| # taz.de -- Forscher über fehlende Studienplätze: „Die Politik wälzt die K… | |
| > Rund 7.500 Deutsche studieren Medizin im Ausland, hat Bildungsforscher | |
| > Gero Federkeil errechnet. Er fordert, dass die Politik sich stärker um | |
| > diese Gruppe kümmert. | |
| Bild: Warten auf das Aufnahmerverfahren für ein Medizinstudium in Wien im Juli… | |
| taz: Herr Federkeil, Humanmedizin ist einer der beliebtesten Studiengänge | |
| in Deutschland. Aktuell bewerben sich im Jahr insgesamt rund 50.000 | |
| Personen – genommen werden aber nur um die 12.000. Was machen die, die leer | |
| ausgehen? | |
| Gero Federkeil: Die meisten abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber warten | |
| und hoffen, über ein Nachrückverfahren noch einen Platz zu bekommen. Wir | |
| wissen mittlerweile aber, dass viele, die den [1][NC] in Deutschland nicht | |
| schaffen, auch ins Ausland gehen und dort Medizin studieren. | |
| Ihren Berechnungen zufolge sind das derzeit rund 7.500 Personen. | |
| Traditionell gehen sie für das Studium nach Österreich, weil da Deutsch | |
| gesprochen wird und keine Studiengebühren fällig sind. Welche anderen | |
| Länder sind noch beliebt? | |
| In der Tat ist Österreich am beliebtesten, aus den Gründen, die Sie genannt | |
| haben. Fast ein Drittel der Deutschen, die Medizin im Ausland studieren, | |
| studieren dort. Fast genau so viele gehen nach Ungarn, etwa 2.000. Danach | |
| folgen Polen mit 800 und Tschechien, [2][Großbritannien] und Litauen mit je | |
| knapp über 400. Auch Italien ist für deutsche Medizinstudenten, nach allem, | |
| was wir hören, attraktiv. Da gibt es aber leider keine Zahlen. | |
| Wer in Deutschland studieren möchte, muss in der Regel einen Abischnitt von | |
| 1,0 haben, auch wenn die Unis mittlerweile auch andere Kriterien wie | |
| Berufserfahrung berücksichtigen. Halten Sie das Auswahlverfahren für fair? | |
| Es ist zumindest fairer als das vorherige Modell, als nur der Notenschnitt | |
| gezählt hat. Und ich finde es begrüßenswert, dass mittlerweile [3][auch | |
| Personen ohne Abitur Arzt oder Ärztin] werden können und das Bildungssystem | |
| hier durchlässiger geworden ist. Die Kehrseite der aktuellen | |
| Zulassungsbeschränkung ist aber, dass viele Studierende im Ausland teils | |
| sehr hohe Studiengebühren zahlen müssen. Zum Beispiel an Universitäten in | |
| Südosteuropa, die spezielle Studiengänge für internationale Studierende | |
| anbieten. Da sind teils bis zu 20.000 Euro im Jahr fällig. Das können sich | |
| dann nur finanziell bessergestellte Familien leisten. | |
| Die Politik könnte doch mehr Personen für ein Studium zulassen. Dadurch | |
| würde der Weg in den Beruf sozial gerechter – vor allem wäre das auch | |
| sinnvoll bei den aktuellen Prognosen. Bis 2035 fehlen in Deutschland laut | |
| Robert Bosch Stiftung rund 11.000 Hausärzte. | |
| Die Zahl der Studienplätze steigt ja sogar, so sind in den vergangenen | |
| Jahren einige neue Medizin-Fakultäten entstanden, etwa in Oldenburg, | |
| Bielefeld oder aktuell in Cottbus. Aber insgesamt ist der Ausbau | |
| überschaubar. Medizinstudienplätze sind natürlich auch sehr teuer, vor | |
| allem mit den Laboren und den Ausbildungsphasen in der Klinik. Die hohen | |
| Kosten sind mit Sicherheit ein entscheidender Punkt, warum die Politik beim | |
| Ausbau der Studienplätze eher zurückhaltend ist. | |
| Kritiker:innen entgegnen, die Investitionen würden sich doppelt und | |
| dreifach rechnen. Die Patient:innen hätten eine bessere Versorgung, das | |
| Personal würde insgesamt entlastet und der Staat profitiert letztlich auch | |
| über höhere Steuereinnahmen. | |
| Da setzen Sie ein sehr rationales Verständnis von Politik voraus (lacht). | |
| Bei dem Thema sind aber nun mal mehrere Akteure mit sehr unterschiedlichen | |
| Interessen beteiligt: Das Bundesgesundheitsministerium ist für die | |
| [4][Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten] zuständig. Die Länder wiederum | |
| sind für die Studienplätze und die Finanzierung verantwortlich. Dort müssen | |
| sich dann Wissenschafts- und Finanzministerium einigen. Dieses Dreieck | |
| erschwert vieles. | |
| Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht beim Fachkräftemangel die | |
| Länder in der Pflicht und fordert regelmäßig 5.000 zusätzliche | |
| Studienplätze. Wären damit die Personalprobleme gelöst? | |
