| # taz.de -- Aufklärungstheater am TD: Die Ressource Boden | |
| > „Wem gehört das Land?“ Helge Schmidt und Team suchen im TD Berlin nach | |
| > Antworten auf diese Frage. Das Recherchestück fordert volle | |
| > Aufmerksamkeit. | |
| Bild: Das Stück wirbt auch um Verständnis für die Nöte von Landwirten | |
| Beherzt haut Jonas Anders in die Tasten des schneeweißen Klaviers. Er und | |
| seine MitstreiterInnen Ruth Marie Kröger und Günter Schaupp haben einen | |
| ziemlich spannenden Paragrafen der bayerischen Landesverfassung von 1947 | |
| vertont. Wir hören im Dreiklang: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens | |
| wird von Staats wegen überwacht. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne | |
| besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für | |
| die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ | |
| [1][Helge Schmidt und Team] stellen in ihrer neuen Recherche-Arbeit „Wem | |
| gehört das Land?“ dieser klaren Positionierung aus der unmittelbaren | |
| Nachkriegszeit (die im Freistaat bis heute in der Verfassung verankert ist) | |
| das ausufernde „Land Grabbing“ von heute gegenüber. So gehören den | |
| Aldi-Erben gigantische Ackerflächen in Ostdeutschland. Eine Methode, um den | |
| Gewinn zu streuen und gleichzeitig Subventionen einzustreichen. | |
| Schmidt und Co. haben breit und tief recherchiert, dann extrahiert. Und so | |
| wird in kompakten 70 Minuten, in denen das Zuschauerhirn jede Sekunde | |
| gefordert ist, die Landfrage von denkbar vielen Seiten angegangen. Eine | |
| extrem gute Dramaturgie (die im Besetzungszettel gar nicht aufgeführt ist!) | |
| macht aus den unterschiedlichen Meinungen, Ansätzen, Ideen und Fragen eine | |
| spannende Collage. | |
| Für die melancholisch-poetische Note sorgen Zitate aus [2][Dörte Hansens] | |
| Roman „Mittagsstunde“ aus dem Jahr 2018, der das Verschwinden der | |
| bäuerlichen Welt anhand eines fiktiven, aber dennoch sehr konkreten Dorfs | |
| in Norddeutschland thematisiert. | |
| Gerechtere Vergütung von Landwirten | |
| Und weil es hier um Landflächen geht, die jahrhundertelang als Ackerland | |
| bewirtschaftet wurden und jetzt umgewidmet werden, geht es an diesem Abend | |
| auch um den Bauernstand an sich. So wird [3][Felix Löwenstein, Bio-Landwirt | |
| und Vorstand des Forschungsinstituts für biologischen Landbau], mehrmals | |
| auf die Gewächshausplane gebeamt. Er fordert eine gerechtere Vergütung von | |
| Landwirten, damit auch Kleinbauern bis 20 Hektar wieder von ihrem Hof leben | |
| können. | |
| Und er fordert, dass jeder für das aufkommt, was er verursacht. So ist die | |
| industrielle Agrarwirtschaft, was den Klimawandel betrifft, in einer | |
| Täter-Opfer-Rolle. Sie beschleunigt den Klimawandel, aber ächzt schon heute | |
| unter seinen Auswirkungen. Sich hier neu aufzustellen ist, so Löwenstein | |
| „nicht etwas, was die Bäuerinnen und Bauern allein schultern können. Das | |
| ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ | |
| Unterdessen kauft [4][der niedersächsische Agrarkonzern Lindhorst] in der | |
| Nähe von Berlin 680 Hektar bewaldetes Land, um darauf einen Solarpark und | |
| einen „Gewerbe-Park für Betriebe mit einem hohen Bedarf an Elektroenergie“ | |
| zu errichten. Günter Schaupp ist fassungslos: „Ich verstehe die Welt nicht | |
| mehr. Eigentlich müssten wir Biosysteme aufbauen, die Kohlenstoff binden. | |
| Jetzt roden wir Wälder, um Industrieanlagen zu bauen.“ | |
| Längst konkurrieren Landwirte erfolglos mit großen Konzernen um die | |
| Ressource Land. Und die wird immer mehr zur Mangelware und damit zum | |
| Spekulationsobjekt, das satte Renditen verspricht. Erschüttert ist man über | |
| die Tatsache, dass im Agrarbereich die Suizidrate um 50 Prozent höher ist | |
| als in der übrigen Bevölkerung. | |
| Offene Rechnung | |
| An die protestierenden Bauern in Berlins Mitte denkt man da. Spannend wäre, | |
| wenn diese mit im Saal säßen. Denn dieses nachdenkliche Stück | |
| Aufklärungstheater im TD unweit des Alexanderplatzes verurteilt die | |
| Landwirte auch beim Rückblick auf die Entwicklung hin zur industriellen | |
| Landwirtschaft nicht. Die PerformerInnen zitieren auf der Bühne aus der | |
| „Mittagsstunde“: „Sie hatten mit der Landschaft noch eine Rechnung offen. | |
| Es schien, als rächten sie sich an all dem Alten.“ Das bleibt so im Raum | |
| stehen. | |
| Und dann öffnet sich der Diskursraum hin zum globalen Kontext, schürft in | |
| der Geschichte und stoppt bei Belgiens König Leopold II., der sich Ende des | |
| 19. Jahrhunderts mit der Gründung einer privaten Finanzgesellschaft an die | |
| Ausbeutung der heutigen Republik Kongo machte. Heute befinden sich große | |
| Teile von Afrikas Agrarflächen im Besitz der Golfstaaten und Chinas, die | |
| diese als Offshore-Farmland nutzen wollen, um damit die eigene | |
| Lebensmittelversorgung sicherzustellen. | |
| „Dabei ist gerade in Afrika die eigene Lebensmittelversorgung stark | |
| gefährdet, weil die Wasservorräte schwinden und die Bodenerträge sinken – | |
| unter anderem als Folge des Klimawandels, für dem Afrika bekanntlich nicht | |
| verantwortlich ist“, zitiert Günter Schaupp aus Joan Baxters „Wie Gold, nur | |
| besser.“ | |
| Für Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation Fian wiederum sei das | |
| Recht auf die Nutzung von Land, um darauf zu wohnen und sich zu ernähren, | |
| ein elementares Menschenrecht, das hier verletzt werde. Kurz vor Schluss | |
| bleibt einem das Bild vom gleichgeschalteten Boden, auf dem neutralisierte | |
| und geschmacklose Nahrungsmittel wachsen, im Hals stecken. Felix Löwenstein | |
| sieht nur eine Möglichkeit, um die rettende Vollbremsung hinzukriegen: die | |
| flächendeckende Wiedereinführung der kleinen bäuerlichen Mischbetriebe. | |
| 29 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katja Kollmann | |
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