| # taz.de -- Erster Parteitag BSW: Ein Aufstand alter Menschen | |
| > Auf ihrem ersten Parteitag inszeniert sich das „Bündnis Sahra | |
| > Wagenknecht“ als bessere Linkspartei. Fragen zur Migrationspolitik werden | |
| > ausgeklammert. | |
| Bild: Auf dem ersten BSW Parteitag wird Stimmung gemacht, vor allem gegen die A… | |
| Berlin taz | Austeilen kann sie. [1][Dass Deutschland dem saudischen | |
| Königshaus 150 Raketen liefern will], nimmt [2][Sahra Wagenknecht] als | |
| dankbare Vorlage, um gegen „unsere grünen Moralapostel“ und deren angeblich | |
| „feministische Außenpolitik“ zu giften – schon der Begriff sorgt im Saal | |
| für erste Lacher. „Wenn in den Rüstungsverträgen gegendert werde, dann sei | |
| wohl „die grüne Welt in Ordnung“, ätzt sie in ihrer Rede. Immerhin trügen | |
| die Raketen ja den weiblichen Namen Iris. „So viel Feminismus muss im Hause | |
| Baerbock wohl sein“, setzt Wagenknecht eine weitere Pointe. Das sitzt, der | |
| Saal ist begeistert. | |
| Am heutigen Samstag begeht das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Berlin | |
| seinen ersten Parteitag, und durch das frühere Kosmos-Kino im Ostteil der | |
| Stadt weht ein Hauch von DDR-Nostalgie. Das liegt nicht nur daran, dass die | |
| nüchtern-modernistische Architektur des ehemaligen Kinos an der | |
| Karl-Marx-Allee an die Aufbaujahre des sozialistischen Staates erinnert. | |
| Sondern auch an der Art und Weise, wie straff und diszipliniert der | |
| Parteitag um dessen Große Vorsitzende herum organisiert wurde und nach Plan | |
| abläuft – und daran, dass sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ als eine… | |
| bessere Linkspartei inszeniert. | |
| Das ist weit weg von den manchmal chaotischen und kontroversen Parteitagen | |
| ihrer ehemaligen Partei, der Linken – aber auch von deren demokratischer | |
| Diskussionskultur. Hier ist alles vorab von oben geplant. | |
| Zum Auftakt des Parteitags spricht Daniela Dahn, die als „Stimme der | |
| Friedensbewegung“ vorgestellt wird. Die 74-jährige Publizistin, die | |
| parteilos ist und es nach eigenen Angaben auch bleiben will, schlägt den | |
| Bogen zum heutigen Holocaust-Gedenktag und erinnert daran, dass die Rote | |
| Armee vor 79 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit habe. | |
| Millionen Soldaten hätten dafür ihr Leben gelassen. „Dafür sind wir ihnen | |
| zu ewig zu Dank verpflichtet“, sagt Dahn – egal, wie sich die Weltlage | |
| ändere. | |
| ## Die Linie des Parteitags | |
| Sie habe mit der Linkspartei gebrochen, weil diese sich nicht an der | |
| [3][Friedensdemonstration von Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar | |
| 2023 in Berlin] beteiligt habe, so Dahn. Sie lobt Wagenknecht für „ihren | |
| Mut und ihre Kühnheit, der restaurativen Parteienlandschaft die Stirn zu | |
| bieten.“ Viel Applaus erhält sie für die Losung, von diesem Parteitag gehe | |
| „unmissverständlich das Engagement für Antirassismus und Antifaschismus | |
| aus“. Strittige Fragen, etwa zur Migration, erklärt sie dagegen für | |
| „nachrangig“ | |
| Das beschreibt die Linie des Parteitags. Viele Rednerinnen und Redner | |
| betonen Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und einer anderen | |
| Außenpolitik, die mehr auf Diplomatie statt auf Waffenlieferungen setzt. | |
| Darauf können sich sich alle einigen. | |
| Umstrittene Themen wie die Migrations- und Klimapolitik werden nur am Rande | |
| gestreift. Wagenknechts Rede folgt dieser Linie und markiert vor der | |
| Mittagspause einen Höhepunkt des Parteitags. „Lasst uns pfleglich | |
| miteinander umgehen!“, redet sie ihren Mitgliedern ins Gewissen. Man müsse | |
| „Toleranz und Respekt nicht nur in der Gesellschaft einfordern, sondern | |
| auch in unserer Partei leben“, sagt sie, und: „Wir sind keine Linke 2.0.“. | |
| Daher arbeite man an „Strukturen, in denen sich nicht die | |
| Rücksichtslosesten und Intrigantesten, sondern die Talentiertesten und | |
| Besten durchsetzen“. | |
| ## Wenige Frauen in Führungspositionen | |
| Wer das ist und wer das entscheidet ist allerdings nicht besonders | |
| transparent, die ersten rund 450 Mitglieder der Partei wurden handverlesen. | |
| Zu den BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl wurden schon Anfang Januar | |
| der Ex-Linke Fabio De Masi und Thomas Geisel, der ehemalige | |
| SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, erklärt. | |
| An dritter Stelle soll nun der ehemalige deutsche UN-Diplomat Michael von | |
| der Schulenburg für das BSW in das Europaparlament einziehen. Das Programm | |
| für die Europawahl wurde vorab in einer Online-Delegiertenkonferenz | |
| durchgesprochen, damit es auf dem Parteitag keine langen Diskussionen gibt. | |
| Es scheint dem Bündnis schwerzufallen, jenseits ihrer Spitze qualifizierte | |
| Frauen für Führungspositionen zu finden. Bis auf die beiden Vorsitzenden | |
| kandidieren fast nur Männer für wichtige Posten, und beim Parteitag führen | |
| überwiegend Männer das Wort. Auch der Altersdurchschnitt ist relativ hoch. | |
| Eine Parteijugend gibt es noch nicht, eine Frauenquote auch nicht. Deshalb | |
| erinnert der Parteitag ein wenig an einen Aufstand alter Männer (und | |
| Frauen). | |
| Das Personal besteht hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der | |
| Linkspartei, nicht selten aus dem engsten Kreis um Wagenknecht. Als | |
| Vizevorsitzende wurden die Ex-Linken Friederike Benda und Amid Rabieh | |
| nachnominiert und gewählt, der vollständige Vorstand besteht aus 17 Männern | |
| und fünf Frauen. Die prominenten Quereinsteiger werden ins Schaufenster | |
| gestellt. | |
| Einen Coup hat das BSW mit dem Islamwissenschaftler, Nahost-Experten und | |
| Beststeller-Autor Michael Lüders gelandet. Der prominente Publizist | |
| kandidierte für den erweiterten Vorstand und für die Europawahl auf Platz | |
| neun und erzielte mit jeweils über 98 Prozent beide Male das beste Ergebnis | |
| von allen. Das zeigt, dass er einen Nerv trifft. | |
| ## Lafontaine – Neuzugang und Strippenzieher | |
| Einen Tag vor dem Parteitag konnte das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ noch | |
| einen weiteren prominenten Neuzugang verzeichnen: Oskar Lafontaine gab | |
| bekannt, der Partei seiner Ehefrau beizutreten. Viele hatten ihn für einen | |
| der Strippenzieher im Hintergrund, und für die strategische Ausrichtung der | |
| Partei federführend. | |
| Auf dem Parteitag hält der ehemalige saarländischen Ministerpräsident und | |
| Ex-Chef der Linken ein fulminantes Schlusswort, während die Auszählung der | |
| Stimmen läuft, und bringt den Saal am Abend noch einmal in Wallung. Es sei | |
| nicht falsch, in machen Dingen konservativ zu sein, sagt er, und zieht mit | |
| Verve gegen „Cancel Culture“ und Gender-Sprache zu Felde: „Ich möchte | |
| unsere Sprache bewahren, weil eine linke Partei die Sprache des Volkes | |
| sprechen muss“, sagt er unter Applaus. | |
| Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ wolle eine „Lücke im Parteiensystem“ | |
| füllen, hatte er vorher erklärt. Es stimme aber nicht, dass seine neue | |
| Partei „rechts“ sei. Vielmehr würden alle anderen Parteien im Bundestag in | |
| der Wirtschafts- und Sozialpolitik „rechte Positionen“ vertreten. Das | |
| Bündnis Sahra Wagenknecht sei zudem die einzige Partei, die sich konsequent | |
| für Frieden und Abrüstung einsetzt. Seine ehemalige Partei, die Linke, | |
| unterschlägt er an dieser Stelle einfach. | |
| ## Deutsche Verantwortung und russische Energie | |
| Dann kommt er auf den Holocaust zu sprechen, der alle Deutschen | |
| verpflichte, gegen Antisemitismus und für den Staat Israel einzutreten, so | |
| Lafontaine, aber auch für das Lebensrecht der Palästinenserinnen und | |
| Palästinenser. Die Bundesregierung genüge diesem „moralischen Imperativ“ | |
| nicht. Den Krieg in Gaza bezeichnet er als „Kriegsverbrechen“, und fordert | |
| einen sofortigen Waffenstillstand dort und in der Ukraine. | |
| Wenn Deutsche aus der Geschichte gelernt hätten, jüdische Leben zu | |
| schützen, dann sei es auch falsch, „Waffen zu liefern, mit denen wieder | |
| Russen ermordet werden können“, schlägt er einen wilden Bogen und ruft in | |
| den Saal: „Die Lehre unserer Geschichte aus zwei Weltkriegen ist doch ganz | |
| einfach: Von deutschem Boden soll niemals wieder Krieg ausgehen.“ | |
| Stattdessen solle man lieber wieder „Energie direkt aus Russland beziehen“. | |
| Seine Rede wird minutenlang rhythmisch beklatscht. | |
| ## Wettern gegen die „irre Ampel“ und Grünen | |
| Das Wagenknecht-Bündnis fordert eine „andere Diskussionskultur“ und mehr | |
