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# taz.de -- Bezahlkarte für Asylbewerber: Angeblich gar nicht abschreckend
> Der Senat beschließt die Beteiligung an bundesweiter Ausschreibung für
> eine Asylbewerber-Bezahlkarte. Die Senatorin ist eingeknickt.
Bild: Berlin will die Bezahlkarte für Asylsuchende einführen und Cansel Kizil…
Berlin taz | Bisweilen geht ein Meinungsumschwung bei Politiker*innen
ratzfatz. Erst vorige Woche erklärte Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe
(SPD) zum wiederholten Male, sie sei gegen eine Bezahlkarte für
Asylbewerber, wie sie die Ministerpräsidentenkonferenz im November
beschlossen hat.
Am Dienstag nun beschloss der Senat, sich verbindlich am Vergabeverfahren
der Bundesländer zur Einführung einer solchen Karte zu beteiligen. Und
Kiziltepe sagt der taz: „Ich bleibe dabei: Den MPK-Beschluss, durch die
Einführung einer Bezahlkarte Migrantinnen und Migranten abzuschrecken, habe
ich nicht unterstützt und werde ich auch künftig nicht unterstützen.“
Abschreckung ist allerdings genau das, was mit der Karte bezweckt werden
soll. Ihre Einführung sowie weitere migrationspolitische Maßnahmen nannte
die MPK in ihren Beschluss [1][„klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen
unkontrollierte Zuwanderung“]. FDP und CDU/CSU hatten die Karte und das
Sachleistungsprinzip zuvor [2][immer wieder als Mittel der Wahl gegen „zu
viel“ Migration] ins Feld geführt.
## Gut für die Verwaltung
Kiziltepe betont nun, „der Senat verfolgt mit der Bezahlkarte nicht das
Ziel, Zuwanderung zu steuern“. Man sei sich in der Koalition einig, „dass
mit der Bezahlkarte kein Sachleistungsprinzip eingeführt wird, es also
weiterhin möglich sein wird, Bargeld zu nutzen“. Zudem solle die Karte
stigmatisierungsfrei sein. Zur Frage, was der Senat mit der Karte bezwecke,
erklärt Kiziltepe: Wenn sie „die Arbeit der Berliner Verwaltung effektiver
macht, unterstütze ich das“. Gemeint ist offenbar, dass das
Landesflüchtlingsamt dann nicht mehr monatlich Bargeld an jene
Asylbewerber auszahlen müsste, die kein Konto haben.
Wie die Bezahlkarte konkret aussehen soll, ob sie etwa in jedem Geschäft
funktioniert wie eine EC-Karte, ob man damit Bargeld bekommt und sie für
Überweisungen nutzen kann, ist völlig unklar. Laut MPK-Beschluss „sollte
das System entsprechend der Rechtsprechung möglicherweise auch die Option
enthalten, über einen klar begrenzten Teil des Leistungssatzes auch bar
(Taschengeld) verfügen zu können.“
Nun soll der Informationsdienstleister Dataport die Ausschreibung für eine
guthabenbasierte Karte vorbereiten. Laut Senatsbeschluss beteiligen sich
mit Berlin bislang 14 Bundesländer an dem Vorhaben. Der Flüchtlingsrat hat
die [3][jährlichen Kosten für Berlin auf etwa 10 Millionen Euro geschätzt.]
Laut Tagesspiegel soll das Geld aus der Integrationsverwaltung kommen.
Dass es allein um Abschreckung geht, ist für Sina Stach vom Flüchtlingsrat
offensichtlich. Man unterstelle Asylsuchenden, „wegen monetärer Anreize
nach Deutschland zu kommen – das ist absurd“, sagt sie am Dienstag der taz.
Niemand lasse sich wegen Bargeld auf eine oft gefährliche und dazu
kostspielige Flucht ein. Darum werde die Karte auch nicht für weniger
Migration sorgen, „sondern vielmehr zur Entwürdigung der Menschen
beitragen“.
