# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Der Polizeistaat normalisiert sich | |
> In der Silvesternacht hat sich Polizeirepression weiter normalisiert. Für | |
> Rassismusbetroffene und politisch Ungemütliche ist das kein gutes | |
> Zeichen. | |
Bild: Macht mehr Polizei die Welt sicherer oder gefährlicher? | |
Berlin wurde dieses Silvester von einer [1][polizeilichen Übermacht] | |
erdrückt. Sondereinheiten, Wasserwerfer und Räumpanzer belagerten | |
insbesondere den Bezirk Neukölln. Ein Polizeihubschrauber kreiste am | |
Himmel, am Boden suchten Sprengstoffhunde nach Böllerlagern. In der von | |
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) angekündigten „Nacht der Repression“ | |
verhaftete die Polizei 390 Menschen. Nur [2][drei von ihnen] sollen aber | |
eine derart schwere Straftat begangen haben, dass ein Haftbefehl nötig | |
wurde. Die von rechts herbeigeredeten Krawalle sind ausgeblieben. | |
Diejenigen, denen es ohnehin nie genug Polizisten geben kann, weil sie | |
insgeheim jede Form von unkontrolliertem Leben verabscheuen, freuen sich | |
jetzt natürlich. Mehr Polizei hat zu weniger Krawallen und mehr Sicherheit | |
geführt, frohlocken sie, das Rezept „Mehr Polizei“ hat also gewirkt: Man | |
muss nur jede menschliche Regung überwachen und kontrollieren – und schon | |
tanzen auch weniger Leute aus der Reihe. | |
Unter den Tisch fällt dabei, dass die Gefahrenlage, die die Polizei | |
angeblich verhindert hat, im Vorhinein von ebenjenen Leuten konstruiert | |
wurde, die sich jetzt freuen. [3][Die Neuköllner Jugendstadträtin Sarah | |
Nagel (Linke)] wusste jedenfalls schon vorher, dass die Jugendlichen | |
keineswegs auf eine offene Konfrontation mit der militarisierten | |
Staatsmacht hinfiebern. Im Kern basierte die Gefahrenprognose auf der | |
rassistischen Wahnvorstellung, dass zehntausende Deutschland-, Israel- und | |
Polizeihasser mit Migrationshintergrund den Aufstand proben wollen. Dass | |
dieser ausgeblieben ist, sollte den Panikmachern zu denken geben – wird es | |
aber nicht. | |
## Der Polizeistaat als neues Normal | |
Vielmehr wird das Ausbleiben der Angstszenarien die rassistischen | |
Ressentiments nur noch verstärken – weil der paradoxe Schluss gezogen wird, | |
dass nur immer mehr Polizei die Wahrwerdung der Ängste auch in der Zukunft | |
noch verhindern kann. Von der Silvesterdebatte bleiben wird die von rechter | |
Presse und Politiker:innen befeuerte Assoziation von migrantischen | |
Jugendlichen aus Arbeiterkiezen mit Gewaltlust und Judenhass. Am Ende | |
profitieren wird davon nicht die CDU, sondern die AfD, die für die | |
brutalste Umsetzung einer Politik getrieben von Rassismus und Ordnungswahn | |
steht. | |
Man muss sich auch keine Illusionen machen, dass es sich bei der | |
Silvesternacht um einen einmaligen Ausnahmezustand gehandelt hat. Vielmehr | |
reiht sich die Silvesternacht in eine seit Jahren voranschreitende | |
Normalisierung massiver Repression ein. Und die bürgerliche Gesellschaft | |
gewöhnt sich schnell an neue Normalitäten. Präventionsgewahrsam, die Stadt | |
als Polizeifestung, dreistellige Verhaftungszahlen – all das wird künftig | |
kaum mehr als Schulterzucken hervorrufen. Bleiben wird nichts weniger als | |
die Normalisierung des Polizeistaates. | |
Manche hoffen vielleicht, dass sie die sich verschärfende Repression gegen | |
migrantisierte Jugendliche nicht treffen wird, weil sie selbst nicht | |
migrantisiert werden. Doch die Repression wird künftig alle ins Auge | |
nehmen, die dem Staat zu ungemütlich sind – was neben Fußballfans vor allem | |
die sozialen Bewegungen sind. Nicht erst die Kriminalisierung der Letzten | |
Generation und die brutale Räumung von Lützerath vor einem Jahr haben | |
