| # taz.de -- Situation in Mittelamerika: Juristischer Staatsstreich? | |
| > In Guatemala steht ein demokratischer Machtwechsel auf dem Spiel. | |
| > Hoffnung macht Honduras, wo die Präsidentin eine unabhängige Justiz | |
| > anstrebt. | |
| Bild: Unterstützungsdemo für den gewählten Präsidenten Bernardo Arévalo vo… | |
| Die Forderung der Protestbewegung in Guatemala ist eindeutig: „Rücktritt | |
| von Consuelo Porras und ihrer Spießgesellen“ steht auf einem der | |
| Transparente am Zaun der Generalstaatsanwaltschaft im Zentrum von | |
| Guatemala-Stadt. Seit Wochen laufen landesweit die Proteste gegen die | |
| Manipulation der Justiz durch den „Pakt der Korrupten“ in dem | |
| mittelamerikanischen Land mit Straßenblockaden und Demonstrationen. | |
| Mittlerweile haben sich Einkaufszentren und Großmärkte der Forderung der | |
| Zivilgesellschaft angeschlossen, die gegen eine korrupte Justiz mobilmacht, | |
| die alle Register zieht, [1][um den designierten Präsidenten Bernardo | |
| Arévalo zu schwächen] oder gar zu verhindern. | |
| Es ist der zweite demokratische Frühling nach 2015 in dem von Armut, | |
| mächtigen traditionellen Eliten und Drogenbanden geprägten | |
| mittelamerikanischen Land. Damals gingen 150.000 Menschen auf die Straße, | |
| um den damaligen Präsidenten Otto Pérez Molina wegen Korruption zum | |
| Rücktritt aufzufordern. Erfolgreich, dank der Beweise für das | |
| Bestechungsnetzwerk „La Línea“, die damals die Cicig, die UN-Kommission | |
| gegen Straflosigkeit in Guatemala, präsentiert hatte. Die Sternstunde der | |
| Zivilgesellschaft – die damals in der Wahl des korrupten Komikers Jimmy | |
| Morales endete, der die Cicig im September 2019 aus dem Land warf – scheint | |
| sich derzeit zu wiederholen. | |
| Ende August hatte die große Mehrheit der Wähler:innen für den | |
| sozialdemokratischen Soziologen Bernardo Arévalo gestimmt. Arévalo tritt | |
| für den politischen Wandel und ein Ende der omnipräsenten Korruption ein – | |
| und ist als solcher eine ernste Gefahr für das korrupte politische | |
| Establishment. Das in kritischen Medien als „Pakt der Korrupten“ bekannte | |
| Netzwerk aus Politiker:innen, Militärs und Unternehmer:innen, das de facto | |
| seit 2017 alle staatlichen Institutionen unterwandert, macht mobil gegen | |
| den demokratisch legitimierten Arévalo. | |
| Zentrales Instrument dabei ist [2][eine willfährige Justiz unter der Regie | |
| von Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras], die Unregelmäßigkeiten | |
| bei der Gründung der Partei „Movimiento Semillas“ von Arévalo beanstandet | |
| und mithilfe willfähriger Richter Anstalten macht, die Partei zu verbieten. | |
| Das würde die Position des designierten Präsidenten im Parlament des Landes | |
| massiv schwächen. Und der noch amtierenden Präsident Alejandro Giammattei? | |
| Der steht loyal hinter dem „Pakt der Korrupten“ und ist ein Hindernis für | |
| die Demokratisierung des Landes. | |
| Längst geht die Angst in Guatemala um, dass die für den 14. Januar 2024 | |
| anstehende Vereidigung Arévalos verhindert werden soll. Der Begriff des | |
| „juristischen Staatsstreichs“ macht die Runde, und seit Mitte September | |
| warnt auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vor einer | |
| „gefährdeten Machtübernahme“. Deutlicher wurde Kolumbiens Präsident Gust… | |
