| # taz.de -- Anti-AfD-Proteste: Die Nazis sind leider klug | |
| > Extrem Rechte wissen die Schwachstellen der liberalen Demokratie zu | |
| > nutzen. Deshalb sind Wohlstandschauvinismus und Weiter-so keine Option. | |
| Bild: Die Zivilgesellschaft ist aufgewacht: Protest gegen die AfD in Berlin am … | |
| Die Deportationsfantasien von Nazis in der AfD und ihrem Umfeld haben viele | |
| Menschen wachgerüttelt. Hunderttausende auch in kleineren Städten und auch | |
| im Osten [1][demonstrieren gegen Faschismus und Rechtsextremismus.] In | |
| vielen Medien wird diskutiert, ob und wie sehr die Demokratie bedroht und | |
| wie mit der Gefahr umzugehen sei. [2][Die Zivilgesellschaft ist wach | |
| geworden], nachdem es zuletzt fast danach aussah, als könnten die Rechten | |
| durchmarschieren. | |
| Dennoch ist zu befürchten, dass auch jetzt vor allem eingeübte Reflexe | |
| wiederholt werden und das eigentliche Problem mindestens teilweise verfehlt | |
| wird. Faschisten zu stellen, ihnen mit Argumenten zu kommen, seien sie auch | |
| brutal populistisch vereinfacht, läuft ins Leere, denn ihnen geht es um | |
| etwas anderes. Es geht ihnen ums Ganze. | |
| Liberale demokratische Ordnungen gewähren ihren Feinden Schutz und die | |
| gleichen Rechte wie ihren Verteidigern. Sie sind zugleich niemals moralisch | |
| einwandfrei, sondern geprägt von Streit, Widersprüchen und menschlicher | |
| Doppelmoral. Sie sind angewiesen auf eine wache und wachsame | |
| Zivilgesellschaft, funktionierende Institutionen und gut austarierte | |
| Kontrollmechanismen. | |
| Faschisten wie Martin Sellner und Björn Höcke wissen, dass solche | |
| demokratischen Gesellschaften Schwachstellen haben, und machen sich diese | |
| gezielt zunutze. Die Empörung über den Begriff der „Remigration“ ist | |
| angebracht, aber sie kommt spät, denn sowohl die Nachwuchs-Nazis der | |
| Identitären Bewegung, deren Sprecher [3][der Österreicher Sellner] lange | |
| war, als auch der gerichtsoffiziell als Faschist geadelte Geschichtslehrer | |
| Höcke sprechen und schreiben schon lange davon. | |
| ## Sie nutzen Pop- und Netzkultur | |
| Sie und andere Figuren der politischen Halbwelt wie der völkische Aktivist | |
| und Verleger [4][Götz Kubitschek] arbeiten seit Jahren an der | |
| Destabilisierung der Demokratie und haben dabei langen Atem bewiesen. Ihr | |
| Vorgehen ist leider klug, sie wissen Pop- und Netzkultur gekonnt mit der | |
| Strategie der historischen Faschisten zu verbinden, die Demokratie und ihre | |
| Akteure systematisch zu delegitimieren und verächtlich zu machen. | |
| Der Erfolg gibt ihnen recht, sie brauchen kein kohärentes Programm, es | |
| genügt, die politische Arena und das Netz mit ihrem menschenfeindlichen, | |
| rassistischen Müll zu fluten, um die gesamte politische Kultur dauerhaft zu | |
| beschädigen. Ihr einziges Gegenangebot: Sie setzen Vulgarität an die Stelle | |
| von Geist und niedere Beweggründe an die Stelle von Empathie. | |
| Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge sollen bis zur Unkenntlichkeit | |
| verschwimmen, die „vollständige Umwandlung von Kultur in Schleuderware“ | |
| (Franz Neumann) gipfelt schließlich in einem Nihilismus, der auch vor | |
| Zivilisationsbrüchen und Gewaltexzessen nicht mehr zurückschreckt. Die | |
| deutsche Vergangenheit wie die eingangs genannten Deportationsfantasien | |
| lassen grüßen. | |
| So weit, so schlecht. Das weitaus größere Problem ist aber, dass die | |
