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# taz.de -- Kritik an Jan Böhmermann: An den Schamhaaren herbeigezogen
> Jan Böhmermann hat dazu aufgerufen, „einfach mal ein paar Nazis zu
> keulen“. Was wollte der Satiriker damit eigentlich sagen?
Bild: Darstellung einer weiteren möglichen Bedeutung des Wortes „keulen“
Jan Böhmermann hat es in seinem „ZDF Magazin Royale“ mal wieder krachen
lassen. Am Ende seiner starken Sendung über die rechtsextreme FPÖ in
Österreich gab er dem Publikum mit auf den Weg: „Bitte nicht vergessen,
nicht immer die Nazikeule rausholen, sondern vielleicht einfach mal ein
paar Nazis keulen.“
„Keulen“ bedeutet in erster Linie das Töten von Schlachtvieh. Das Wortspiel
war ein vermeintlicher Elfmeter, [1][den Böhmermann] unbedingt verwandeln
wollte. Könnte aber sein, dass der Ball eine leichte Beute für den
Nazi-Torwart wird. Für mich als entfernten Genrekollegen steht dabei
weniger der Mordaufruf als solcher in der Kritik, denn es ist keiner. Es
ist die Performance eines Mordaufrufs, ausgesprochen von einer Bühnenfigur.
Dazu gehört auch Mimik, Gestik und Tonfall. Es nur so zu lesen, wie es
geschrieben steht, wird einer Bewertung nicht gerecht.
Trotzdem hinterlässt mich die Posse etwas ratlos. Mir ist überhaupt nicht
klar, was der Künstler damit sagen will. Unklarheit an sich kann zwar gutes
Handwerk sein, aber der Satz ist, wie vieles [2][auch bei Lisa Eckhart],
nicht vielschichtig in seiner Unklarheit und legt daher nahe, dass hier nur
mal jemand einfach einen aus tiefster Seele raushauen wollte. Auch das kann
man als auflockerndes Stilmittel machen, hier die Hypotaxe, da die
Parataxe, hier der komplizierte Gedanke und da der Kalauer zur kurzen
Entspannung des Publikums. Grips und Tricks, Belehrung und Erbauung,
Zuckerbrot und Peitsche – das Sendung-mit-der-Maus-Prinzip.
## Damit ficken sie unser Hirn
Das reicht mir nicht so richtig. Wo zeigt sich da insgesamt der Bruch, die
zweite Ebene? Allenfalls vage in besagtem Performancecharakter versteckt.
Ansonsten ist die Aussage schon recht grobkörnig. Und weit weg vom guten
Tipp unserer Stand-up-Kollegin Michelle Obama, „When they go low, we go
high“: Wir bleiben doch bitte möglichst über dem Niveau des Feindes.
Dieser wird nun erwartbar von „Mordaufruf“ faseln – damit kennt er sich
schließlich aus (Petr Bystron, AfD: „Solche Menschen müssen wir
selbstverständlich entsorgen“). AfD, FPÖ und Reichelt-Nius schäumen jetzt
schon, der [3][parteilose Politiker Marcel Luthe (ehemals FDP)] hat bereits
Strafanzeige gegen Böhmermann erstattet.
Der redet sich im Nachhinein auf X damit heraus, [4][dass er mit „keulen“
masturbieren meinte,] doch diese an den Schamhaaren herbeigezogene
Nebenbedeutung kauft ihm selbst das eigene Lager nicht ab. Natürlich macht
es einen Unterschied, wer, wo, wann, wie und zu welcher Gelegenheit etwas
sagt, aber den Rechten ist das gleich. Wie immer legen sie alles, was einer
ihrer Gegner sagt oder auch nicht sagt, auf ihre Weise aus. Wo sie nicht
dumm sind, stellen sie sich dumm. Sie ignorieren Kontext und Metaebene. Mit
diesem Terror der teils gespielten, teils immanenten Eindimensionalität
treiben sie uns alle vor sich her. Damit ficken sie unser Hirn.
Fußballtrainer empfehlen ihren Teams gern, sich der eigenen Stärken zu
besinnen und nicht immer schon im Vorhinein nur auf alles zu reagieren, was
der Gegner macht. Das heißt in diesem Fall, die Deutungshoheit über das
Gesagte, auch und gerade den Witz, für sich zu reklamieren. Warum auch
nicht, denn Fundamentalisten, ob politisch oder religiös, ob rechts oder
links, eint eines verlässlich: Sie haben und verstehen keinen Humor. Wenn
sie bei Böhmermann keine zweite Ebene erkennen, entspricht das deshalb oft
der Wahrheit; wenn sie ihre eigenen Vernichtungsfantasien als Ironie oder
auch nur Überspitzung bezeichnen, ist das definitiv gelogen.
Träte jetzt also ein imaginärer AfD-Comedian mit den Worten auf, [5][„Am
besten das Pack zurück nach Afrika prügeln“ und „Auf der Stelle
erschießen“] (Dieter Görnert, ehemals AfD), er sei ja nur eine Bühnenfigur
und beriefe sich obendrein auf Böhmermann, wäre das in seiner ganzen
Machart ein geradezu prototypisch rechter Move. Einerseits so durchschaubar
falsch und dabei doch in all seiner offensichtlichen Verdrehung gar nicht
so einfach zu widerlegen. Humor, jenseits der hierzulande vorherrschenden
Türenklapp- und Klatschpappenliga, ist nun mal eine sehr komplizierte
Sache.
Und, Achtung, jetzt wird es noch verwirrender: Guter Humor ist nicht
lächerlich.
20 Feb 2024
## LINKS
[1] /Jan-Boehmermann-im-ZDF-Hauptprogramm/!5726806
[2] /Lisa-Eckhart-und-der-Antisemitismus/!5679755
[3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/zdf-moderator-jan-boehmermann…
[4] https://twitter.com/janboehm/status/1758868683676397773
[5] https://correctiv.org/faktencheck/politik/2020/02/05/die-meisten-dieser-zit…
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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