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# taz.de -- Bezahlkarten für Geflüchtete: Hannover prescht vor
> Als erste Großstadt hat Hannover eine „SocialCard“ für Geflüchtete
> eingeführt. Mit Abschreckungsdebatten will die Stadt aber nichts zu tun
> haben.
Bild: Hannover führt eine Bezahlkarte für Geflüchtete ein – ohne Beschrän…
Hannover taz | Im Sommer 2022 war es am schlimmsten. Jedes Mal zum
Monatswechsel bildeten sich lange Schlangen rund um das Sozialamt. Lauter
Menschen, viele von ihnen waren Geflüchtete aus der Ukraine, die auf die
Ausgabe ihres „Verpflichtungsscheines“ warteten. Mit dem durften sie sich
dann wiederum bei einer Sparkasse oder einer anderen Auszahlungsstelle
anstellen, um an ihr Bargeld zu kommen.
Sechs Sachbearbeiter*innen waren nach Angaben des Fachbereichsleiters
nur noch damit beschäftigt, diese Scheine auszugeben. Dazu kamen weitere
Personalkosten für den Sicherheitsdienst. Damit soll nun Schluss sein.
Künftig müssen Menschen, die einen Sozialleistungsanspruch, aber kein
Bankkonto haben, nur noch einmal kommen. Sie bekommen dann eine Scheckkarte
ausgehändigt, die aussieht wie eine ganz normale Visa-Karte. Theoretisch
ginge das auch mit einer App, mit der mochten sich die Teilnehmer*innen
im Testbetrieb aber nicht so anfreunden. Die Behörde überweist die
Sozialleistungen dann darauf wie auf ein Bankkonto.
Das bedeutet weniger Aufwand, weniger Kosten, weniger Ärger für alle. Und
genau das war der Grund, warum die Stadt Hannover ursprünglich ein solches
System angestrebt hat – [1][lange bevor es eine bundesweite Debatte darüber
gab, ob sich Flüchtlingszahlen senken] lassen, wenn man weniger Bargeld
herausgibt.
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) [2][macht keinen Hehl daraus, wie sehr
er diese Debatten verabscheut]. Hannover, sagt er, wolle niemandem
Leistungen beschneiden, die in vielen Fällen ja ohnehin schon unter dem
Existenzminimum lägen. „Das ist unwürdig und wird die Situation in den
Kommunen im Übrigen auch nicht im Mindesten verbessern.“
Allerdings: Rein technisch gäbe es auch bei dem System, das die Stadt
Hannover gewählt hat, durchaus Möglichkeiten, die Nutzung zu beschränken,
erklärt Joerg Schwitalla von der Publk GmbH, die das System entwickelt hat.
„Wir können das den Wünschen der Kommunen entsprechend konfigurieren.“
So könnte man beispielsweise Bargeld-Abhebungen begrenzen, Online-Einkäufe
oder bestimmte Branchen – wie etwa Spielhallen – ausschließen.
Überweisungen sind ohnehin weder im Inland noch ins Ausland möglich, weil
es kein Bankingsystem für die Karteninhaber gibt.
„Aber um auch diesen Mythos einmal auszuräumen, weil es da ja gerade so
eine Art „Wünsch-Dir-was“-Wettlauf gibt: Bestimmte Warengruppen ausnehmen,
das können wir natürlich nicht“, betont Schwitalla. Wenn man mit der Karte
an der Supermarktkasse bezahlt, dann differenziert die nicht zwischen
Lebensmitteln und Spirituosen oder Tabakwaren.
In Hannover steht das ohnehin nicht zur Debatte. Wir wollen, dass die
Menschen teilhaben können und über den vollen Leistungsbetrag frei verfügen
können, betonen Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und seine
Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP) immer wieder.
Der Clou an dem System der Publk GmbH ist, dass man mit Visa
zusammenarbeitet. Andere Anbieter nutzen MasterCard. Damit sind Abhebungen
und Zahlungen überall da möglich, wo das entsprechende Zeichen an der Tür
steht – sofern die Karte noch über Guthaben verfügt. Denn überziehen kann
man sie nicht. Dafür sieht die „SocialCard“ aber aus wie eine ganz normale
Visa-Karte – so soll auch eine Stigmatisierung von
Leistungsbezieher*innen verhindert werden.
Die Zusammenarbeit mit einem etablierten und weitverbreiteten
Zahlungsdienstleister sei deshalb wichtig, weil frühere Versuche daran oft
gescheitert seien, erläutert Publk-Geschäftsführer Schwitalla am Rande der
Pressekonferenz.
Es gab einzelne Landkreise, die schon einmal versucht hatten, eine Art
Bezahlkarte einzuführen. Die sei aber letztlich nicht mehr als ein
Gutschein im Scheckkartenformat gewesen. „Da müssen Sie dann jedes Mal erst
die Händler akquirieren, die überhaupt bereit sind mitzumachen.“
Ein wahnsinniger Aufwand, der am Ende dauernd zu Problemen führt – weil am
Ende dann doch wieder Menschen an einer Supermarktkasse stehen, wo die
Karte gerade nicht funktioniert. Und auf der Verwaltungsseite hätten sich
die Einspareffekte in Grenzen gehalten, weil das Aufbuchen auf die Karten
zu kompliziert war.
Eigentlich hatte es [3][bei der letzten Zusammenkunft der
Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler ja geheißen], man
wolle bis Ende Januar bundesweite Standards für Bezahlkarten entwickeln.
Möglicherweise müsste Hannover sein System dann also noch einmal anpassen.
## Onay erwartet keine schnelle bundesweite Lösung
Das beunruhigt Oberbürgermeister Onay aber nicht weiter: „Das war ja erst
einmal nur eine Absichtserklärung. Und bei dem Tempo, in dem da derzeit
auch andere Prozesse laufen, gehe ich mal nicht davon aus, dass da zum
nächsten Jahr etwas kommt.“ Im Übrigen würde er bei jeder Lösung erwarten,
dass man den Kommunen auch einen gewissen Spielraum lässt – die müssen es
ja schließlich umsetzen.
Hannover wechselt jedenfalls jetzt [4][von der Pilotphase in die
Umsetzung]. 70 Karten sind schon im Umlauf, auf 300 bis 400 wird die Anzahl
nach den derzeitigen Schätzungen bald steigen. Die meisten gehen an
Neuankömmlinge, die noch kein Bankkonto in Deutschland eröffnen können oder
nicht wissen, ob sie bleiben dürfen. Es gibt allerdings auch deutsche
Leistungsbezieher*innen, die keinen Zugriff auf ein Konto haben.
So ganz die Nase vorn hat Hannover allerdings nicht: Eine kleine Kommune in
Schleswig-Holstein habe auch schon 30 Karten im Einsatz, verrät Joerg
Schwitalla. Zwei weitere Kommunen stehen in den Startlöchern – und die
Stadt Leipzig will auch nachziehen.
8 Dec 2023
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Treffen-zu-Asylpolitik/!5968502
[2] /Kommunen-vor-dem-Fluechtlingsgipfel/!5968243
[3] /Bund-Laender-Kompromiss-zu-Asylpolitik/!5971716
[4] https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Akt…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Hannover
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