# taz.de -- Gründe für Migration: Im Zweifel für die Mächtigen | |
> Aus Honduras, El Salvador und Guatemala fliehen jedes Jahr Zehntausende | |
> vor Gewalt und Perspektivlosigkeit. Ein Grund ist die ineffektive Justiz. | |
Bild: San Salvador, 4. Februar 2024: Es finden Wahlen statt | |
Am 20. Januar verließen dreihundert Menschen den Busterminal von San Pedro | |
Sula, der Industriedrehscheibe von Honduras, um gemeinsam den Weg nach | |
Norden zu gehen. Das Ziel ist klar: die USA. Die Gründe, weshalb die | |
Menschen Honduras verlassen, lauten: Perspektivlosigkeit, Gewalt, | |
Straflosigkeit. | |
Das ist der Dreiklang, den die Migrant:innen seit Jahren anstimmen. Es | |
ist dabei egal, ob die [1][Menschen aus Honduras, Guatemala oder El | |
Salvador] kommen. Die drei Länder weisen ähnliche Probleme und Strukturen | |
auf: eine Justiz, die weder als unabhängig noch als effektiv oder gerecht | |
eingestuft werden kann. Das Gegenteil ist der Fall; sie agiert immer wieder | |
im Interesse der Mächtigen, weshalb Straflosigkeit als Kernproblem in allen | |
drei Ländern gilt. | |
Daran hat sich in den letzten Jahren wenig bis nichts geändert. Obwohl mit | |
dem Regierungsantritt der ersten Frau im Präsidentenpalast im | |
honduranischen Tegucigalpa vor ziemlich genau zwei Jahren alles anders | |
werden sollte. Die Reformagenda, mit der Xiomara Castro gewählt wurde, las | |
sich wie eine Strukturreform, die das von Korruption, Klientelismus und | |
Vetternwirtschaft geprägte Land in eine neue Zeit führen sollte. | |
Refundación, Neugründung, heißt das Schlagwort, welches die Regierung | |
geprägt hat. | |
Doch Erfolge sind bisher kaum zu sehen; das lässt sich am gerade | |
erschienenen Korruptionsindex von Transparency International deutlich | |
ablesen. Da steht Honduras auf Rang 154 von 180 Staaten mit 23 von 100 | |
möglichen Punkten. Guatemala kommt auf die gleiche Punktzahl; etwas | |
besser schneidet El Salvador mit 31 Punkten ab – Tendenz bei allen drei | |
Ländern fallend. Für Transparency International ist klar, warum die drei | |
Länder extreme Probleme mit Straflosigkeit und Korruption haben: Sie haben | |
in den letzten Jahren die ohnehin schwache Justiz nicht gestärkt, sondern | |
geschwächt, haben wie im Falle von Guatemala | |
Korruptionsbekämpfer:innen im Justizsystem attackiert und | |
kriminalisiert. | |
In Honduras führte bis September 2023 ein Generalstaatsanwalt Regie, der | |
Verfahren gegen die Mächtigen um den korrupten Ex-Präsidenten Juan Orlando | |
Hernández erst gar nicht zuließ. In El Salvador entließ Präsident Nayib | |
Bukele, der sich am Sonntag zur Wiederwahl stellte, im Frühjahr 2021 die | |
Verfassungsrichter – weil sie seiner zweiten Amtsperiode im Wege standen. | |
## Auf der Kippe | |
Im Zweifel wird in den drei Staaten des Triángulo Norte für die Interessen | |
der Mächtigen, der potenten Familien entschieden. Das führt dazu, dass das | |
demokratische System in den drei Ländern in Schieflage geraten ist: | |
Guatemala stand in den letzten Monaten auf der Kippe zur Diktatur, die | |
Justiz verkam zum Instrument einer hochkorrupten Elite, und erst im | |
letzten Moment sorgten massive zivilgesellschaftliche Proteste und | |
internationaler Druck der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) und der | |
USA dafür, dass der neue Präsident Bernardo Arévalo vereidigt werden | |
konnte. | |
Die Frühwarnsysteme der internationalen Akteure haben versagt; | |
UN-Institutionen und unabhängige Rechtsorganisationen waren lange zu leise | |
oder haben zu spät auf die drohende Autokratisierung hingewiesen. Eine Krux | |
in der Region, wo USA, OAS und EU angesichts eigener ökonomischer | |
Interessen immer wieder die Augen vor der Manipulation staatlicher | |
Institutionen verschließen: In Honduras konnte der ehemalige Präsident Juan | |
Orlando Hernández die staatlichen Institutionen für Drogenschmuggel | |
missbrauchen. | |
Polizeieskorten begleiteten Drogentransporte in Richtung USA. Warum das | |
US-Antidrogeneinheiten und Geheimdienste nicht mitbekamen, ist eine Frage, | |
die am Rande des Prozesses gegen Juan Orlando Hernández in New York Thema | |
sein dürfte. Dort steht am 12. Februar die Urteilsverkündung gegen den | |
kriminellen Ex-Präsidenten an, gegen den die Justiz in Tegucigalpa nicht | |
einmal eine Ermittlungsakte vorliegen hat. | |
Typisch für die Ineffizienz der Justiz in der Region, die den immer | |
mächtiger werdenden Drogenclans, die in Guatemala und Honduras mittlerweile | |
auch Kokain anbauen und synthetische Drogen zusammenrühren, hilflos | |
gegenüberstehen. Eine konsequente und vor allem kontinuierliche | |
Hilfspolitik der internationalen Gemeinschaft, die Justiz, | |
Zivilgesellschaft und nachhaltiges Wirtschaften unterstützt, fehlt oder ist | |
nur punktuell vorhanden und wird im Zweifel allzu schnell ökonomischen | |
Interessen geopfert. Das schürt die Migration, die Straf- und | |
Perspektivlosigkeit in der zusätzlich von Jugendbanden, den Maras, | |
gebeutelten Region. | |
## Festnahmewelle | |
Das sorgt für die steigende Popularität restriktiver, autoritärer Konzepte, | |
wie sie Nayib Bukele in El Salvador verfolgt. Ausnahmezustand, massive | |
Polizei- und Armeeeinsätze, eine beispiellose Festnahmewelle, bei der | |
Rechtsnormen verletzt und Tausende von Unschuldigen in einem neuen | |
Megaknast über Monate weggeschlossen werden, haben dazugeführt, dass | |
Mordquoten auf historische Tiefstände sinken. Diesen Erfolg nehmen viele | |
Salvadorianer:innen in Kauf für mehr Sicherheit in dem über Dekaden | |
von Bandengewalt geprägten Land. | |
Die Umfragen sehen [2][Bukele bei 80 und mehr Prozent] der Stimmen. Auch | |
eine Folge der wenig kontinuierlichen Kooperationspolitik der | |
internationalen Akteure, die die Region über rund zwei Dekaden mehr oder | |
minder sich selbst überließ und die Migrationskarawanen der letzten Jahre | |
zur Kenntnis nahm, aber sich kaum anschickte, Ursachen zu benennen und | |
nachhaltig zu helfen, sie abzustellen. | |
In El Salvador orientiert sich der autoritär regierende und die | |
Pressefreiheit verletzende [3][Nayib Bukele Richtung China]. Das Reich der | |
Mitte duldet alles und lässt ihn machen. Das könnte auch in Guatemala und | |
Honduras anstehen, wenn das Experiment der Redemokratisierung scheitern | |
sollte. | |
5 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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