| # taz.de -- Aktivistin über Cannabis-Legalisierung: „Es droht eine Zweiklass… | |
| > Die Juristin Mitali Nagrecha ist für die Cannabis-Freigabe. Das geplante | |
| > Gesetz schließe aber viele aus und beende nicht den Rassismus gegenüber | |
| > Dealern. | |
| Bild: Polizisten im Görlitzer Park in Berlin | |
| wochentaz: Frau Nagrecha, warum haben Sie ein Problem mit der | |
| [1][Cannabislegalisierung]? | |
| Mitali Nagrecha: Es ist ein sehr großer Schritt für Deutschland, den Konsum | |
| und Handel von Cannabis überhaupt bis zu einem gewissen Level zu | |
| legalisieren. Aber ein großer Teil der Betroffenen wird meiner Meinung nach | |
| nicht erreicht. | |
| Wen meinen Sie? | |
| Dieses Gesetz ist für einen weißen, sozial akzeptierten Normalkonsumenten | |
| geschrieben. Diese Gruppe wird schon heute meist nicht bestraft, und sie | |
| wird relativ reibungslos in den legalisierten Markt überwechseln. Die | |
| Polizei konzentriert sich heute schon auf nichtdeutsche | |
| Staatsbürger*innen und Deutsche, die rassifiziert werden. Für sie wird | |
| die Situation durch das Cannabis-Gesetz kaum besser. Vielleicht sogar | |
| schlechter. | |
| Inwiefern? | |
| Mit dem neuen Gesetz sollen Konsument*innen Cannabis über Anbauclubs | |
| beziehen können. Die Mitglieder bekommen aber nicht einfach so die Menge, | |
| die sie brauchen. Sie müssen Beiträge bezahlen, sich am Anbau und der | |
| Organisation beteiligen. Für Menschen, die rund um die Uhr im | |
| Niedriglohnbereich arbeiten, komplizierte Leben oder gesundheitliche | |
| Einschränkungen haben, wird es deutlich schwieriger sein, diese | |
| Anforderungen zu erfüllen. Für sie wird der illegale Markt der einzige oder | |
| leichter erreichbare Zugang bleiben. | |
| Sie könnten zu Hause anbauen. Drei Pflanzen will das Gesetz erlauben. | |
| Ja, aber auch für den Eigenanbau braucht es gewisse Fertigkeiten und | |
| Voraussetzungen. Gerade prekär lebende Menschen haben auch nicht unbedingt | |
| die Räumlichkeiten dafür. | |
| Jetzt haben wir über die Konsument*innen gesprochen … | |
| Oh ja, in der Debatte geht es vor allem um die Konsument*innen. [2][Und | |
| sehr selten um die Dealer*innen]. Und wenn wir übers Dealen sprechen, | |
| dann sehen wir vor allem den Teil, der auf der Straße und in den Parks | |
| abläuft. Tatsächlich werden aber 90 Prozent des Cannabis hinter | |
| verschlossenen Türen gehandelt. Dem wird kaum nachgegangen. | |
| Die Dealer in den Parks werden als besonders problematisch betrachtet. | |
| Das ist bereits Teil eines rassistischen Diskurses. Dass sich unsere | |
| Aufmerksamkeit auf diese 10 Prozent des Marktes richtet – der ja in seiner | |
| Gesamtheit bisher illegal war – zeigt, dass es hier vielleicht nicht in | |
| erster Linie um Cannabis geht. Rechte Politiker*innen benutzen das | |
| Beispiel rassifizierter Dealer in öffentlichen Parks, um | |
| einwanderungsfeindlichen Diskursen Gehör zu verschaffen. | |
| Die Polizei sollte Ihrer Meinung nach gar nicht mehr auf Drogenbesitz | |
| kontrollieren? | |
| Wir entscheiden jetzt, dass es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass | |
| Menschen in [3][Cannabis-Clubs] mit Cannabis versorgt werden. Und auf der | |
| anderen Seite werden Polizei und Justiz weiter die Menschen anhalten und | |
| bestrafen, die an Orten wie dem Görlitzer Park mit Cannabis handeln oder es | |
| kaufen. Das ist ein Zweiklassensystem. | |
| Kriminalitätsexpert*innen sind sicher, dass die Legalisierung, wie | |
| sie vorgesehen ist, keinen großen Einfluss auf den Schwarzmarkt haben wird. | |
| Die Polizei erwartet, dass sich an ihrem Arbeitsaufkommen nichts ändern | |
| wird – das zeigt, dass sie an ihrer diskriminierenden Polizeipraxis der | |
| anlasslosen Kontrollen und des Racial Profilings festhalten will. Im | |
| Übrigen glaube ich schon, dass es für einen erheblichen Teil der | |
| Konsument*innen angenehmer ist, Mitglied eines Anbauclubs zu werden. | |
| Insofern wird es einen spürbaren Einfluss auf den illegalen Markt geben. | |
