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# taz.de -- Parteitag vom Bündnis Sahra Wagenknecht: Wie aus dem Lehrbuch des …
> Die Wagenknechte halten am Wochenende ihren ersten Parteitag ab. Wir
> haben Fragen und Antworten zu Partei und Namenspatronin.
Bild: Die Namensgeberin: Sahra Wagenknecht
Wer ist die Person?
Sahra Wagenknecht muss man nicht vorstellen: Sie ist eine Medienfigur,
beliebter Talkshow-Gast und auch in den sozialen Medien von TikTok bis
YouTube präsent. Ihren Look hat sie über Jahrzehnte kaum verändert. Früher
ähnelte sie Rosa Luxemburg so sehr, dass ihr damaliger Parteichef Lothar
Bisky frotzelte, sie müsse nur noch hinken. Heute wirkt sie eher wie eine
Managerin. Mit Kostüm, Perlenkette, strengem Kajalstrich über den Augen und
stets hochgestecktem Haar verströmt sie eine altmodische Eleganz, die ein
wenig aus der Zeit gefallen wirkt. Die Marke Wagenknecht sei [1][„sofort
erkennbar wie Mickey Mouse oder Marilyn Monroe“], schrieb die Welt einmal.
Wagenknecht verbindet einen spröden, strengen Charme mit Intelligenz und
Charisma. Persönlich wirkt sie eher unnahbar, aber in Boulevardmedien
plaudert sie auch über ihr Privatleben mit ihrem Partner Oskar Lafontaine:
„Wenn ich ins Saarland zurückkomme, wartet dort mein Mann und fängt mich
auf“, sagte sie vor ein paar Jahren der Super Illu: „Seit wir
zusammenleben, bin ich einfach ein glücklicher Mensch.“ Neuerdings betont
sie den Dr. vor ihrem Namen.
Welche Politik ist zu erwarten?
Wagenknecht ist eine Projektionsfläche für unterschiedliche Sehnsüchte,
politisch ist sie erstaunlich wandlungsfähig. Früher wärmte sie die Herzen
linker Parteikader, indem sie die DDR und sogar Stalin verklärte und
forderte, Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Später erhob sie den
Ordoliberalen Ludwig Erhard zu ihrem Idol, womit sie Konservative für sich
einnahm. Seit der Finanzkrise von 2011 gilt sie allenthalben als
Wirtschaftsexpertin. Heute keilt sie vorzugsweise gegen „Lifestyle-Linke“,
„Wokeness“ und die Ampelkoalition aus, während sie der AfD gegenüber eher
gleichgültig wirkt. Wenn sie ihre Attacken gegen die „irre Politik der
Ampel“ reitet, bleibt sie im Gegensatz zu AfD-Chefin Alice Weidel meist
kühl und kontrolliert, den Rücken stets aufrecht durchgedrückt. Ihre
Polemik klingt auch nicht so hart wie bei Friedrich Merz oder Hubert
Aiwanger, dabei ist sie nicht weniger scharf. Wenn Wolfgang Kubicki solche
Sprüche klopft, denkt man, er sei betrunken. Bei Wagenknecht klingt noch
der größte Unsinn irgendwie vernünftig.
Was für eine Partei ist das?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine populistische Partei wie aus dem
Lehrbuch: ganz auf eine charismatische Führungsperson zugeschnitten,
Top-down-mäßig organisiert und wie am Reißbrett konzipiert. In Deutschland
ist das ein Novum, wenn man mal vom eher erfolglosen Team Todenhöfer des
Ex-CDU-Politikers Jürgen Todenhöfer absieht. Erfolgreiche Vorbilder finden
sich im Ausland, von [2][Silvio Berlusconis Forza Italia] über Geert
Wilders Einmannpartei Für die Freiheit bis zu Emmanuel Macrons La
République en marche. Politisch unterscheiden sie sich, an den Wahlurnen
bewährt haben sie sich aber alle. Berlusconi und Macron haben es bis an die
Spitze ihrer Staaten gebracht, der Rechtsextremist Geert Wilders steht in
den Niederlanden kurz davor, Premier zu werden. Populisten sind politische
Entrepreneure, die gesellschaftliche Stimmungen wittern und die Chance
nutzen, um die Parteienlandschaft durcheinanderzuwirbeln. Das liegt im
Trend: Auch Sebastian Kurz in Österreich und Donald Trump in den USA haben
ihre Parteien so zeitweise hinter sich gebracht und auf sich vereint.