| globale Großwetterlage populistischen Demagogen nicht nur aus dem | |
| faschistischen Lager in die Hände spielt, bekanntermaßen nicht nur in | |
| Deutschland. Die relative Ruhe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist | |
| vorbei, im 21. Jahrhundert hat die Moderne wieder zu jenem atemberaubenden | |
| Tempo zurückgefunden, das sie bereits seit der industriellen Revolution | |
| hatte. | |
| ## Es ist schwer, Vertrauen in die Zukunft zu haben | |
| Eine vernetzte, hochkomplexe Welt, die sich in rasantem Tempo verändert und | |
| deren Zusammenhänge auch professionelle Beobachter kaum vollständig | |
| erfassen können, macht es schwer, Vertrauen in die Zukunft zu haben, die | |
| apokalyptische Dimension der globalen Klimakrise trübt die Perspektiven | |
| weiter ein. Hinzu kommt: Das planetarische Ausmaß der Probleme erzwingt | |
| auch planetarische Lösungen, nicht nur beim Klima. | |
| In der global vernetzten Welt wissen die Menschen im Globalen Süden nicht | |
| nur um die Verwüstungen der kolonialen Vergangenheit, sondern auch um die | |
| daraus resultierenden, bis heute bestehenden wirtschaftlichen | |
| Abhängigkeiten und die ungleich besseren Lebensbedingungen in den Ländern | |
| des Nordens. Dort ahnt man, dass es so nicht ewig weitergehen wird, | |
| freilich, ohne die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. | |
| Ausnahmslos alle Parteien versprechen unentwegt, den „Wohlstand erhalten“ | |
| zu wollen, mal garniert mit wohlfeiler Veränderungsemphase, mal mit | |
| unverhohlenem Wohlstandschauvinismus. Selten traut sich jemand, das Ausmaß | |
| der Veränderungen, jener, die stattfinden, und jener, die kommen, in vollem | |
| Umfang zu beschreiben – und wer es wagt, riskiert sein politisches | |
| Überleben. Der Hass auf die Grünen, der vor allem im Netz zu beobachten | |
| ist, zeigt das. | |
| In diesem Moment existenzieller Krisen beschwören Faschisten wie Höcke und | |
| Trump jenen Niedergang, den sie für ihre politische Existenz so dringend | |
| benötigen. Dass demokratische Aushandlung oft mühsam und nervenaufreibend | |
| ist, dient ihnen als Beleg ihrer grundsätzlichen Korrumpiertheit. Sie | |
| behaupten, für eine schweigende Mehrheit, für „das Volk“ zu sprechen, ihr | |
| eigentliches Ziel ist indes ein autoritärer Umsturz, eine dunkle Revolte | |
| gegen eine zerrissene Moderne. | |
| ## Die Ängste müssen übersetzt werden | |
| Sie haben keinerlei Idee von einer gelingenden Zukunft und versprechen dies | |
| auch nicht. Stattdessen entfesseln sie dumpfe Ressentiments im Schutz einer | |
| enthemmten Masse. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, hieß das bei den | |
| Nazis, „Terror von unten“ nannte es der italienische Antifaschist Ignazio | |
| Silone. | |
| Die vielen Demonstrationen und Diskussionen, die nun stattfinden, sind | |
| natürlich begrüßenswert und notwendig. Aber sie werden das Problem nicht an | |
| der Wurzel packen. Wohlstandschauvinismus und Weiter-so sind keine Option. | |
| Es braucht eine Erzählung, die Zukunftsängste übersetzt in | |
| Herausforderungen, die zu schaffen sind. Solange es keine wirkmächtigen | |
| Vorstellungen einer gelingenden planetarischen Zukunft gibt, wird die | |
| faschistische Gefahr jedoch weiterwachsen. | |
| 25 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lukas Franke | |
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