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# taz.de -- Legalisierungsdebatte: Vernebelte Cannabispläne
> Die SPD hat beim Cannabisverband viel Vertrauen verspielt. Beim Parteitag
> machten Aktivist*innen Druck, ein versprochenes Gesetz zu
> beschließen.
Bild: Auch eine Form von Multitasking: Joint-Bauen beim Schachspielen
Berlin taz | „Wir können Geschichte schreiben!“ – Mit viel Pathos versuc…
Burkhard Blienert (SPD) am Wochenende die protestierenden
Hanf-Aktivist*innen vor dem SPD-Bundesparteitag in Berlin zu
beschwichtigen. Die vielen wütenden Zwischenrufe zeigen, dass der
Drogenbeauftragte der Bundesregierung damit längst nicht mehr ankommt.
„Wenn man sich bei der Ampelkoalition auf eines verlassen kann, dann
darauf, dass man sich auf nichts verlassen kann – insbesondere auf Fristen,
die sie nennen“, sagt Steffen Geyer, Vorsitzender des Dachverbandes der
Cannabis Social Clubs.
Angetreten war [1][die selbsternannte „Fortschrittskoalition“] aus SPD,
Grünen und FDP 2021 mit dem Versprechen, Cannabis in den ersten 100 Tagen
der neuen Regierung zu entkriminalisieren. Die SPD bremst die Umsetzung des
Gesetzes jedoch aus, obwohl es bereits verhandelt wurde und die
abschließende Abstimmung im Bundestag für diese Woche geplant war.
Während Blienert auf der kleinen Bühne des Protestcamps die
Aktivist*innen zu beschwichtigen versucht, gibt sich [2][die
stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Recht der
SPD-Bundestagsfraktion, Carmen Wegge], in der direkten Diskussion mit den
Aktivist*innen weiter zuversichtlich: „Für ein Inkrafttreten am 1.
April 2024 reicht es aus, wenn wir das Gesetz im Januar oder sogar erst im
Februar im Bundestag beschließen“, ist sie sich sicher.
## „Rumgeeiere bei der Legalisierung“
Ob es inhaltliche Bedenken in der SPD-Fraktionsspitze sind oder ihr nur der
Zeitpunkt der Verabschiedung in Zeiten der Haushaltskrise unpassend
erscheint, bleibt unklar. Für einige ist daher nicht ausgeschlossen, dass
das Gesetz auf der Zielgeraden doch noch komplett gestoppt wird. Der
drogenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Ates Gürpinar, vermutet
hinter der Hinhaltetaktik der SPD-Spitze politische Gründe: „Die
SPD-Führung beugt sich damit dem Kulturkampf der Rechten einmal mehr – und
macht sie damit größer. Das Rumgeeiere bei der Legalisierung hält das Thema
von rechts am Kochen“, schreibt er auf dem Kurznachrichtendienst X.
Auch in der Legalisierungsbewegung ist die Enttäuschung riesig. Auch weil
längst feststeht, dass es die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung
einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizenzierten
Geschäften in dieser Wahlperiode so oder so nicht mehr geben wird.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war zu spät aufgefallen,
dass der geplante staatliche Handel gegen internationale Abkommen und vor
allem gegen Europarecht verstoßen könnte. Das damit noch ausstehende
sogenannte Säule-2-Gesetz sieht daher lediglich regionale Modellvorhaben
mit kommerziellen Lieferketten vor und soll der EU-Kommission
voraussichtlich noch zur Prüfung vorgelegt werden. Bisher existiert dazu
aber noch nicht mal ein Eckpunktepapier.
„Wir sind jetzt in der merkwürdigen Situation, dass wir als Legalizer für
das schlechteste Legalisierungsgesetz aller Zeiten werben müssen“,
kritisiert Steffen Geyer vom Dachverband der Cannabis Social Clubs. Es sei
frustrierend, dass jeder weitere Tag ohne Gesetz im Schnitt mehrere Hundert
Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz mit sich
bringe, so der Hanfaktivist weiter.
