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# taz.de -- Man’ousheh-Brot aus dem Libanon: Der Duft, der die Nachbarn ruft
> Das libanesische Brot Man’ousheh ist seit kurzem immaterielles
> Weltkulturerbe. Es ist köstlich und halbwegs erschwinglich – trotz
> starker Inflation.
Bild: Diese Bäckerin war einst Bänkerin, dann verlor sie den Job und backt nu…
Beirut taz | Es gibt im Beiruter Winter, wenn der Wind unangenehm kalt vom
Meer her weht und den Regen bei 13 Grad durch die Gassen der Stadt
peitscht, kaum etwas Besseres als eine Man’ousheh. Wenn sie direkt aus dem
Ofen kommt und in Papier umwickelt heiß in der Hand liegt, wenn es
verheißungsvoll nach frisch gebackenem Weizenteig duftet und die ersten
Bissen anfangen, im Bauch eine gewisse innere Wärme zu verbreiten, dann
kommt das einem Moment reinen Glücks schon recht nah.
Die Man’ousheh – Plural: Manakish – ist eine klassische Frühstücksmahlz…
Der runde Teigfladen mit Belag gehört im Libanon zu den Basics, Bäckereien
gibt es fast an jeder Ecke. Frisch gebacken ist er auch nachmittags lecker,
und satt macht er auch dann, wenn man Pech hat und nur noch einen
aufgewärmten bekommt.
„Als Kinder haben uns unsere Eltern Taschengeld gegeben, von dem wir uns
vor dem Unterricht Manakish gekauft haben“, erzählt Azza Rajjar, die heute
Anfang 30 ist. „Wir hatten eine Bäckerei in der Schule und ich weiß noch,
wie schön ich es fand, wenn es im ganzen Gebäude nach frisch gebackener
Man’ousheh roch.“
## Spontane Begegnungen am Morgen
Mit dem Duft begründet auch die Unesco, warum sie die Man’ousheh 2023
[1][zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt hat]. Er rufe nämlich morgens
die Menschen aus der Nachbarschaft zusammen, die sich dann bei einer
Man’ousheh über Neuigkeiten austauschten. Sobhiye nennt man diese
kulturelle Praxis des kurzen, informellen nachbarschaftlichen
Zusammenseins, die ursprünglich bei Kaffee entstanden ist. Die Unesco
bezeichnet so eine spontane Begegnung als „Schlüsselmoment der sozialen
Interaktion“.
Erleben lässt sich das bei Simon Aboud im Beiruter Stadtteil Furn El
Chebbak. Er ist Anfang 60 und backt im Erdgeschoss eines Wohnhauses, die
Bäckerei ist zur Straße hin offen. Drei ältere Herren sitzen am
Plastiktisch und plaudern angeregt. Es ist kurz nach Mittag, kein großer
Andrang. Simon grüßt und scherzt mit den Vorbeigehenden, er scheint sie
alle zu kennen, die meisten auch beim Namen. Von der Schule schräg
gegenüber schallt eine Pausenhofsoundkulisse.
Zwischen dem Gasofen und der Arbeitsfläche aus Edelstahl, die fast so groß
ist wie ein Ehebett, breitet Simon die Arme aus. „Hier beginnt um 4 Uhr
mein Tag.“ Als Erstes stellt er den Teig her. „Weizenmehl, Wasser, Hefe,
Salz, ein bisschen Öl, ein bisschen Zucker. Dann wird der Teig geknetet,
und während er eine Zeit lang ruht, heize ich den Ofen, und dann kann es
losgehen.“
## Das richtige Händchen für die Teigmischung
Nach dem Rezept gefragt, also etwa dem genauen Verhältnis von Wasser zu
Mehl, bleibt er vage: „Das kommt darauf an. Bei zehn Kilo Mehl kann es
sein, dass ich drei Liter Wasser hinzugebe, oder auch mal fünf.“ Vielleicht
muss er die Mengen nach all den Jahren als Bäcker nicht mehr abmessen, weil
er schon sieht oder seine Finger spüren, wenn der Teig mehr Wasser braucht.
Oder er möchte die Rezeptur geheim halten. Nur so viel verrät er: Im Sommer
gießt er eher kühleres Wasser in den Teig, im Winter wärmeres, damit der
Teig nicht zu schnell oder zu langsam geht. Wenn er früh dran ist mit der
Zubereitung und der Teig viel Zeit zum Gehen hat, nimmt er weniger Hefe.
Wenn der Teig schneller gehen soll, mehr. Ein Profi.
Portionieren muss er den Teig nicht selbst, das macht eine Maschine, aus
der kleine Teigbälle einzeln auf ein Lieferband purzeln. Das transportiert
sie weiter zu seinem Helfer Bashar Al-Hasson, der sie auf einem Haufen Mehl
platt drückt und in ihre runde Form zieht.
