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# taz.de -- Umzug im Rentenalter: Auf die Parkbank nach Altötting
> Im Alter dahin, wo es billiger ist? Rentner:innen in Deutschland
> riskieren eher Altersarmut, anstatt umzuziehen. Anders in den USA.
Bild: In den USA sind Renter:innen flexibler – auch was einen Umzug angeht. S…
Im Alter umziehen in eine mietgünstige Region, am besten im Osten oder
irgendwo in eine abgelegene Kleinstadt? Zu diesem Schluss kann kommen, wer
sich diverse Studien zu Wohnkosten, Kaufkraft und Lebensqualität im Alter
vornimmt. Gera, Chemnitz oder auch der Landkreis Hof sind Gegenden, wo das
Verhältnis zu Wohnkosten und Renten komfortabel ist, ergab unlängst eine
Erhebung der [1][Prognos AG.] Die Kleinstädte Bad Windsheim oder Altötting
sind „Seniorenparadiese“, ermittelte wiederum das
Wirtschaftsforschungsunternehmen [2][Contor].
Also auf in die Kleinstädte, in den Osten oder irgendwo aufs Land? So
einfach ist es nicht, denn Rentner:innen sind sensibel und bodenständig.
„Insgesamt nimmt die Umzugsbereitschaft im Laufe des Lebens immer mehr ab“,
erklärt der Heidelberger Altersforscher Hans-Werner Wahl im Gespräch mit
der taz.
„Ältere ziehen etwa fünfmal seltener um als Menschen unter 30 Jahre. Aber
es tut sich auch etwas und immer mehr Ältere, vor allem Babyboomer zwischen
65 und 75 Jahren, fassen nochmals konkret einen Umzug ins Auge. Zu den
wichtigsten Gründen gehören die sogenannten Netzwerkwanderungen, also näher
zu Kindern und Enkelkindern.“
## Besonders Witwen sind betroffen
Die Enkel, das Klima, günstige Hauspreise und Kindheitserinnerungen an die
alte Heimat sind Gründe, warum Leute mit Beginn des Ruhestands umziehen
oder sich gar einen zweiten Wohnsitz im Ausland zulegen.
Wer sich im Bekanntenkreis umschaut, stellt verschiedene Muster fest: D.
zog mit Rentenbeginn von Berlin nach Oldenburg, weil da ihre Tochter und
zwei Enkel leben. F. verkaufte die Wohnung in Berlin und erwarb mit Ehemann
ein Haus in der günstigen Pfalz, die ihre alte Heimat ist. K. zog mit
Ehefrau in deren Heimat Thailand in eine Kleinstadt. Er behält aber die
günstige Mietwohnung in Berlin und verbringt dort die Sommermonate.
Das klingt alles gut, aber wer diese Wahlfreiheit nicht hat, kann in große
Probleme geraten. Jeder Fünfte der über 65-Jährigen gibt mehr als 40
Prozent des verfügbaren Einkommens für Wohnen aus, ermittelte das
[3][Deutsche Zentrum für Altersfragen.] Stirbt der Partner und fällt damit
ein Einkommen weg, steigt das Risiko der Verarmung – oft für die
zurückbleibende Witwe – dramatisch an, fanden die Forscher:innen heraus.
Im Bekanntenkreis sorgt sich zum Beispiel C., 67, um die Zukunft im hohen
Alter. Sie wohnt mit ihrem Freund in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung und
bezieht nur eine kleine Rente. Was passiert, wenn der Partner vor ihr
stirbt und die Miete zu teuer wird für ihr Alterseinkommen?
## Umzug kann verunsichern
„Wir werden sicher auch eine Gruppe von vor allem älteren Frauen sehen, die
durch Armutsgefährdung in eine günstigere Wohnung abzuwandern versuchen,
auch um den Preis, soziale Netzwerke und hilfreiche
Nachbarschaftsstrukturen hinter sich zu lassen. Keine gute Entwicklung“,
sagt Wahl.
