# taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche: §218 – Symbol gegen Selbstbestimmung | |
> Eine Reform zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen scheiterte bisher | |
> im Bundestag. Ärzt*innen und Expert*innen hoffen auf einen neuen | |
> Anlauf. | |
Bild: „Der §218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt, sollte aus dem Stra… | |
Berlin taz | Kaum ein gesellschaftliches Thema ist so emotional aufgeladen, | |
wie die Diskussion um die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Stärkstes | |
Symbol ist der [1][§218]. Auf der einen Seite stehen die, die den | |
Paragraphen reformieren oder abschaffen wollen. Auf der anderen Seite | |
argumentieren die, die ihn beibehalten oder verschärfen wollen. | |
Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein medizinischer Eingriff, der vom | |
Strafgesetzbuch geregelt wird. Ein Abbruch bleibt nur dann straffrei, wenn | |
er bis zur 12. Schwangerschaftswoche erfolgt. Außerdem muss mindestens drei | |
Tage vorher eine Beratung bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle | |
besucht werden. | |
Aber: Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt rechtswidrig, auch wenn er | |
straffrei ist. Für Ärzt*innen hat das eine stigmatisierende und | |
abschreckende Wirkung, sagt Alicia Baier. Baier ist Ärztin in der | |
Gynäkologie und Vorstandsmitglied bei [2][„Doctors for Choice“]. Dort | |
engagieren sich Ärzt*innen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche | |
durchführen. „Jeder Fehler oder jede Unachtsamkeit im ganzen Prozess kann | |
zu einer Haftstrafe führen“, sagt Baier. Das ist auch ein Grund, warum | |
immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Dies führt | |
laut Baier zu langen Wartezeiten und Fahrtwegen für die betroffenen Frauen. | |
## Kostenübernahme auch bei Geringverdienerinneren | |
„Das aktuelle Gesetz bedeutet, dass Menschen, die einen | |
Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, viele Hürden haben“, erklärt | |
Gesa Bochen, Fachleitung für Familienplanung bei pro familia Niedersachsen. | |
Ein Beispiel sei der Antrag auf Kostenübernahme, für die es eine scharfe | |
Einkommensgrenze gebe. „Wenn man 1500 netto verdient, dann muss man den | |
Abbruch selbst zahlen“, erklärt Baier. Ein Abbruch kostet je nach Methode | |
zwischen 300 und 600 Euro. | |
Die einzelnen Schritte bis zum Abbruch seien zeitlich und emotional | |
anstrengend, erklärt Bochen. „Durch die Verpflichtung zur Beratung entsteht | |
auch häufig das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, warum ein | |
Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen wird“, fasst Bochen die | |
Situation zusammen. Die Pflichtberatung und die Wartefrist haben auch | |
Auswirkungen auf die Methode der Abtreibung. So kann beispielsweise nur bis | |
zur neunten Woche ein medikamentöser Abbruch durchgeführt werden. Dieser | |
zeitliche Druck würde laut Bochen zu einer zusätzlichen Belastung führen. | |
Für Bochen soll die Beratung ein freiwilliges Angebot sein. Von dem | |
Pflichtgespräch hält sie nichts. „Die Mehrheit der Personen, die in die | |
Beratung kommen haben ihre Entscheidung für den Schwangerschaftsabbruch | |
bereits getroffen“, sagt Bochen. Deshalb würden einige die Beratung nur | |
noch für den Schein in Anspruch nehmen. | |
Alexandra Linder, Vorsitzende vom Bundesverband Lebensrecht weist auf den | |
Druck auf die Schwangeren aus deren Umfeld hin. Der Bundesverband ist der | |
Dachverband von 15 Lebensrechtsorganisationen in Deutschland. Seit | |
Jahrzehnten hat die Einrichtung eigene Beratungsstellen. „Wir treten für | |
das Recht jedes Menschen auf Leben ein“, sagt Linder. Aus ihrer Sicht gibt | |
es zu viele Abtreibungen in Deutschland und viel zu wenig Hilfe und | |
Unterstützung von staatlicher Seite und auch auf Beratungsebene. | |
Dabei ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen rund 25 | |
Jahren gesunken. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2023 in Deutschland | |
106.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. 2001 waren es noch knapp | |
135.000 Schwangerschaftsabbrüche. | |
## Legalisierung vs keine Legalisierung | |
Linder vom Bundesverband Lebensrecht hofft darauf, dass es in der kommenden | |
Legislatur keinen Antrag auf Legalisierung von Abtreibungen geben wird. Ein | |
entsprechender Antrag in der vergangenen Legislatur scheiterte an CDU und | |
FDP im Rechtsausschuss. So war es der scheidenden und verbleibenden | |
rot-grünen Regierung nicht mehr möglich, eine Reform anzustoßen. | |
Wenig überraschend setzen die Ärztin in der Gynäkologie Baier und | |
profamilia-Vertreterin Bochen einen weiteren Vorstoß, sobald das neue | |
Parlament steht. Beide fordern eine vollständige Legalisierung. „Der §218, | |
der den Schwangerschaftsabbruch regelt, sollte aus dem Strafgesetzbuch | |
gestrichen werden“, so Bochen. Und es braucht mehr Unterstützung für | |
betroffene Frauen. Zum Beispiel ein Recht auf ein freiwilliges | |
Beratungsangebot, dass die Beratungspflicht ersetzen sollte. | |
Die „Doctors for Choice“ fordern ebenfalls eine vollständige Legalisierung. | |
„Die Entkriminalisierung alleine reicht nicht, sondern wir brauchen | |
dringend weitere politische Maßnahmen“, so Baier. Darunter fallen auch eine | |
Kostenübernahme durch die Krankenkasse oder die verpflichtende Lehre von | |
Schwangerschaftsabbrüchen im Medizinstudium. | |
Nach der Bundestagswahl wird vermutlich die CDU stärkste Kraft [3][im | |
Bundestag] sein. Aber unter einer CDU-Regierung wird es wohl nicht zu einer | |
Verbesserung der Situation für ungewollt Schwangere kommen. „Wir werden | |
auch von der nächsten Regierung die politische Verantwortung einfordern, | |
die Situation für ungewollt Schwangere zu verbessern“, sagt Baier. Gesa | |
Bochen setzt auf das Engagement von Politik, Fachleuten und | |
Aktivist:innen für reproduktive und sexuelle Rechte. „Die Hoffnung | |
bleibt, dass die Leute nicht müde werden, dranbleiben und solidarisch | |
miteinander sind.“ | |
20 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Paragraf-218/!t5437648 | |
[2] https://doctorsforchoice.de/ | |
[3] /Juristin-zu-gescheiterter-218-Reform/!6069624 | |
## AUTOREN | |
Ayla Emma Aşkın | |
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