| Es wird jedenfalls erwartet, dass die Dealer weiter dealen – oft weil sie | |
| keine andere Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Ist das nicht mehr ein | |
| Problem der Integrations- als der Drogenpolitik? | |
| Natürlich ist der illegale Markt auch ein Feld der Sozial- und | |
| Arbeitsmarktpolitik. Das ist ja der Punkt. Wir befinden uns gerade in einem | |
| politischen Umfeld, in dem es schwierig ist, mehr Arbeitsrechte für | |
| Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis einzufordern. | |
| Glauben Sie, dass rassifizierte Menschen nicht nur besonders häufig | |
| kontrolliert, sondern auch schwerer bestraft werden? | |
| Ich war bei einigen Gerichtsverfahren zu Cannabisdelikten. In einem war | |
| eine weiße Frau mit einer Menge erwischt worden, bei der es üblicherweise | |
| eine Strafe gibt. Aber es gelang ihr, dass ihr Fall als Eigenbedarf | |
| anerkannt wurde. Sie argumentierte, dass sie lieber eine größere Menge zu | |
| Hause hatte, um nicht so oft zu einem Dealer gehen zu müssen. Im Fall | |
| direkt danach war ein rassifizierter Mann mit einer sogar etwas kleineren | |
| Menge aufgegriffen worden. Er wurde wegen Handels verurteilt. Es war sehr | |
| eindeutig, dass der Mann vor diesem Gericht gar keine Chance hatte, auf | |
| Eigenbedarf zu plädieren. | |
| In Deutschland klaffen die Positionen zur Legalisierung weit auseinander. | |
| Akteur*innen aus dem Gesundheitswesen warnen massiv vor den | |
| Gesundheitsgefahren vor allem für Kinder und Jugendliche durch eine | |
| Normalisierung des Konsums. Anderen Akteur*innen, auch aus dem Strafrecht | |
| und von der Polizei, geht der Entwurf nicht weit genug, weil der Einfluss | |
| auf den Schwarzmarkt zu gering ist. | |
| Die Diskussion um die Gesundheitsgefahren hält an. Aber es gibt einen | |
| breiten Konsens, dass die Verbots- und Kriminalisierungspolitik nicht | |
| funktioniert und großen Schaden anrichtet. Das ist der Ausgangspunkt der | |
| Legalisierung, das dürfen wir nicht vergessen. Ursprünglich war ein | |
| kommerzielles Angebot von Cannabis in zertifizierten Shops vorgesehen. Weil | |
| das jetzt erst einmal nicht kommt, sehen viele die Probleme nicht gelöst. | |
| Sind Sie Befürworterin einer Legalisierung, bei der sich | |
| Konsument*innen ihr Cannabis im Laden kaufen können? | |
| Nicht notwendigerweise. Ich denke, ein Club-Modell kann funktionieren, wir | |
| müssen hier nicht unbedingt kapitalistische Profitinteressen rein bringen. | |
| Allerdings sollten die Cannabis-Clubs offener und damit weniger | |
| diskriminierend sein. Das betrifft insbesondere die Anforderungen zur | |
| Mitarbeit. | |
| Ihre Organisation war bislang vor allem im Bereich Entkriminalisierung von | |
| Bagatelldelikten wie Fahren ohne Ticket aktiv. Auch da sind marginalisierte | |
| Gruppen besonders betroffen. | |
| Bei beiden Themen ist die Herangehensweise ganz ähnlich. Fahren ohne Ticket | |
| soll ja zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Aber die Strafen sind | |
| dann immer noch zu hoch für die, die sich kein Ticket leisten können und | |
| die im Moment am meisten kriminalisiert werden. Und es wird weiterhin so | |
| sein, dass Fahrscheinkontrollen diskriminierend durchgeführt werden. Eine | |
| solche Zweiklassenjustiz droht nun auch mit dem Cannabis-Gesetz. | |
| Das Cannabis-Gesetz soll in den nächsten Wochen beschlossen werden und zum | |
| 1. April in Kraft treten. Gibt es überhaupt noch die Möglichkeit | |
| nachzubessern? | |
| Ich habe die Hoffnung, dass wir mit unserer Kritik ein paar Menschen im | |
| Bundestag erreicht haben und es noch Verbesserungen geben wird – vor allem | |
| was die Löschung von Vorstrafen wegen Cannabisdelikten betrifft und ein | |
| Bekenntnis dazu, künftig stärker Rassismus und andere Ungerechtigkeiten in | |
| den Blick zu nehmen. Die Legalisierung von Cannabis kann nur dann | |
| funktionieren, wenn sie vergangenes Unrecht berücksichtigt und in die | |
| Zukunft schaut. | |
| 6 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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