# taz.de -- Theaterstück über den Donbass: „Wie konnten wir nur so naiv sei… | |
> „DONEZK.UA“ vermittelt eindringlich, was für die Menschen in Donezk Krieg | |
> und Okkupation seit 2014 bedeuten. Der TD Berlin zeigte das Theaterstück. | |
Bild: „DONEZK.UA“ erinnert an die Stadt vor der Besatzung und erzählt vom … | |
„Sag nicht Alexanderplatz, es heißt Olexanderplatz!!“ Martin Schnippa kniet | |
auf dem Boden, bekommt eine gewatscht und sagt „Olexanderplatz“. Seine | |
ukrainischen Mitspielerinnen bugsieren ihn von der Bühne des [1][TD Berlin] | |
Richtung Publikum. Sie übertragen das, was 2014 in Donezk passiert ist, auf | |
Berlin und spielen so russische Besatzer, die eine „unabhängige ostdeutsche | |
sozialistische Republik“ ausrufen, ihre eigene Sprache im öffentlichen Raum | |
etablieren und ein Blitzreferendum durchführen. | |
Überrumpelt sitzen die Zuschauer*innen mit zwei verschiedenfarbigen | |
Zetteln da, bis ihnen erklärt wird, die Zettel seien „Winkelemente“, um das | |
Besatzungsstatut abzusegnen. Die Darstellung dieser fiktiven Machtübernahme | |
im Schnelldurchlauf ist so bezwingend, dass Selbstschutz durch | |
Distanzierung bei der Rezensentin nicht funktioniert. Schockgefroren und | |
mit einer leisen emotionalen Ahnung, was Kriegszustand und Okkupation in | |
Donezk seit 2014 für die Menschen dort bedeutet, kehre ich mit den | |
Spieler*innen mental wieder dorthin zurück. | |
Denn das ostdeutsche Besatzungsszenario macht nur einen kleinen Teil der | |
„dokumentarischen Reise in den Donbass“ aus. „DONEZK.UA“ erzählt von e… | |
Berliner Regisseur, der 2010 über das Goethe-Institut für ein | |
Straßentheaterprojekt nach Donezk geht und der 2024 seine Truppe noch mal | |
zusammenbringen will, um dasselbe Stück auf dem Berliner Alexanderplatz ein | |
zweites Mal zur Aufführung zu bringen. | |
Fast niemand von denen, die damals Anfang/Mitte zwanzig waren und in Donezk | |
studierten, konnte nach Berlin kommen. Von den vier Performerinnen, die im | |
TD auf der Bühne stehen, waren nur Katyerina Goncharova und Valerya | |
Treshchova 2010 in Andreas Merz' Donezker Truppe. Unterstützt werden sie | |
von Alina Kostyukova aus Charkiw und Zoriana Dybovska, die aus der | |
Westukraine stammt, und von 2005 bis 2014 am Donezker ukrainischen Theater | |
angestellt war. | |
Interviews als Basis des Textes | |
Merz und die Dramatikerin Kateryna Penkova haben insgesamt 15 Interviews | |
mit ehemaligen Teilnehmer*innen des Straßentheaterprojekts geführt. Sie | |
sind die Basis für Penkovas Text, der über eine ironische Schiene Regisseur | |
Andreas Merz als Figur (gespielt von Martin Schnippa) hinzufügt und so die | |
rein dokumentarischen Passagen auflockert. | |
Gerade am Anfang erhält die Inszenierung auf diese Weise die Leichtigkeit | |
eines unbeschwerten Klassentreffens, bei dem Erinnerungen ausgetauscht | |
werden. Erinnerungen an eine grüne Stadt, die ein pulsierendes kulturelles | |
Leben hatte und die sich auf die Austragung der Fußball-EM 2012 | |
vorbereitete. Auch in Donezk wünschten sich damals viele junge Menschen | |
[2][einen Beitritt der Ukraine zur EU], erfährt man. Und Einspieler aus dem | |
März 2014 zeigen, dass in der Hauptstadt des Donbass damals sehr viele | |
Menschen mit Ukraineflaggen auf die Straße gingen, um [3][die | |
Maidan-Proteste] in Kyjiw vor Ort zu unterstützen. | |
2014, unmittelbar nach der Etablierung der separatistischen Volksrepublik | |
Donezk, setzte man alle Hoffnung auf den Oligarchen Rinat Achmetow, darauf, | |
dass dieser, um Macht und vor allem sein Vermögen im Donbass nicht zu | |
verlieren, durch Absprachen das Besatzungsregime zum Abzug bewegen wird. | |
Und jetzt fragt man sich auf der Bühne: „Wie konnten wir nur so naiv sein? | |
Das billige Gas, das wir uns 2012 durch die weitere Stationierung der | |
Schwarzmeerflotte auf der Krim gesichert haben, haben wir sehr, sehr teuer | |
bezahlt.“ | |
Zwei Muttersprachen | |
Kateryna Goncharova war das letzte Mal 2013 [4][in Donezk], Kateryna | |
Penkova im Jahr 2020, um Verwandte zu besuchen. „Es sind dieselben Straßen, | |
dieselben Gebäude, aber es ist eine total andere Stadt“, sagt Penkova im | |
Nachgespräch. Valerya Treshchova, die 2014 nach Kyjiw geflohen ist, | |
erzählt, dass sie eigentlich zwei Muttersprachen hat: russisch und | |
ukrainisch. Einer aus der Straßentheatertruppe, der jetzt im Osten | |
Russlands lebt, weil er sonst sein Kind nicht mehr sehen kann, sagt im | |
Interview: „Niemand darf hier herausfinden, dass ich aus der Ukraine bin. | |
Ich habe inzwischen ukrainisch verlernt.“ | |
Als Martin Schnippa alias Andreas Merz „Olexanderplatz“ (ukrainisch für | |
Alexander) anstatt Alexanderplatz sagen muss, wird das Ausmaß der | |
Repression auf einmal sinnlich greifbar. Kürzlich seien von einer 45 Mann | |
starken Brigade mehr als 80 Prozent durch Raketenbeschuss getötet worden, | |
erzählt Zoriana Dybovska am Schluss. Weil Frühwarndrohnen fehlten. Durch | |
Spenden und eine kleine Requisitenversteigerung möchte man Geld für fünf | |
Drohnen generieren. Kateryna Goncharova trennt sich von ihrer | |
Euromaidan-Fahne. Sie hängt jetzt im Wedding bei mir. | |
8 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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