Wagenknecht will explizit „nicht links oder rechts“ sein. Damit ähnelt sie
anderen Populisten, die sich an eine vermeintliche Mitte richten. Am
meisten Ähnlichkeiten hat ihr Bündnis mit der 5-Sterne-Bewegung des
Komikers Beppe Grillo, die vor sechs Jahren in Italien stärkste Kraft
wurde. Mit EU-Skepsis, Elitenkritik und linker Sozialpolitik punktete es
damals bei einer vormals linken Wählerschaft. Nach der Wahl koalierten die
5 Sterne mit der rechtsextremen Lega Nord von Matteo Salvini, im
Europaparlament arbeiteten sie mit der extrem rechten Partei Ukip des
britischen Brexit-Propagandisten Nigel Farage zusammen. Wagenknecht lehnt
Koalitionen mit der AfD ab, punktuell gemeinsam abzustimmen findet sie aber
„unproblematisch“.
Was steht im Programm?
Zehn Tage vor dem Gründungsparteitag am 27. Januar wurde ein
[3][Programmentwurf für die Europawahl] publik, der von EU-Skepsis geprägt
ist. Gegen „abgehobene EU-Technokraten“ und „ausufernde EU-Regelungswut“
stellt das Bündnis „ein selbstbewusstes Europa souveräner Demokratien“,
eine Erweiterung der EU etwa um die Ukraine lehnt es ab. „Statt Spielball
im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein“, müsse Europa
„eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden“, steht in der Präambel.
Die Migrations- und Asylpolitik müsse sich „grundlegend“ ändern, heißt es
im Programm, in dem es von Schlagworten wie „islamistisch geprägte
Parallelgesellschaften“ und „fehlgeschlagene Integration“ wimmelt.
Einwanderung müsse begrenzt, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und
außerhalb der EU sollten eingeführt werden. Nur in der Wirtschafts- und
Sozialpolitik finden sich gemäßigt linke Forderungen: für höhere Reallöhne
und Renten, bezahlbare Mieten, faire Steuern und weniger Privatisierung in
Gesundheit und Pflege. Auf dem Parteitag wird das voraussichtlich nur noch
abgenickt werden.
Wer ist das Personal?
Auf 450 Mitglieder wurde die Partei bei ihrer Gründung im Januar zunächst
beschränkt, das Personal ist handverlesen und stammt bisher überwiegend aus
dem Kreis von Ex-Linken und Ex-SPDlern sowie aus dem Westen des Landes.
Öffentlichkeitswirksam stellt Wagenknecht ihr Team in Etappen vor, einen
Neuzugang nach dem anderen. Mit dieser Salamitaktik füttert sie
kontinuierlich die Medien, die damit immer etwas Neues zu berichten haben.
Das Bündnis will Wirtschaftskompetenz ausstrahlen: der badische
IT-Unternehmer Ralph Suikat wurde zum Schatzmeister ernannt, der
Wirtschaftswissenschaftler Shervin Haghsheno aus Karlsruhe zum
Generalsekretär. Im Osten ist die neue Partei bisher schwach aufgestellt,
dort will sie im Herbst bei drei Landtagswahlen antreten. Mit Katja Wolf,
bisher Bürgermeisterin von Eisenach, hat sie jüngst einen prominenten
Übertritt aus der Linkspartei vermeldet. Wagenknecht selbst will erst in
zwei Jahren für den Bundestag kandidieren. Bis dahin leiht sie ihrer Partei
vor allem ihren Namen und ihr Gesicht.
Was ist im Portemonnaie?
Anders als ihre bisherige Heimat, die Linkspartei, die bewusst keine
Spenden von Unternehmen annimmt, wirbt Wagenknecht aktiv um Spenden aller
Art. Bisher hat die Partei nach eigenen Angaben 1,4 Millionen an Spenden
gesammelt, von kleinen Beträgen bis zu größeren Summen von Großspendern.
[4][Ein vermögendes Paar aus Ostdeutschland habe kürzlich 1 Million Euro
gespendet], berichtete der Spiegel.
Wie groß ist das Potenzial?
Mancherorts sehen Umfragen das Bündnis Sahra Wagenknecht bereits im
zweistelligen Bereich – in Brandenburg etwa bei 13 und in Thüringen bei 17
Prozent, obwohl die Partei dort noch gar keine Strukturen hat. In einer
Forsa-Umfrage kam sie kürzlich bundesweit aber nur auf 3 Prozent. Für die
Europawahl würde das reichen, sonst nicht.
27 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.welt.de/iconist/article143910446/Das-modische-Dilemma-linker-Po…
[2] /Nach-dem-Tod-von-Silvio-Berlusconi/!5940462
[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/buendnis-sahra-wagenknecht-legt-europaw…
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bsw-ehepaar-spendet-wagenknecht-…
## AUTOREN
Daniel Bax
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