| Petro: In Guatemala sei ein Staatsstreich im Gange, alle demokratischen | |
| Regierungen Amerikas und der Welt müssten nun reagieren, forderte er und | |
| sprach sich für Sanktionen im Rahmen der OAS-Charta aus. | |
| Doch wirtschaftliche Sanktionen, die in Guatemala von | |
| Menschenrechtsorganisationen gefordert werden, sind derzeit nicht in Sicht. | |
| Sie könnten allerdings die einflussreichen Wirtschaftsverbände des größten | |
| mittelamerikanischen Landes zum Einlenken zwingen und einem System den | |
| Boden entziehen, das sich der Justiz als Instrument des politischen | |
| Machterhalts bedient. | |
| ## Ab nach Nicaragua | |
| Kein Einzelfall in Mittelamerika: so in Nicaragua, wo die Justiz längst zum | |
| Instrument des diktatorisch regierenden Ehepaars Daniel Ortega und Rosario | |
| Murillo verkommen ist; in El Salvador, wo die Verfassungsrichter im Mai | |
| 2021 auf Befehl des amtierenden Präsidenten Nayib Bukele verfassungswidrig | |
| ausgetauscht wurden. Hoffnung macht Honduras: Dort versucht [3][die im | |
| Januar 2022 vereidigte demokratische Regierung von Xiomara Castro] die | |
| Kehrtwende. Die derzeit laufende Ernennung eine:r neuen | |
| Generalstaatsanwält:in ist dafür das beste Beispiel: Bisher konnten | |
| sich die Parlamentarier:innen allerdings nicht auf die Nachfolge des | |
| berüchtigten Óscar Chinchilla einigen. | |
| Chinchilla, acht Jahre lang der Erfüllungsgehilfe der hochkorrupten und in | |
| den Drogenschmuggel involvierten Regierung von Juan Orlando Hernández (2014 | |
| bis 2022), hatte sich nach dem Ende seiner Amtszeit nach Nicaragua | |
| abgesetzt. Gegen Ex-Präsident Hernández wiederum läuft in den USA ein | |
| Prozess wegen Drogenschmuggels. In Honduras gilt er als Kopf eines für | |
| Korruption, Rechtsbeugung und Drogenschmuggel verantwortlichen Netzwerks, | |
| das alle Institutionen des demokratischen Rechtsstaates unter Kontrolle | |
| gebracht hatte. | |
| ## Reformprozess in Honduras | |
| Eine Parallele zu Guatemala. Allerdings läuft in Honduras ein | |
| Reformprozess, der die Unabhängigkeit der Justiz in dem von Armut, Gewalt | |
| und Auswanderung geprägten Land wiederherstellen soll. Zumindest ist dies | |
| das erklärte Ziel der seit Ende Januar 2022 regierenden Xiomara Castro. Sie | |
| verhandelt mit den Vereinten Nationen über die Gründung einer UN-Kommission | |
| gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (Cicih), die noch in diesem | |
| Jahr abgeschlossen werden könnte, so Experten wie der honduranische Jurist | |
| Joaquín Mejía. Er hofft auf die Gründung der Cicih, die Signalcharakter für | |
| die ganze Region haben könnte – falls parallel dazu wirklich Bernardo | |
| Arévalo in Guatemala-Stadt vereidigt wird. | |
| Dafür braucht es allerdings internationale Unterstützung, die über die | |
| verbale Kritik an der noch amtierenden Regierung von Alejandro Giammattei | |
| hinausgeht. Erst Anfang Oktober warnte dieser, dass er die Ordnungskräfte | |
| losschicken werde, falls die friedlichen Straßenblockaden und | |
| Demonstrationen nicht enden würden, die angeblich aus dem Ausland | |
| finanziert würden. | |
| Giammattei sorgt dafür, dass die Angst vor der Verhängung des | |
| Ausnahmezustands in Guatemala zunimmt. | |
| 23 Oct 2023 | |
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| Knut Henkel | |
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