# taz.de -- Lärm-Legenden in Hamburg: Urzeitechsen in Ekstase | |
> No Wave in Hamburg: Glenn Branca und - etwas später - die Swans spielen | |
> auf Kampnagel. Laut wird es an beiden Abenden. | |
Bild: Der Mann der 1000 Obertöne: Glenn Branca. | |
HAMBURG taz | Ein dichter Nebel: klirrende Gitarren, Rückkopplungen, | |
Perkussion und ein unheilverkündender Bass. Schroffe Klangblöcke erheben | |
sich über einem überstürzten Rhythmus, fallen ineinander, verschmelzen und | |
explodieren schließlich in einer atemberaubenden Kakophonie. Ein | |
13-minütiges Erdbeben aus Glockenschlägen, mikrotonalen Eruptionen und | |
orgastischer Gitarrenglückseligkeit. | |
Glenn Brancas 1981 aufgenommenes zweites Album „The Ascension“ ist so etwas | |
wie die Urszene der postminimalistischen New Yorker Downtown-Avantgarde: | |
Noise-Bands wie Sonic Youth oder die Swans hätte es wohl nicht gegeben ohne | |
Brancas dröhnend-halluzinatorische E-Gitarren-Kompositionen; teils trafen | |
sich ihre Mitglieder in den wechselnden Ensembles, die der demnächst | |
66-Jährige speziell gestimmte Instrumente bearbeiten ließ. | |
In Hamburg konnte man Branca um 1983 in der Fabrik erleben (wer sich | |
genauer erinnert, war nicht dabei). Am Mittwoch bringt er [1][nun] mit | |
seinem derzeitigen Ensemble nach 33 Jahren seine „The Ascension“-Trilogie | |
zum Abschluss. „Mit zunehmendem Alter interessiert mich das Schreiben mehr | |
als das Auftreten“, bekannte er 2010, im Anschluss an die Aufführung von | |
„The Ascension: The Sequel“ beim Donaufestival in Krems. „Der Stand der | |
Dinge ist jedoch, dass ich, um es mal brutal ehrlich zu sagen, auftreten | |
muss, damit meine Werke aufgeführt werden.“ | |
Der Zwang zur Anwesenheit mag aus seiner Sicht bedauerlich sein, das | |
Publikum darf sich hingegen glücklich schätzen, dass sich für den | |
öffentlichkeitsscheuen New Yorker Komponisten in den vergangenen Jahren | |
wenig bis nichts geändert hat. Wenn er behauptet, seine Musiker und | |
Musikerinnen seien so gut, dass es seiner Anwesenheit nicht bedürfe, | |
verschweigt er seine Rolle: als Auge im Sturm. | |
Branca ist dafür bekannt, sein extrem dynamisch aufspielendes Ensemble im | |
Griff zu haben, und das sollte, ja, muss man mal gesehen haben. Zum selben | |
Schluss kommt Lee Ranaldo, langjähriger Gitarrist von Sonic Youth und wie | |
Kollege Thurston Moore ehemaliges Ensemble-Mitglied: In den Linernotes zur | |
„The Ascension“-Wiederveröffentlichung philosophiert er 2003 über die | |
Defizite der Aufnahmen, darüber, dass sich diese Musik erst im Raum | |
wirklich eröffnet. Ranaldos Resümee: „Maybe you just had to be there?“ | |
Keine Frage. | |
Im zitierten Interview mit dem österreichischen Magazin Skug spricht | |
Branca, der Mann der tausend Obertöne, auch schon von seiner Arbeit an „The | |
Ascension: Three“, die er gedenke, noch im selben Jahr abzuschließen. Die | |
Musik solle „ganz anders klingen“, mehr war ihm nicht zu entlocken. Dennoch | |
lässt sich versprechen, dass es auch am Mittwoch sehr laut wird, oder, wie | |
Branca sagen würde, „dynamisch“. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn | |
der Himmel nicht wieder voller merkwürdig gestimmter Gitarren hinge, die | |
Töne erzeugen, die niemand gespielt hat … | |
## Heftige Kurswechsel | |
[2][Keine drei Wochen später] gastieren die Swans am selben Ort. Die | |
Verflechtungen sind multidimensional, rein faktisch: Die Swans entstammen | |
wie Branca der frühen New Yorker Noise-Szene, veröffentlichten 1983 ihr | |
Debüt „Filth“ auf Brancas Label Neutral und ihr bis heute alleiniger | |
Herrscher, Michael Gira, hat natürlich, ebenso wie ein paar andere der | |
zahlreichen Swans-Mitglieder, auch schon mal für oder unter Branca | |
gespielt. | |
Relevanter sind die Gemeinsamkeiten im Alter: Während sich Brancas | |
Volldampf-Minimaximalismus im Zuge wenig verändert hat, haben die Swans | |
nach heftigen Kurswechseln – von Noise-Rock über Neo-Folk und Psychedelic | |
zu Anti-Americana und zurück – zuletzt noch einmal etwas deutlicher | |
aufgeschlossen. Bei seinem letzten Kampnagel-Auftritt, im Winter 2012 | |
anlässlich des Jahrhundertalbums „The Seer“, wirkte Gira mehr denn je wie | |
ein in das aktive Bühnengeschehen eingreifender Dirigent. | |
Weit darüber und über ihre gemeinsame Vergangenheit hinaus eint ihre stets | |
extrem lauten Konzerte jedoch vor allem eins: Der Moment, in dem die Musik | |
zu einem psychoakustischen Ereignis von der Gestalt einer Urzeitechse wird. | |
„Das Ziel ist Ekstase!“, verspricht Gira. Ihr seid gewarnt. | |
Glenn Branca Ensemble: Mi, 8. 10., 21 Uhr, [3][Kampnagel]. | |
Swans: Mo, 27. 10., 20 Uhr, Kampnagel. | |
5 Oct 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kampnagel.de/de/programm/ascension-iii/?datum=&id_datum=2900 | |
[2] http://www.kampnagel.de/de/programm/1749-/?datum=&id_datum=2875 | |
[3] http://www.kampnagel.de | |
## AUTOREN | |
Lars Brinkmann | |
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