| # taz.de -- Swans-Konzert in Berlin: Auf die Fresse im Krematorium | |
| > Krawalllegende Michael Gira bespielt mit den Swans das Silent Green in | |
| > Berlin: vielleicht etwas friedlicher als sonst – aber trotzdem sehr, sehr | |
| > laut. | |
| Bild: Ekstase im Sitzen: Michael Gira dirigiert seine Swans | |
| Früher hat man sich noch freigenommen für die Swans. Nicht nur den | |
| Konzertabend, sondern mit zwei oder drei extra veranschlagten Tagen, um | |
| wieder auf die Beine zu kommen. Manche mögen auch vorsichtshalber noch eben | |
| ihre Angelegenheiten geregelt und die Liebsten in den Arm genommen haben. | |
| Man weiß ja nie. Schon gar nicht, wenn die Band beim Berlin-Gig ein | |
| ehemaliges Krematorium bespielt. | |
| Die Mythen vom zerstörten Publikum sind so alt wie die sich ständig | |
| wandelnde Bandkonstruktion um Gründer, Frontmann und Alleinherrscher | |
| Michael Gira. Seit Anfang der 80er-Jahre tourt der Experimentalbrachialist | |
| durch Welt und Fachpresse, verkündet Abschiede, löst die Band auf und | |
| gründet sie neu – stets mit größerem Erfolg in Kritik und Szene als | |
| wirtschaftlich gesehen. | |
| Doch voll ist es auch diesmal im Weddinger [1][Silent Green]: ausverkauft. | |
| Und selbst wenn’s nicht mehr ganz so laut schallert wie früher, ist doch | |
| nur mit verstöpselten Ohren auszuhalten, was der inzwischen 70-jährige Gira | |
| seine Swans da durchknüppeln lässt. Tatsächlich ist der Opener noch nicht | |
| ganz überstanden, als der erste Besucher von vorn aus dem Pulk nach draußen | |
| getragen wird. | |
| ## Krach für alle | |
| Das Publikum zeigt sich erstaunlich durchmischt: sehr weiß zwar nach wie | |
| vor, aber zumindest alters- und gendermäßig in schillerndster Vielfalt. Mag | |
| sein, dass der Bandneustart im Berghain vor ein paar Jahren seinen Teil | |
| dazu beigetragen hat, jedenfalls ist die gerontologisch betroffene | |
| Gitarren-Fraktion [2][bei den Swans] heutzutage nicht mehr unter sich. | |
| Mindestens durch die Stöpsel ist für den Anfang auch nebensächlich, aus | |
| welchen Höllenmaschinen der Soundteppich angewabert kommt. Monotone | |
| Rhythmen stampfen sich durch den unterirdischen Konzertsaal, Gira spricht, | |
| singt oder krächzt seine prophetisch anmutenden Untergangsfantasien ins | |
| Mikro. Manch eine:r im Publikum reckt verzückt die Hände zum Betonhimmel. | |
| Ob da nun wirklich wer transzendentale Anwandlungen hat, oder ob man auch | |
| als Gast zu performen hat … keine Ahnung. | |
| Es funktioniert jedenfalls auch aus größerer metaphysischer Distanz. Und | |
| wer sich dann doch mal einen halben Song ohne Gehörschutz gönnt, kann | |
| tatsächlich auch musikalisch Freude dran haben. Dezente Folknoten zucken da | |
| rum, Kreischgesang und Gitarrenriffs harmonieren für sonderbar zeitlose | |
| Momente in ihrer Peitscherei. Manchmal groovt es fast ein bisschen, vor | |
| allem bei den gänzlich neuen Songs der zweiten Hälfte. | |
| Gira selbst bleibt meist sitzen: auf einem Stuhl am Bühnenrand im Kreis der | |
| Band, Akustikgitarre auf den Knien. Offenbar wirklich vorbei sind die | |
| Zeiten, in denen er mit dem Rücken zum Publikum über die Bühne marschiert, | |
| seine Gastmusiker mit dem Gitarrenhals dirigiert, sie niederstarrt und | |
| anschnauzt, wenn ihm was nicht passt. Also immer. | |
| ## Eher alt als milde | |
| Von Altersmilde lässt sich allerdings auch wieder nicht so recht sprechen. | |
| Er fuchtelt schon noch viel rum mit den Händen und treibt sein Personal | |
| nach Laune durchs Set. Angst macht er aber nicht mehr und man hat auch | |
| nicht das Gefühl, die Band würde sofort die Flucht ergreifen, sobald der | |
| Chef mal wegguckt. | |
| Dem Publikum gefällt’s. Selbst wer zwischendurch mal Luft oder Bier | |
| schnappen geht, kommt doch fast immer wieder rein. Und auch wer sich | |
| zwischendurch über die ewig lange Rampe aus dem Krematoriumskeller zurück | |
| an die Erdoberfläche schleppt, klingt unterm Strich zufrieden. Allerdings | |
| bin ich augenscheinlich nicht der einzige, der hier Geschichten von | |
| vorgestern zum Besten gibt: über irgendeine von Giras früheren „definitiv | |
| letzten“ Touren vor ein paar Jahren. | |
| Vielleicht sind die Zeiten der großen Referenzband Swans aber auch wirklich | |
| vorbei. Und vielleicht ist gerade einfach keine gute Zeit für Prediger. | |
| „Haben wir das auch geschafft“, sagt draußen einer an der Friedhofspforte | |
| und lacht auf eine Weise, dass man schon zweifeln kann, ob er wirklich nur | |
| den einen lauten Abend meint. Aber sei’s drum. Selbst wenn es hier nur um | |
| einen Haken auf der Bucket List ginge – also Dinge, die man noch erleben | |
| will – dann könnte da auch immer noch sehr viel Bescheuerteres draufstehen | |
| als so ein Abend mit den Swans. | |
| 20 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.silent-green.net/ | |
| [2] https://younggodrecords.com/pages/swans | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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