Die Spezialität mag von Form und Rezept her an jene italienische Teigware
mit Belag erinnern, die es zu Weltruhm gebracht hat. Doch die Man’ousheh
fühlt sich leichter an, noch snackbarer als ihre Cousine, die Pizza. Auch
Tomatensoße fehlt, der klassische Belag für eine Man’ousheh ist braun und
heißt Za’atar. Getrocknete und geschnittene Blätter des gleichnamigen
levantinischen Kräutergewächses, das ähnlich wie Thymian und Oregano
schmeckt, werden mit Olivenöl, geröstetem Sesam, Sumach und Salz vermengt
und auf den Teig gestrichen. Das sorgt für ein trocken-sättigendes und
dabei trotzdem ölig-saftiges Geschmackserlebnis.
Auch Jibneh, weißer Käse, ist als Belag beliebt. Oder Za’atar w Jibneh,
halb Käse, halb Za’atar – klappt man die Man’ousheh zusammen, hat man auf
jeder Hälfte von beidem was. Ebenfalls populär ist ein Belag aus
Hackfleisch, Tomaten und Gewürzen, vergleichbar mit Lahmacun, in
Deutschland bekannt als „türkische Pizza“.
## Man’ousheh to go
Gegessen wird die Man’ousheh als Snack auf der Hand vor Ort oder im Gehen.
Wer etwas mehr Zeit hat, nimmt sie mit nach Hause und macht sie zum Teil
eines Frühstücks, isst sie mit frischen Tomaten, Gurken, Oliven. Auch
Labneh, der dicke libanesische Frischkäse, macht sich mit etwas Olivenöl
auf einer Za’atar-Man’ousheh ausgezeichnet.
Fragt man den Bäcker Simon Aboud, was die Man’ousheh einzigartig macht,
sagt er: der Preis. In Beirut zahlt man zurzeit etwa zwischen 75.000 und
150.000 Libanesische Pfund für eine bodenständige Man’ousheh, umgerechnet
75 Cent beziehungsweise 1,50 Euro. „Es ist das günstigste Essen auf dem
Markt“, sagt Aboud.
Doch das ist relativ, denn der Libanon steckt seit sechs Jahren in einer
schweren Wirtschaftskrise. Die Währung hat 98 Prozent ihres Werts verloren,
die Inflation liegt bei 222 Prozent. Vor der Krise hat eine kleine
Man’ousheh bei Aboud noch 750 Libanesische Pfund gekostet, heute das
Hundertfache.
„Früher habe ich mehr angeboten. Schinken und Käse zum Beispiel, Pute oder
Spinat. Das kauft heute niemand mehr, weil es für die Leute zu teuer
geworden ist.“ Und zu jeder verkauften Man’ousheh gab es eines der in
Beirut so populären pyramidenförmigen Ananassaft-Trinkpäckchen. Obwohl das
nur wenige Jahre her ist, kann man sich das heute kaum noch vorstellen.
## Die Wirtschaftskrise ist spürbar
Vor einigen Jahren noch haben Aboud und Al-Hasson in der Schule gegenüber
Kurse für Kinder gegeben, ihnen die Zubereitung der Manakish gezeigt. Und
die Kinder kamen vor dem Unterricht für einen Snack vorbei. „Vor 7.30 Uhr
habe ich regelmäßig siebzig bis achtzig Stück verkauft.“ Auch das:
Vergangenheit. Die Eltern müssten schon für das Schulessen bezahlen, da
wollten viele ihren Kindern nicht auch noch Geld für eine Man’ousheh
mitgeben, erzählt Aboud. „Heute verkaufe ich in derselben Zeit meistens
maximal fünf Manakish.“
Die [2][Aussichten] sind schlecht, dass sich der Libanon von [3][den
Katastrophen der letzten Jahre] bald erholt. Viele der gut Ausgebildeten
verlassen das Land, auch Azza Rajjar zieht nächsten Monat um, nach
Saudi-Arabien, weil es dort Jobs, gute Gehälter und somit eine Perspektive
gibt. Und Manakish gibt es dort auch.
Simon Aboud aber, der seit über vier Jahrzehnten seine Bäckerei betreibt,
bleibt optimistisch. Er hat 15 Jahre Bürgerkrieg erlebt, keine 400 Meter
entfernt von der Green Line, der stark umkämpften Frontlinie, die Beirut
teilte. „Einmal ist eine Bombe direkt nebenan explodiert“, sagt er. Sie
hätten die Bäckerei trotzdem an keinem einzigen Tag geschlossen.
Wenn der Teig der Man’ousheh rundgezogen, belegt und bereit für den Ofen
ist, macht Aboud etwas Ungewöhnliches: Er lässt ihn noch einmal kurz gehen.
Nur zehn Minuten. Warum? Er backt zwei verschiedene, einmal lässt er den
Rohling vor dem Backen gehen, einmal schiebt er ihn direkt in den Ofen. Das
Ergebnis: Die sofort gebackene schmeckt gut. Aber die andere ist
elastischer, der Teig aromatischer, alles in allem frischer. Simon Aboud
grinst zufrieden. Jetzt hat er doch noch ein Geheimnis seines Rezepts
verraten.
19 Feb 2024
## LINKS
[1] https://ich.unesco.org/en/RL/al-man-ouche-an-emblematic-culinary-practice-i…
[2] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5950423
[3] /Drei-Jahre-nach-der-Explosion-in-Beirut/!5952460
## AUTOREN
Benjamin Weber
## TAGS
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