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# taz.de -- Ilija Matusko über Klasse: „Pommes sind für mich hochwertig“
> Essen sagt viel über soziale Herkunft aus. Der Autor Ilija Matusko
> versucht in seinem Buch, Ästhetik zu sehen, wo andere sie nicht sehen
> wollen.
Bild: Was sagt der Geruch von Pommes über soziale Herkunft aus?
taz: Ilija, was haben Pommes mit deiner sozialen Herkunft zu tun?
Ilija Matusko: Meine Eltern haben eine Gastwirtschaft in Bayern betrieben,
ich habe als Kind viel mitgeholfen. In der Schule habe ich gemerkt, dass
man, wenn man oft hinter der Fritteuse steht, einen gewissen Duft mit sich
herumträgt. Meine Mitschüler*innen haben mich damit gehänselt und
[1][aufgrund meines Pommesgeruchs deklassiert.] Da habe ich zum ersten Mal
gemerkt, dass meine Herkunft mit Abwertung verbunden sein kann.
Im Erwachsenenalter hast du viel dafür getan, deinen „Stallgeruch“
loszuwerden. Wie?
Ich habe einen Bildungsaufstieg absolviert. Wobei ich den Ausdruck nicht
mag, weil ein Leistungsnarrativ mitschwingt. Als könnte es jeder schaffen,
der sich nur genug anstrengt. Dabei hat man vieles nicht in der Hand. Ich
ging als Erster in meiner Familie aufs Gymnasium und schloss ein Studium
ab. Aber das war nicht mein Plan, um meine Herkunft abzustreifen. Ich
wollte einfach aufs Gymnasium, weil meine Freunde da hingingen. Deshalb
sage ich, es ist auch viel Glück dabei. Ich habe den Prozess erst im
Rückblick als Klassenreise verstanden.
Muss man seine soziale Herkunft aufgeben, um den Klassenübergang zu
schaffen?
Es sind sehr ambivalente Gefühlswelten, wenn man sich zwischen den Klassen
befindet. Man gewinnt viel, man verliert aber auch viel. Der Soziologe
Pierre Bordieu spricht vom „gespaltenen Habitus“.
Was meint das?
Man fühlt sich in den verschiedenen Milieus unwohl, tendiert zur Flucht,
aber wohin? Die Vertrautheit der eigenen Welt geht verloren, man spricht
nicht mehr die Sprache seiner Eltern. Man gibt viel auf, ohne das zu
wollen, das bemerkt man erst im Rückblick. Gleichzeitig ist da das Gefühl,
[2][in der anderen Welt nie richtig anzukommen]. Die Unsicherheit, sich im
akademischen Feld nicht flüssig zu bewegen, weil man vieles erst spät
erlernt hat. Das Mangelgefühl, die Angst entlarvt zu werden, wird man nie
los.
In deinem Buch geht es auch um den Zusammenhang von Arbeit, Essen und
Klasse. Wie prägt Essen die Klassenkultur?
Geschmack ist vermeintlich etwas sehr Persönliches. Aber über Geschmack und
Essen werden Klassenpositionen manifestiert. Wie eine Familie beim
Abendtisch sitzt, sagt viel über ihre Klasse aus. Es gibt
Geschmackshierarchien: Pommes sind etwas vermeintlich Trashiges, für mich
aber sehr Hochwertiges. Ich versuche im Buch, die Hierarchien infrage zu
stellen und Schönheit und Wertigkeit in Dingen zu sehen, die als nicht
hochwertig gelten. Zum Beispiel Gespräche am Stammtisch, oder wie meine
Mutter die Teller trägt. Für mich liegt da viel Ästhetik drin.
Wie war die Essenskultur in eurer Familie?
Paradox: Einerseits hat Essen durch den Gastrobetrieb eine große Rolle
gespielt. Es war immer vorhanden, und als Kind durfte ich mir immer alles
aussuchen, [3][ob Pommes, Schnitzel, Eis, oder Kuchen], das war wie im
Schlaraffenland. Gleichzeitig war aber keine Zeit, zusammen zu essen, weil
meine Eltern immer gearbeitet haben. Dadurch hatten die Mahlzeiten nicht
diese kommunikative, sozial bindende Bedeutung. Sie liefen eher so
nebenher.
Wie hat deine Familie auf dein Buch reagiert?
Natürlich war es anfangs nicht leicht, sondern auch schambehaftet. Aber es
war ein sehr guter Prozess, den meine Schwester und mein Vater eng
begleitet haben. Sie waren die ersten, die mein Textmaterial gelesen haben.
Wir haben viel Erinnerungsarbeit gemacht und können uns jetzt besser
zugestehen, unterschiedlich zu sein, ohne uns persönlich dafür in Haft zu
nehmen. Es hat gesellschaftliche Gründe.
8 Apr 2024
## LINKS
[1] /Geschichte-vom-sozialen-Aufstieg/!5762513
[2] /Podcast-zu-Klassismus/!6000086
[3] /Essen-aus-Schuesseln/!5913793
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Klassengesellschaft
Herkunft
Literatur
Cannabis
wochentaz
Rezension
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