gezeigt, wie Polizeigewalt zum Beispiel auch die fossile Zerstörung des | |
Planeten für Konzernprofite verteidigen kann. | |
## Es trifft einige, doch gemeint sind alle | |
Und die nächste Räumung könnte bereits bevorstehen: Räumungsbedroht ist | |
derzeit [4][die Waldbesetzung „Tümpeltown“] in der Leinemasch nahe | |
Hannover, wo sich Aktivist:innen gegen den Ausbau des vierspurigen | |
Südschnellwegs zur Wehr setzen. Jetzt in der Rodungssaison könnte die | |
Polizei jederzeit anrücken. Am Donnerstag (4. 1.) findet deshalb im Bandito | |
Rosso (Lottumstraße 10a) eine [5][Infoveranstaltung der | |
Waldbesetzer:innen] statt. Um 18 Uhr gibt es eine kleine Küfa, um | |
18:30 Uhr beginnt der Inputvortrag. | |
Neonazis fühlen sich vom rassistischen Diskurs von CDU und AfD derweil | |
immer öfter bestärkt, offen gewalttätig zu werden. Die | |
[6][JugendAntifaPlatte (JAP)] meldet eine Häufung rassistischer Übergriffe | |
in Marzahn-Hellersdorf. Besonders betroffen sind die U-Bahnstationen | |
Wuhletal, Kaulsdorf-Nord und Kienberg, wo Neonazis Menschen bedrohen, | |
Frauen Kopftücher herunterreißen oder Leuten ins Gesicht schlagen. Gegen | |
die Normalisierung dieser Gewalt veranstaltet die Gruppe am Samstag (6. 1.) | |
um 13 Uhr am Cecilienplatz [7][eine Kundgebung]. | |
Die dunkle Kehrseite des Rufs nach „Recht und Ordnung“ ist, dass diese | |
Ordnung meistens zulasten der Rechte von jenen geht, die als anders | |
markiert werden. Gleichzeitig wird jenen, die die Ordnung durchsetzen, die | |
Freiheit zugestanden, sich über das Recht zu erheben. | |
## „Oury Jalloh, das war Mord!“ | |
So müssen rassistische Polizist:innen kaum fürchten, belangt zu werden, | |
wenn sie mal wieder durchdrehen. Davon zeugt nicht zuletzt die schreiende | |
Ungerechtigkeit, dass auch 19 Jahre nachdem [8][Oury Jalloh im Dessauer | |
Polizeirevier verbrannte], die Umstände seines Todes immer noch nicht | |
abschließend geklärt sind. Dabei sprechen viele Beweise dafür, dass Jalloh | |
nach seiner Festnahme am 7. Januar 2005 von Polizisten erst misshandelt und | |
dann in seiner Zelle gefesselt und angezündet wurde. | |
Am kommenden Sonntag findet [9][die alljährliche Gedenkdemonstration] in | |
Dessau statt. Los geht es um 14 Uhr am Hauptbahnhof Dessau. Aus Berlin | |
fährt pünktlich um 10:30 Uhr ein Solibus am Oranienplatz ab. Wer mitfahren | |
will, wird um eine kurze Anmeldung unter [10][[email protected]] gebeten. | |
Alternativer Treffpunkt für eine gemeinsame Anreise ist um 11:30 Uhr am | |
Potsdamer Hauptbahnhof, auf der Seite, wo die Busse und Trams abfahren. | |
Bereits am Donnerstag (4. 1.) findet in der K19 (Kreutzigerstraße 19) im | |
Vorfeld der Oury-Jalloh-Demonstration [11][eine Präsentation] darüber | |
statt, wie Polizeigewalt für viele Geflüchtete zum Alltag gehört. Es geht | |
um neue Informationen zu dem Thema und um Strategien, gegen Polizeigewalt | |
vorzugehen. Um 19 Uhr gibt es eine kleine Küfa, um 19:45 Uhr beginnt die | |
Präsentation. | |
3 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Polizeieinsatz-an-Silvester-in-Berlin/!5979827 | |
[2] https://www.rnd.de/panorama/silvester-randale-in-berlin-viele-festgenommene… | |
[3] /Silvester-in-Berlin/!5981661 | |
[4] https://tuempeltown.blackblogs.org/ | |
[5] https://kolektiva.social/@tuempeltown/111675978098371611 | |
[6] https://www.instagram.com/japmahe/ | |
[7] https://asanb.noblogs.org/?event=solidaritaet-mit-den-betroffenen-rassistis… | |
[8] /Mordfall-Oury-Jalloh/!5823891 | |
[9] http://www.initiativeouryjalloh.wordpress.com | |
[10] /[email protected] | |
[11] https://stressfaktor.squat.net/node/302515 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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