| Respekt gegenüber anderen Meinungen, das ist eine der zentralen | |
| Forderungen. Im performativen Widerspruch dazu steht die rhetorische Härte, | |
| mit der viele Rednerinnen und Redner auf dem Parteitag gegen eine angeblich | |
| „abgehobene Polit-Blase“, die „irre Ampel“ und insbesondere die Grünen | |
| wettern. | |
| Deutschland habe die „dümmste Regierung Europas“, sagt Wagenknecht – | |
| wortgleich hatte das Amira Mohamed Ali keine zwei Stunden zuvor formuliert. | |
| Und wie ihre Co-Vorsitzende weidet auch Wagenknecht genüsslich aus, dass | |
| Ricarda Lang nicht wisse, wie hoch die Durchschnittsrente in Deutschland | |
| sei. Die Grünen-Chefin hatte sich bei Markus Lanz verschätzt. Wagenknecht | |
| stempelt sie dafür zum „Sinnbild der Abgehobenheit“ und fragt: „Wie soll… | |
| jemand eine vernünftige Rentenpolitik machen?“ | |
| ## Wagenknechts Patentrezept gegen Rechts | |
| Bemerkenswert sind auch die Gründe, die gegen die AfD ins Feld geführt | |
| werden. Viele hätten „ehrlich Angst“ vor dem Erstarken der AfD, sagt | |
| Wagenknecht. „Diese Angst habe ich auch.“ Wagenknechts Hauptvorwurf an die | |
| AfD aber lautet, diese sei „keine Friedenspartei“, sondern nicht weniger | |
| eng mit der Waffenindustrie verbandelt als Agnes Strack-Zimmermann mit | |
| Rheinmetall. | |
| Auch Christian Leye, der neue BSW-Generalsekretär, warnt vor der AfD mit | |
| dem Argument, „das sei doch keine Anti-Establishment-Partei“ und „keine | |
| Anti-System-Partei“, sondern eine „Partei der sozialen Kälte“. An | |
| Bäuerinnen und Bauern, appelliert er, sich das Parteiprogramm der AfD | |
| durchzulesen. Er scheint das für eine sinnvolle Strategie gegen die | |
| Rechtsradikalen zu halten. Oskar Lafontaine führt am Abend noch ein anderes | |
| überraschendes Argument ins Feld: die AfD stehe wie alle anderen „an der | |
| Seite Israels“ und sei deshalb keine echte „Friedenspartei“. | |
| Die Worte Rassismus und Rechtsextremismus kommen nur in einem anderen | |
| Zusammenhang vor. Es „empört mich immer wieder, wenn kritische Meinungen | |
| als rechtsradikal und rechtsoffen diffamiert werden“, sagt Mohamed Ali | |
| unter großem Applaus. „Damit werde die Gesellschaft gespalten“. Eine offene | |
| Debatte sei in diesem Klima der politischen Korrektheit unmöglich. | |
| Auch Wagenknecht stößt ins gleiche Horn: Jeder werde heutzutage als rechts | |
| abgestempelt – ob er sich wegen „islamistischer Parallelgesellschaften“ | |
| sorge, die Corona-Maßnahmen kritisiere oder schlicht für den Frieden sei. | |
| Aber die Menschen hätten gute Gründe, wütend zu sein. Jetzt gingen die | |
| Ampel-Politiker selbst auf die Straße, um heldenhaft gegen die Ergebnisse | |
| ihrer eigenen Politik zu demonstrieren. Aber wenn die Ampel wirklich die | |
| AfD bekämpfen wolle, müsse sie ihre „miserable Politik“ ändern. Das ist | |
| Wagenknechts Patentrezept gegen Rechts. | |
| ## Was bewegt Linke zum Wechsel? | |
| Im Foyer des Kosmos-Kinos gibt es an einem Tresen Filterkaffee, Tee und | |
| Wasser für die Delegierten und Gäste, das Angebot ist etwas karg. Dort | |
| steht Andrej Hunko, der seit 2009 im Bundestag sitzt – erst für die Linke | |
| und nun in der Gruppe um Sahra Wagenknecht. Was ihn zum Wechsel bewogen | |
| hat? Das war ein längerer Prozess, der während der Corona-Zeit und der | |
| „Anpassung“ der Linken „an zentrale Narrative der Regierung“ begonnen h… | |
| sagt er. | |
| Hat der 60-jährige, der ukrainische Vorfahren hat und in der Linkspartei | |
| zur Parteilinken gehörte, kein Problem mit der Sahra Wagenknechts Haltung | |
| in Migrationsfragen? „Ich finde es wichtig, dass Probleme angesprochen | |
| werden. Das macht Sahra Wagenknecht“, sagt er. Und dass sie für | |
| Asylverfahren an den Außengrenzen und in Staaten außerhalb der EU eintritt, | |
| was die Linke strikt ablehnt? Da weicht Hunko aus. Wichtiger seinen für ihn | |
| andere Punkte: „Frieden ist für mich ganz zentral“, sagt er, und der | |
| „Protest gegen einen verengten Meinungskorridor.“ | |
| 27 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Export-Genehmigung-der-Bundesregierung/!5984926 | |
| [2] /Wagenknecht-Ansprache-in-Wettbergen/!5984257 | |
| [3] /Wagenknecht-und-Schwarzer/!5912913 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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