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# taz.de -- Immersives Theater: Über die Lüge als Instrument des Krieges
> Beschädigt und betrogen sind am Ende alle. In „Trojan Horse“ spielt das
> Post Theater Szenarien der Manipulation in kriegerischen Zeiten durch.
Bild: Das Stück lebt von überraschenden Effekten, etwa von Luken, die sich ö…
Das Unglück der Sieger: Kassandra malt es in leuchtenden Farben aus. Sie
erscheint vor den Augen der zwölf Menschen, die im Inneren des Trojanischen
Pferdes sitzen, als Projektion hinter einer Schiebetür.
Ihr werdet euch schämen, für das Massaker, das ihr im Rausch an den
Trojanern begangen haben werdet. Ihr werdet die Stadt Troja in Rauch
aufgehen sehen, verkündet sie. Die Sklavinnen, die ihr als Beute nehmt,
werden euch von euren Familien zuhause entzweien. An eurer Beute klebt
Blut, sie ist bald nichts mehr wert. Ihr werdet zu Sklaven eurer
Vergangenheit werden, zweifeln am Sinn eurer Heldentaten.
Kassandras (Ariella Hirschfeld) Auftritte gehören zu den stärksten Szenen
in der Inszenierung „Trojan Horse“, die Hiroko Tanahashi und Max Schumacher
vom Post Theater eingerichtet haben. Die Uraufführung fand im [1][TD
Berlin] statt, danach wird das Stück im Waschhaus Potsdam und im Pathos
Theater München laufen.
Die zwölf Menschen, die als die Krieger der Achäer angesprochen werden und
die im Inneren des Trojanischen Pferdes darauf warten, in die Stadt Troja
gezogen zu werden, das sind die Zuschauer*innen. Für anderthalb Stunden
tauchen sie in verwirrende Erzählungen über den Krieg zwischen den Achäern
(meist Griechen genannt), die die von Paris geraubte Helena aus Troja
zurückholen wollen – und auf die Macht über die handelsstrategisch wichtige
Stadt scharf sind – und den Trojanern ein.
Im Bauch des hölzernen Pferdes
Nun sitzt man im Bauch des hölzernen Pferdes, das vermeintlich ein Geschenk
der Achäer an Troja ist, nach zehn Jahren unentschiedenem Krieg. Man hört
die Reden, mit denen die Achäer ihre Krieger für die Mission, im Inneren
des Pferdes versteckt in die Stadt gebracht zu werden und von dort aus
zuzuschlagen, konditionieren wollen – aber da schlüpfen auch Sätze
dazwischen, wie „unser Mut ist unsere Dummheit“ oder „nur das Nichtwissen
macht stark“.
Man wird gewarnt, dass alle Stimmen Manipulation sein können, die ein
trügerisches Szenario ausmalen. Man hört die Stimmen der Trojaner, die
darüber diskutieren, ob man wirklich ein Stück der Stadtmauer einreißen
soll, um dieses Geschenk des abziehenden Feindes bis zum Altar der Göttin
Athene zu ziehen.
Was kann man glauben? Wie kann man Lüge von Wahrheit unterscheiden? Gibt es
Instrumente, um Propaganda sicher zu erkennen und Manipulation zu
entkommen? Das sind wichtige Fragen, jeden Tag, im Weltgeschehen, in den
aktuellen Kriegen, in Wahlkämpfen.
Um sie ist das Stück „Trojan Horse“ gebaut. Aber nicht, um Antworten zu
geben, sondern eher, um die Zuschauenden einmal durch die Erfahrung zu
führen, wie raffiniert sich Täuschung und Betrug zuweilen geben. Mit wie
vielen Tricks gearbeitet werden kann. Nicht zuletzt mit vielen
Theatertricks. Und mit diesen, mit Bildverfremdungen und
schwindelerregenden Spiegelungen kennt sich das Theater bestens aus.
Vorsicht, Doppelagenten
Meist sitzt man im Dunkeln und hört nur die Stimmen der Trojaner und
Achäer. Auch unter ihnen sind einige schon markiert als Doppelagenten,
Vorsicht. Oder als Prophetinnen wie Kassandra, der bekanntlich niemand
glaubte, obwohl sie die Wahrheit sprach, also glauben wir ihr jetzt. Auch
Helena wird zu einer Erzählerin, die am Ende eine neue Version der antiken
Geschichte vom Trojanischen Pferd auftischt, die letztendlich die
überlieferte Version seit Homer als propagandistisch gefärbte Lüge
entlarven will.
[2][Das immersive Theater] behauptet gerne von sich, die Zuschauenden bei
allen Sinnen zu packen und zu neuen Erkenntnissen zu führen. Aber nicht
selten wird man dabei, wie hier beim Post Theater, einfach in die Rolle des
Dummen geschubst, der dies und jenes mit sich machen lässt. Hier ist man
also der mehrfach von allen Seiten getäuschte Krieger, der sich Mut,
Tapferkeit, Verzicht usw. einreden ließ, um am Ende als nützlicher Idiot
dazustehen.
Die Anlage des Stücks insgesamt lebt von überraschenden Effekten.
Inhaltlich überzeugend sind Textpassagen vor allem dann, wenn sie allgemein
über Kriege reflektieren. Kriege kann man nicht gewinnen, vielleicht
strategische und militärische Ziele erreichen.
Die an ihnen teilgenommen haben aber sind alle Verlierer, auf beiden
Seiten, beschädigt in ihrem Grundvertrauen in den Menschen, angefressen in
ihrem Selbstbild, auf der richtigen Seite zu stehen, zerstört in ihren
Möglichkeiten zu lieben. Das taucht in „Trojan Horse“ auf, das erzählen
aber auch die antiken Dramen schon über diesen Krieg, die „Trojan Horse“
ein wenig dreist als alte Propaganda beiseite fegen will.
31 Dec 2024
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theater
Theater Berlin
Troja
Bühne
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Bühne
Theater Berlin
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