Eine naheliegende Lösung läge darin, dass Verwitwete oder überhaupt alte
Menschen eine oft zu große Mietwohnung aufgeben und in eine kleinere Bleibe
umziehen, also tauschen. Wohnungsbaugesellschaften können von diesen
Tauschprogrammen ein Liedchen singen: Es klappt eher selten. David
Eberhardt, Sprecher des BBU, des Verbandes Berlin-Brandenburgischer
Wohnungsunternehmen, hat festgestellt: „Gerade ältere Leute wollen nicht
umziehen, sich von Erinnerungsstücken und der vertrauten Umgebung trennen.“
Die BBU ist für die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin
zuständig, ein Bestand von 360.000 Wohnungen. Wer in einer solchen
landeseigenen Wohnung lebt, kann seine Wohnung gegen eine größere oder
kleinere Wohnung tauschen, auch ohne dass die Quadratmeterpreise erhöht
werden. Wer sich also verkleinert, würde dann in der Regel weniger Miete
zahlen. Seit dem Jahre 2018 kam es aber nur in rund 600 Fällen zum
Wohnungstausch mit dann 1.200 neuen Mietverträgen.
Das Problem ist das Missverhältnis: Auf fünf Mietparteien, die eine zu
kleine gegen eine große Wohnung tauschen wollen, kommt nur ein
entsprechendes Angebot einer großen Wohnung von dann meist älteren
Mieter:innen. Als die Wohnungsgesellschaft vor Jahren im Märkischen Viertel
ältere Mieter:innen gezielt anschrieb und vorsichtig fragte, ob sie
nicht vielleicht in eine kleinere Wohnung umziehen wollten, „war die
Verunsicherung groß“, sagt Eberhardt. Die alten Leute befürchteten, aus
ihren Wohnungen vertrieben zu werden.
## Psychologisch mit dem Wohnort verwachsen
„Mit Sicherheit ist ein Umzug im höheren Lebensalter kein erwünschtes
Szenario für geschätzt 90 Prozent der Älteren“, sagt Wahl. „Die Wohn- und
Nachbarschaftsbindung ist hoch, nicht selten hat man 20 und mehr Jahre an
diesem Ort verbracht. Man ist gewissermaßen psychologisch mit dem Wohnort
verwachsen.“ Auch deswegen ist ein erzwungener Umzug, etwa durch eine
Eigenbedarfskündigung, für Ältere eine Katastrophe. Ein notwendiger Umzug
in ein Pflegeheim im hohen Alter gilt ohnehin als Schreckensszenario.
Sich einfach eine Region auszusuchen, in die man mit Beginn des
Rentenalters zieht, weil dort Wohnen und Lebenshaltungskosten günstig sind,
entspricht nicht der Mentalität der meisten Ruheständler:innen in
Deutschland. In den USA ist man flexibler, auch notgedrungen. In der
Facebook-Gruppe „Retiring on a shoestring“ tauschen sich
Ruheständler:innen, deren Geld knapp ist, darüber aus, wo und wie man in
den späteren Jahren am besten leben könnte.
„Moved from Michigan to Southeast Missouri. Cost of living is way better
than in Michigan“, schreibt Cyndee. „Texas is marvelous. The roads, the
weather, the people“, meint Gail. „You want to see high taxes, go to
California, New Jersey, New York“, warnt Alexandra. „Alaska is starting to
look good“, behauptet Jody.
Ein riesiges Flächenland mit großen Klimaunterschieden wie die USA bietet
mehr Ausweichmöglichkeiten. In Deutschland werden die Konflikte lokaler
ausgetragen. „Der Ruhestand kann die existierende Ungleichheit bei den
Wohnkosten zwischen Mietern und Eigentümern verstärken“, resümiert die
Studie des DZA, publiziert über die [4][Universität Cambridge.]
Denn während das Eigenheim im Alter oft abbezahlt ist, können steigende
Wohn- und Heizkosten bei gleichbleibenden Renten die Altersarmut von
Mieter:innen überhaupt erst hervorrufen. Und das macht Angst.
14 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.prognos.com/de/projekt/regionale-rentenkaufkraft
[2] /C:/Users/Barbara_2/Downloads/Seniorenparadiese-in-Kleinst%C3%A4dten-Web-2.…
[3] https://www.dza.de/detailansicht/der-uebergang-in-den-ruhestand-verstaerkt-…
[4] https://www.cambridge.org/core/journals/ageing-and-society/article/retireme…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Schwerpunkt Wohnen ist Heimat
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