltenheit, | |
Gesprächsthemen verschieben sich, und die gemeinsame Zeit schrumpft. | |
Liefen beide Leben bisher mehr oder weniger parallel, wird die Zukunft | |
nicht mehr selbstverständlich geteilt. Denn zwischen Geburtsvorbereitung | |
und Kita-Suche rückt die Freundschaft schnell in den Hintergrund. Nicht aus | |
böser Absicht, sondern weil das Leben in verschiedene Richtungen wächst. | |
Im Jahr 2024 könnte das bis zu 680.000-mal stattgefunden haben. So viele | |
Kinder sind laut Schätzungen des Statistischen Bundesamts in Deutschland | |
zur Welt gekommen. Das ist seit der deutschen Vereinigung [1][der | |
drittniedrigste Wert]. | |
Eine Schwangerschaft ist auf individueller Ebene ein einschneidendes | |
Ereignis für eine Freundschaft. Sie kennt keine Geburtenrate – dafür aber | |
ein Geschlecht: „Das Kinderkriegen beeinflusst die Freundschaft zwischen | |
Frauen stärker, weil es tief in ihre persönlichen, emotionalen und | |
körperlichen Erfahrungen eingreift und sie in vielerlei Hinsicht | |
verändert“, erklärt die Diplompsychologin Laura Ritthaler. | |
## Eigener Kinderwunsch kann auch wachsen | |
Männer betreffe vor allem die Schwangerschaft weniger direkt und praktisch | |
spürbar, sodass ihre Freundschaften sich in der Regel nicht auf die gleiche | |
Weise und in gleicher Stärke veränderten. Während der Vater scheinbar | |
regelmäßig die „Jungs“ im Biergarten trifft, müssen sich Mütter häufig… | |
mal vormittags kurz vor Krippenschluss eine Stunde abzwacken, um | |
Freund*innen zu sehen. | |
Auch wenn es im Moment der Verkündung nicht so scheint: Beide Freundinnen | |
haben durchaus etwas gemeinsam. Sie fürchten um ihre Freundschaft. „Eine | |
Person ohne Kinder kann die Sorge haben, dass sich Gespräche nur noch um | |
das Baby drehen werden oder, dass ihre Lebensweise und ihre Unabhängigkeit | |
plötzlich von ihrer schwangeren Freundin verurteilt wird“, sagt Laura | |
Ritthaler. Die kinderlose Person steht damit vor der Aufgabe, sich und den | |
eigenen Lebensentscheidungen treu zu bleiben. | |
Werden alle um einen herum schwanger, wächst der Druck. Niederländische | |
Forscher*innen konnten in einer Studie zeigen: Je mehr Geburten im | |
Umfeld, desto stärker wächst der eigene Kinderwunsch. Das kann unter | |
Umständen verwirrend sein, vor allem wenn das Leben bisher ohne Kinder | |
geplant wurde. Gleichzeitig kann die Schwangerschaft der Freundin auch | |
belastend sein, beispielsweise wenn der eigene Kinderwunsch aus | |
medizinischen Gründen unerfüllt bleibt. | |
## Austausch ist wichtig | |
Auch Mutterschaft ist ein komplexes Thema: Neben [2][gesundheitlichen und | |
systemischen Risiken] tragen Mütter Verantwortung. Dabei geht es darum, den | |
eigenen Ansprüche zu genügen, aber auch den Erwartungen der Gesellschaft. | |
„Viele Mütter haben oft Angst, nicht aufopferungsvoll genug zu sein. | |
Gleichzeitig befürchten sie, sich in der sogenannten Mutterrolle zu | |
verlieren, die eigenen Interessen, ‚Me-Time‘, Hobbys und eben auch | |
Freundschaften aufgeben zu müssen“, erklärt Laura Ritthaler. | |
Damit vor Augen können kinderlose Personen die Reaktionen der Freundin | |
und Mutter immer wieder im größeren Kontext einordnen. Das schaffe Empathie | |
dafür, dass zum Beispiel Distanz nicht zwangsläufig eine Wertung der | |
Freundschaft, sondern eine anderweitige Überforderung darstelle. | |
Laura Ritthaler ermutigt Freund*innen dazu, sehr offen über das | |
Kinderkriegen zu sprechen, und zwar schon bevor die Wehen einsetzen. Was | |
erwarten sie voneinander? Was ist das Minimum an Nähe, das beide brauchen, | |
um in guter Verbindung zu bleiben? Welche Ängste, Hoffnungen und Vorfreuden | |
haben die Freund*innen? „Emotionaler Austausch fördert die Bindung und die | |
Bereitschaft zur Unterstützung in Freundschaften“, sagt Laura Ritthaler. | |
## Besonders in männlichen Freundschaften Neuland | |
Eltern profitierten darüber hinaus davon, auch kinderlose Freund*innen an | |
der veränderten Lebenssituation teilhaben zu lassen. Es könne sich lohnen, | |
zu erklären, was die U3 und das Pucken seien oder dass die eigene | |
Vergesslichkeit nach der Geburt auf eine Stilldemenz zurückgehe. All das | |
könne insbesondere für männliche Freunde überraschendes Neuland sein, die | |
bisher im Umfeld und privat noch keine allzu großen Berührungspunkte mit | |
Schwangerschaften haben. | |
Gleichzeitig dürften aber auch Räume für gemeinsame Interessen nicht zu | |
kurz kommen. Sei dies doch der Fall, müsse das auf die Tagesordnung gesetzt | |
werden. „Ein respektvolles und effektives Gespräch zu führen, erfordert | |
Achtsamkeit und ein paar grundlegende Kommunikationsprinzipien“, so Laura | |
Ritthaler. Eines davon sei das aktive Zuhören. Dabei handelt es sich | |
eigentlich um eine Methode zur psychotherapeutischen Gesprächsführung. Es | |
gehe dabei darum, sich selbst bewusst zurückzunehmen, dem Gegenüber Raum | |
und die volle Aufmerksamkeit zu geben. | |
Egal wie, es ist wichtig, dass solche Gespräche stattfinden. Denn gute | |
Freundschaften verringern [3][Studien zufolge] beispielsweise das Risiko | |
von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen. Und auch gegen Isolation | |
ist ein soziales Netzwerk wichtig. Laut dem Einsamkeitsbarometer des | |
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zählen | |
Alleinerziehende zu einer der mit am häufigsten betroffenen Gruppen. | |
Somit ist es auch im Interesse der werdenden Mutter, vor der Geburt über | |
die gewünschte Entwicklung der Freundschaft zu sprechen. „Die Veränderungen | |
in der Partnerschaft während und nach der Schwangerschaft können ebenfalls | |
ein Thema sein, indem sich Freundinnen gegenseitig unterstützen können“, so | |
Laura Ritthaler. | |
Ein ehrliches Gespräch braucht auch nach Jahren noch Mut – und den | |
richtigen Moment. Zwischen unausgesprochenen Ängsten vor Veränderung liegt | |
oft eine lange Pause, bis man sich dann freudig in den Armen liegt. | |
Vielleicht wird es nicht mehr wie früher, vielleicht wird es anders. Doch | |
solange gesprochen wird, kann die Freundschaft mitwachsen, statt leise zu | |
verblassen. | |
10 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Geburtenrate-sinkt-fast-ueberall/!5998056 | |
[2] /Hohe-Muettersterblichkeit/!6077521 | |
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/valentinstag-liebe-freundschaft-100… | |
## AUTOREN | |
Stefanie Schweizer | |
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