Viele der Aktivist*innen, die am Wochenende vor dem SPD-Bundesparteitag
protestieren, weisen auch auf die medizinische Wirkung von Cannabis hin,
die endlich aus der Illegalität befreit werden solle. „Ich bin seit
mehreren Jahren Cannabis-Patientin und konnte dank dieser Therapieoption
endlich wieder am Leben teilnehmen“, sagt Canan Schaelicke. Die zweifache
Mutter engagiert sich vor allem aus der Perspektive von Frauen für einen
entkriminalisierten Cannabiskonsum. Zusammen mit Marie-Claire Kempf
vertritt sie bei dem Protest das feministische Netzwerk „SheRise“, dessen
Mission es ist, „unter den vielen leidenschaftlichen
Cannabisenthusiast*innen einen sicheren Raum zu schaffen, in dem
Frauen sich verbinden können – um geschäftliche Beziehungen und tiefe
Freundschaften zu schließen“, so Kempf.
## Noch keine etablierte Industrie für Cannabis
Gerade Frauen, die Cannabis konsumieren, würden sehr unter dem
gesellschaftlichen Stigma und der stetigen Angst leiden, dass zum Beispiel
bei Müttern jemand das Jugendamt verständigen könnte, erklären sie. „Als
ich vor zwei Jahren in die Cannabisbranche eingestiegen bin, war mir nicht
klar, wie männerdominiert die Szene ist“, sagt Kempf. „Egal ob
Business-Konferenz oder Community-Event – ich war ständig von 90 Prozent
Männern umgeben und dachte mir: Das kann doch nicht sein. Wo sind denn die
ganzen Frauen?“, so die 31-Jährige.
Da es für Cannabis, ob als Medizin oder als Genussmittel, noch keine
etablierte Industrie gibt, sind die meisten Unternehmen in diesem Bereich
auf Fremdkapital angewiesen. Dabei gehen laut einer aktuellen Studie der
Boston Consulting Group in Deutschland nur 2 Prozent des eingesammelten
Kapitals an weibliche Gründungsteams, 7 Prozent an gemischte und ganze 91
Prozent an rein männliche Betriebe. „Mitarbeiten gerne, aber bitte nicht im
Management: Ein Blick auf die Leitungsteams deutscher Cannabisunternehmen
macht schnell klar: It’s a man’s world“, sagt Kempf. Auch in der Szene
herrschten immer noch die alten Stereotype vor – so werde man als Frau
schnell in Kategorien gesteckt und sei „entweder Plus eins auf den Events
oder man darf leicht bekleidet für Produkte werben“, so die
SheRise-Aktivistin.
Die [3][medizinische Wirkung von Cannabis] ist bereits seit Jahren
weitgehend anerkannt. So kann die Pflanze bei der Behandlung chronischer
Schmerzen, von Muskel- und Blasenkrämpfen, bei Multipler Sklerose, bei
Rheumatismus und anderen Krankheiten lindernd wirken. Und nach aktueller
Studienlage gibt es auch einige medizinische Wirkungen, von denen
insbesondere Frauen profitieren können: So sind positive Wirkungen bei
Fibromyalgie, einer chronischen Schmerzerkrankung, von der Frauen etwa
sechs- bis siebenmal häufiger betroffen sind als Männer, durch Cannabis
nachgewiesen geworden. Auch bei Endometriose, einer Erkrankung, die zu
extremen Menstruationsbeschwerden führt, Migräne oder postmenopausaler
Osteoporose kann Cannabis helfen.
## Weibliche Vorbilder fehlen
Allgemein werde es Zeit für weibliche Vorbilder, sagen Kempf und
Schaelicke. „Während Männer Snoop Dog als Idol haben, fehlt es uns Frauen
an solchen Role-Models. Frauen, die Cannabis konsumieren, sind in der
Öffentlichkeit kaum repräsentiert“, finden sie.
„Wir können oder wir werden Geschichte schreiben? Das ist ein riesiger
Unterschied“, ruft einer der Organisatoren des Protests dem
Bundesdrogenbeauftragten hinterher, als dieser sich ins Innere des
Tagungsgebäudes verabschiedet. Und: „Wir hoffen, ihr kriegt das da drin
hin!“
12 Dec 2023
## LINKS
[1] /Ampel-Koalition-geht-in-die-Sommerpause/!5943169
[2] https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/W/wegge_carmen-860290
[3] /Heilmittel-Cannabis/!5756864
## AUTOREN
Martin Höfig
## TAGS
Cannabis
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