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# taz.de -- Pro und Contra Abrisspolitik: Kann der Koloss an der Urania weg?
> Der einstige Sitz des Landesrechnungshofs in Schöneberg gilt als Ikone
> der Nachkriegsmoderne und soll demnächst abgerissen werden. Muss das
> sein?
Bild: Schmuckloser Klotz oder städtebauliche Perle? Der Düttmann-Bau An der U…
Ja
Hier also soll Wohnungsbau in großem Stile auch nicht möglich sein. Diesmal
nicht wegen Artenschutz oder Freizeitfläche, sondern weil angeblich eine
[1][„Ikone der Berliner Architektur“] verloren zu gehen droht, die
unbedingt zu erhalten sei. Schauen wir doch mal vorbei an der Urania 4–10
im nördlichen Schöneberg: zehn Stockwerke und das, was sich durchaus als
schmucklose Fassade bezeichnen ließe – wobei „schmucklos“ natürlich gen…
interpretierbar ist wie der Begriff „Ikone“.
Hätte Berlin Platz für Wohnungsbau im Überfluss, könnte man es sich
vielleicht leisten, auch an derartige Architektur zu erinnern. Berlin hat
diesen Platz aber nicht. Oder genauer: nur in beschränktem Maße. Ja, man
könnte ihn Privaten wegzunehmen versuchen, könnte enteignen. Doch für
Wohnungen stünde dieser Platz, wenn überhaupt, erst nach jahrelangen
Rechtsstreitigkeiten zur Verfügung.
Auf dem Gelände an der Urania ist das anders: Es gehört dem Land, niemand
ist rauszuklagen oder rauszukaufen. Auf einen zügigen Abriss soll schnell
auch eine Wohnbebauung folgen. Die Berliner Immobilienmanagement (BIM),
eine Art Kümmerin für die rund 1.800 landeseigenen Immobilien, hat vor
einigen Wochen sehr anschaulich gemacht, dass nur ein kleiner Teil der
geplanten Wohnungen entstehen könnte, bliebe das Ex-Bürogebäude stehen.
Es wirkt in aktuellen Debatten nicht so, als sei Wohnungsnot wirklich
berlinweit als das die meisten Menschen der Stadt bewegende Thema
anerkannt. Bausenator Christian Gaebler (SPD) bekam [2][jüngst vom
Umweltverband Nabu vorgehalten], er wolle die „Axt an das Naturschutzrecht
legen“. Tatsächlich bastelt die schwarz-rote Koalition an einem
Schneller-bauen-Gesetz und will nach eigener Aussage bloß Landesrecht der
Bundesgesetzgebung angleichen, was schnelleres Planen und Bauen ermöglichen
soll.
Und wenn das Tempelhofer Feld [3][tatsächlich auch am Rand unbebaut bleiben
soll], wofür es viele Gründe gibt, dann muss dieses Bauen anderswo möglich
sein. Wenn dann keine oder möglichst wenige andere Grünflächen dazu dienen
sollen, sind innerstädtische Grundstücke mit seit Jahren ungenutzten
Gebäuden eine zwangsläufige Alternative. Wenn sich nutzen lässt, was darauf
steht – umso besser. Aber auf möglichst viel Wohnbebauung auf nicht üppig
vorhandenen schnell verfügbaren Grundstücken zu verzichten, um an Bausünden
der Vergangenheit zu erinnern, das kann und darf sich Berlin nicht leisten.
Stefan Alberti
Nein
Wenn im April wie geplant die Bagger anrücken, um den Stahlskelettbau An
der Urania 4–10 abzureißen, werden wohl nur wenige dem Klotz nachtrauern.
Das Bündnis Urbane Praxis, das am Samstag gegen den Abriss demonstrierte,
dürfte eher die Ausnahme sein. Der schmucklose, aber architektonisch
wertvolle Stil der Nachkriegsmoderne wird in Berlin kaum wertgeschätzt.
Dabei sollte der Abriss alle auf die Palme bringen. Seit Jahren fordern
kritische Architekt:innen und Klimaaktivist:innen, keine
Bestandsgebäude ohne Not zu schleifen. Das ewige Spiel aus Abriss und
Neubau ist tödlich fürs Klima, allein die Produktion von Beton stößt
gewaltige Mengen CO2 aus. 13.000 Tonnen könnten gespart werde, wenn das
Verwaltungsgebäude aus den 60ern nicht abgerissen wird, rechnet Urbane
Praxis vor. Das entspricht in etwa der Menge CO2, die der Tiergarten in 27
Jahren absorbieren kann. Aber der Senat weigert sich, eine
Machbarkeitsstudie für den Erhalt durchzuführen, und verweist zugleich auf
die Schadstoffbelastung, die das Gebäude unsanierbar machen soll.
Das ist nicht nur wegen der nie durchgeführten Machbarkeitsstudie
unglaubwürdig, sondern auch weil der Senat sich nirgendwo sonst für den
Erhalt von Bestandsgebäuden einsetzt. Das [4][ehemalige Sport- und
Freizeitzentrum SEZ] ist ein anderes Beispiel, bei dem der Senat ein im
Grunde funktionsfähiges Gebäude abreißen will. Hier wie dort soll mit der
Abrissbirne Platz geschaffen werden für neue Wohnungen.
In Zeiten der Klimakrise muss Klimaschutz auch in der
Stadtentwicklungspolitik oberste Priorität haben. Das Argument, es handele
sich hier um einen Zielkonflikt, weil Berlin ja dringend Wohnraum benötigt,
ist nur vorgeschoben. Schließlich ließe sich der ehemalige Verwaltungsbau
An der Urania auf viele Arten sinnvoll nutzen, neben Wohnraum braucht es
auch Platz für Bildung, Kultur und soziale Infrastruktur.
Zudem lässt sich bezahlbarer Wohnraum nicht nur durch Neubau schaffen,
sondern auch durch gerechtere Verteilung des bestehenden Angebots, ob durch
Verbot von Zweitwohnungen oder Mietobergrenzen. Eine Perspektive, die der
Senat komplett ignoriert, weil er sich weigert, in Eigentumsverhältnisse
einzugreifen.
Mit dem Erhalt des Gebäudes An der Urania könnte der Senat einen Beitrag
leisten zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Um mit Blick auf die
ohnehin unrealistischen Neubauziele am Ende etwas besser dazustehen, setzt
man stattdessen auf den klimapolitischen Wahnsinn eines Abrisses. Jonas
Wahmkow
25 Mar 2024
## LINKS
[1] https://andersurania.org/
[2] https://berlin.nabu.de/news/2024/34718.html
[3] /Wohnungsbau-auf-dem-Tempelhofer-Feld/!5993866
[4] /Ein-Abrissplan-und-zwei-Petitionen/!5982775
## AUTOREN
Stefan Alberti
Jonas Wahmkow
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Stadtplanung
Abriss
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