| Ich fürchte nein. Es ist zwar, denke ich, unstrittig, dass gerade zu Beginn | |
| der Ausbildung Studienplätze fehlen. Der Mangel entsteht aber auch an | |
| anderen Stellen. So arbeiten längst nicht alle, die hierzulande Medizin | |
| studieren, anschließend auch in Deutschland als Arzt. Einige gehen ins | |
| Ausland, beispielsweise nach Norwegen oder Schweden, wo die | |
| Arbeitsbedingungen deutlich besser sind. Hinzu kommt, dass in den letzten | |
| Jahren immer mehr Praxisärzte in Teilzeit arbeiten. Auch dadurch kann es zu | |
| einer eingeschränkten Versorgung kommen. Die fehlenden Studienplätze sind | |
| also nur ein Grund unter mehreren, dass wir einen Mangel haben. | |
| Aktuell halten vor allem auch ausländische Ärzte unser Gesundheitssystem am | |
| Laufen. Deren Zahl hat sich laut Bundesärztekammer seit 2013 auf mehr als | |
| 60.000 verdoppelt. | |
| Das ist natürlich einerseits gut, dass es diese Ärzte und Ärztinnen gibt. | |
| Ich habe aber auch gehört, dass es teils wegen fehlender Sprachkenntnisse | |
| Probleme geben soll. Ob das wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen. Die | |
| Zunahme ausländischer Ärztinnen und Ärzte ist aber ein Indiz dafür, dass | |
| wir selbst zu wenige ausbilden. Da sind wir als Gesellschaft gefragt, wie | |
| viel wir für die Ausbildung von künftigen Ärztinnen und Ärzte ausgeben | |
| wollen. | |
| Eine zynische Antwort wäre: Wir schicken einen Teil sogar ins Ausland, um | |
| uns auch noch die Ausbildungskosten zu sparen. | |
| Das kann man so sehen. De facto wälzt die Politik die Kosten, die sie | |
| selbst nicht bereit ist in Studienplätze zu investieren, auf die | |
| Studierenden ab. Wir wissen, dass die überwiegende Mehrheit dieser | |
| Studierenden ja wegen des hohen NC ins Ausland geht. Man kann also davon | |
| ausgehen, dass sich die meisten über einen Studienplatz in Deutschland | |
| gefreut hätten. | |
| Ist eigentlich bekannt, was aus den NC-Flüchtlingen wird? Kommen die alle | |
| nach Deutschland zurück und arbeiten dann hier als Mediziner:innen? | |
| Darüber gibt es keine Daten. Wir hatten gehofft, über die Landesbehörden, | |
| die für die Anerkennung der Abschlüsse zuständig sind, hier selbst einen | |
| Überblick geben zu können. Aber die Hälfte der Bundesländer hat uns nicht | |
| mal auf unsere Anfrage geantwortet. Und von der anderen Hälfte hatten auch | |
| nicht alle dazu Zahlen. Überhaupt scheinen die betroffenen Studierenden in | |
| der Planung der Politik keine Rolle zu spielen. Wir am [5][Centrum für | |
| Hochschulentwicklung] waren dann auch die Ersten, die gezeigt haben, dass | |
| das nicht nur einige wenige sind, sondern dass jeder zehnte bis zwölfte | |
| Medizinstudent im Ausland studiert. | |
| Was sollte Ihrer Meinung nach nun passieren? | |
| Ich fände es gut, wenn die Politik diese große Unbekannte mit Hilfe einer | |
| Studie ausräumt. Dann wäre klarer, ob es beispielsweise Probleme beim | |
| Einstieg ins deutsche Gesundheitswesen gibt oder welche Rolle die Personen | |
| beim Fachkräftemangel spielen können. Diese Fragen wollten wir jetzt | |
| eigentlich im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit den | |
| politischen Akteuren debattieren. Die aber wollten überwiegend nicht an | |
| dieser Debatte teilnehmen. | |
| Worüber die Politik gerne redet, ist die sogenannte Landarztquote. Also das | |
| Angebot, einen Teil der Studienplätze freizuhalten für Personen, die sich | |
| künftig für zehn Jahre Dienst auf dem Land verpflichten. Viele Plätze sind | |
| das dann aber oft nicht. In Brandenburg beispielsweise 18 pro Semester. | |
| Klingt nach Tropfen auf den heißen Stein. | |
| Das stimmt. Auch wenn es mittlerweile ähnliche Programme mit ausländischen | |
| Hochschulen gibt. In Sachsen etwa übernimmt die Landesärztekammer für eine | |
| kleine Zahl von Deutschen, die an der Universität Pécs in Ungarn studieren, | |
| die Studiengebühren, wenn sie sich verpflichten, nach dem Studium in | |
| Sachsen außerhalb von Leipzig und Dresden zu arbeiten. Dennoch wird die | |
| Landarztquote immer nur sehr punktuell helfen können. Zumal sich durch die | |
| Landarztquote ja nicht die Gesamtzahl der Medizinabsolvent:innen | |
| erhöht. | |
| 3 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
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