## Kontrolle durch Beschränkung
Denn auch wenn bislang Details fehlen: Eine solche Karte biete
grundsätzlich die technische Möglichkeit, „die Dispositions- und
Handlungsfreiheit der Karteninhaber*innen massiv einzuschränken“, so
Stach. Tatsächlich gibt es in diese Richtung schon Vorschläge: Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa will den [4][Kauf von Alkohol]
mit der Karte nicht zulassen.
Dass es trotz Beteuerungen von SPD-Seite schnell in diese Richtung gehen
kann, zeigt der Blick in die Vergangenheit. 1998 war Berlin, auch damals
regierte Schwarz-Rot, bundesweit vorgeprescht und hatte eine „Chipkarte“
eingeführt. [5][Damit konnten Asylbewerber nur in wenigen beteiligten
Geschäften einkaufen], Discounter waren nicht darunter – und nur bestimmte
Dinge wie Lebensmittel oder Haushaltswaren erlaubt. Rot-Rot schaffte die
Karte 2002 wieder ab, in einzelnen CDU-Bezirken hielt sie sich länger, in
Spandau als letztem Bezirk bis 2007.
Dass nun womöglich Ähnliches zurückkommen soll, nennt die für
Migrationspolitik zuständige Linken-Abgeordnete Elif Eralp auf taz-Anfrage
einen „Skandal“. Solche Karten seien stigmatisierend und mit „massivem
bürokratischen Aufwand“ verbunden, weshalb sie Rot-Rot abgeschafft habe.
Ihr Kollege Jian Omar von den Grünen sagt, der Senatsbeschluss sei ein
„Armutszeugnis für Berlin“, das die Integration erschwere.
„Es ist eine irre Illusion, dass eine schlechte Behandlung dazu führt, dass
weniger Menschen kommen“, so Omar zur taz. Die 10 Millionen jährliche
Kosten sollten besser in Integrationsmaßnahmen investiert werden, „die das
Ankommen von schutzsuchenden Menschen erleichtern und nachhaltig den
gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.“
## Verfassungsrechtlich bedenklich
Andrea Kothen von Pro Asyl weist zudem darauf hin, dass „allein wegen
dieses unverhohlenen Motivs der Abschreckung die Bezahlkarte auch
verfassungsrechtliche Fragen aufwirft“. Denn schon 2012 habe das
Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Würde des Menschen nicht aus
migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf. Auch für sie ist die
Karte „reine Symbolpolitik mit beifallheischendem Blick auf die
ressentimentgeladenen Teile der Bevölkerung“.
Allenfalls für die Anfangszeit, wenn Flüchtlinge gerade angekommen sind und
noch kein Konto haben, könne eine solche Karte sinnvoll sein, so Kothen.
Dazu müsse sie aber diskriminierungsfrei gestaltet, Barauszahlungen und
Überweisungen uneingeschränkt möglich sein. [6][So mache es etwa die Stadt
Hannover], dort sei es auch möglich, statt der Karte ein Konto zu nutzen,
[7][erklärt die Expertin].
SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey sagte im Anschluss an die
Senatssitzung, tatsächlich werde die Bezahlkarte „wie eine normale
EC-Karte“ funktionieren. Zudem habe sich der Senat noch nicht verpflichtet,
sie einzuführen, man nehme erst mal nur an der Ausschreibung teil. „Das ist
ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, damit ist die SPD fein“, so
Giffey.
30 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/2235232/697bfb257d9c4f6…
[2] /Leistungen-fuer-Gefluechtete/!5964646
[3] https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/2024-01-26-pm_bezahlka…
[4] https://www.abendzeitung-muenchen.de/bayern/leberkaese-ja-alkohol-nein-was-…
[5] https://userpage.fu-berlin.de/~wolfseif/verwaltet-entrechtet-abgestempelt/t…
[6] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete/!5950500
[7] https://www.proasyl.de/news/menschenrechtliche-standards-beachten-notwendig…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
Stefan Alberti
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Schwerpunkt Flucht
Asylpolitik
Berliner Senat
Geflüchtete
Migration
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Bargeld
Hannover
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