| # taz.de -- Debatte um Verkehrssicherheit: Eine Helmpflicht ist sinnlos | |
| > Regelmäßig kommt die Forderung, dass alle Radfahrende einen Helm tragen | |
| > sollen. Das bringt wenig und löst das Hauptproblem auf den Straßen nicht. | |
| Bild: Zumindest bei Gruppenfahrten wie diesen sind Helme sinnvoll | |
| Brandenburgs inzwischen ehemaliger CDU-Verkehrsminister Guido Beermann (er | |
| trat Anfang November aus privaten Gründen zurück) und [1][Berlins | |
| Verkehrssenatorin Manja Schreiner (auch CDU) haben unlängst eine alte | |
| Debatte neu belebt]: Sie plädieren für eine Helmpflicht für Radfahrende. | |
| Das würde die Anzahl schwerer Kopfverletzungen nach Radunfällen senken, | |
| sagen sie. Eine Helmpflicht könne so die Verkehrssicherheit verbessern. | |
| Könnte sie das? | |
| Ein Blick auf die derzeitige Verkehrssicherheit zeigt: Die mit Abstand | |
| gefährlichste Art, sich im Verkehr fortzubewegen, ist das Autofahren (1.192 | |
| Tote im Jahr 2022). Platz zwei belegt das Motorrad (492 Tote), erst auf dem | |
| dritten Platz finden sich Radfahrer:innen (normales Rad 266 Tote, | |
| E-Bike 208 Tote). Radfahren ist also, relativ gesehen, sicher. | |
| Dass Radfahren so viel sicherer als Autofahren ist, liegt vor allem am | |
| Reisetempo: Je höher die Geschwindigkeit, desto exponentiell schwerer der | |
| Unfall. Wer mit 30 Stundenkilometern irgendwo aufprallt, erlebt die | |
| Fallhöhe eines Sturzes aus dem Fenster im ersten Stock eines Hauses; 50 | |
| Stundenkilometer entsprechen schon dem dritten Stock, 70 Stundenkilometer | |
| einem Sturz aus dem sechsten Stock und so weiter. | |
| Fußgänger sind besonders langsam unterwegs und haben so gut wie nie schwere | |
| Alleinunfälle. Dennoch sind im vergangenen Jahr 368 von ihnen tödlich im | |
| Straßenverkehr verunglückt. Das sind deutlich mehr als Radfahrer auf | |
| motorlosen Bikes. Fragt sich also, warum die Union nicht mit einem | |
| Helmtragepflicht-Vorstoß für Zufußgehende zu punkten versucht. Wer von | |
| Unfallgefahren aufgrund mangelnder Knautschzonen spricht, sollte Fußgänger | |
| nicht ausnehmen. | |
| Vielleicht ahnen auch CDU-Verkehrspolitiker, dass Rad fahren oder zu Fuß | |
| gehen an sich sicher sind – also solange kein Kfz-Verkehr in der Nähe ist: | |
| Zwei Drittel aller schweren Radfahrunfälle ereigneten sich unter | |
| Autofahrerbeteiligung, drei Viertel der Radunfälle insgesamt wurde von den | |
| Kfz-Lenkern verschuldet. Die Zahlen im Fußgängerbereich sehen für den | |
| motorisierten Verkehr noch schlechter aus. | |
| Wer Verkehrssicherheit fordert, muss also im Auge behalten, dass die | |
| überwiegende Mehrheit der Verkehrstoten Autofahrer sind – und die | |
| überwiegende Mehrheit der Unfälle von Autofahrern verursacht wird. Wären | |
| auf unseren Straßen morgen nurmehr Radfahrer und Fußgänger unterwegs, würde | |
| die Anzahl schwerer Unfälle erdrutschartig abfallen. Würde hingegen eine | |
| Radhelmpflicht eingeführt, [2][könnte das keinen einzigen Unfall | |
| verhindern]. Es sei denn, man folgt der Argumentation des Radfahrer-Clubs | |
| ADFC, dass eine solche Pflicht Menschen vom Radfahren abhalten würde – dann | |
| könnte es einen Effekt geben, denn wer nicht mehr Rad fährt, kann auch | |
| nicht damit verunglücken. | |
| Da es in absehbarer Zeit weiterhin gefährlichen Kfz-Verkehr geben wird, | |
| aber Menschen trotzdem Rad fahren, kann denen nicht ein Helm zumindest | |
| helfen, einige seiner Folgen abzufedern? Aber: Drei Viertel aller | |
| Verletzungen von Fahrradverunfallten betreffen andere Regionen als den | |
| Kopf. Hier bringt ein Helm nichts. Bei dem restlichen Viertel können Helme | |
| Schäden zumindest innerhalb der abgedeckten Teilregionen in der Tat | |
| abmildern. | |
| Deshalb spricht einiges dafür, sich individuell für einen Helm zu | |
| entscheiden, etwa wenn man zur Risikogruppe der rasenden Rentner gehört. | |
| Dank E-Bikes kann schließlich inzwischen jeder weite Strecken per Rad mit | |
| Geschwindigkeiten um die 25 Stundenkilometern zurücklegen. Die Gefahr eines | |
| schweren Unfalls steigt dabei indes durch Geschwindigkeit und Alter gleich | |
| doppelt. Schließlich gehen Muskelmasse, Reaktionsgeschwindigkeit und | |
| Beweglichkeit im Laufe der Jahre zurück; Unfälle haben dadurch üblere | |
| Folgen. | |
| ## Lieber Tempo 30 | |
| Ein Helm kann also in bestimmten Situationen Menschenleben schützen. Die | |
| verpflichtende Einführung eines Utensils zu fordern, das lediglich einen | |
| Teil möglicher Unfallfolgen abmildern kann, als Verkehrspolitik zu | |
| bezeichnen, ginge dennoch zu weit. Wie wäre es stattdessen mit der Idee, | |
| die Unfallursachen in Angriff zu nehmen? Tempo 30 innerorts etwa senkt | |
| zugleich Unfallrisiko und Unfallfolgen. Und wer Verkehrsarten trennt, | |
| minimiert Unfallrisiken. | |
| Zum Glück gibt es hier, im Bereich der Ursachen, seit diesem Sommer | |
| tatsächlich Fortschritte: Die Bundesregierung hat das Straßenverkehrsgesetz | |
| (StVG) reformiert, der Bundestag hat inzwischen zugestimmt. Wollte eine | |
| Kommune bislang eine Tempo-30-Zone oder Radspur einführen, musste sie das | |
| aufwendig begründen. Und wurde meist von autobesitzenden Bürgern verklagt. | |
| Schließlich galt es laut altem StVG stets, die Leichtigkeit und Sicherheit | |
| des motorisierten Verkehrs nicht zu beeinträchtigen. Ab jetzt sollen laut | |
| Bundesregierung Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche | |
| Entwicklung als gleichberechtigte Ziele gelten. | |
| ## Weniger Autos ist der beste Weg | |
| Damit wäre in der Tat der Weg frei für eine Verkehrswende, die mehr | |
| Sicherheit bringt. Die hat bislang auf der Straße noch nicht begonnen: So | |
| viele und so große Autos wie heute gab es in Deutschland noch nie. Der | |
| prozentuale Anteil des motorisierten Individualverkehrs steigt nur deshalb | |
| nicht, weil auch mehr Fahrräder gefahren werden. Die wenigsten E-Bikes | |
| haben jedoch tatsächlich ein Auto ersetzt. | |
| Genau das muss indes Ziel von Verkehrssicherheitspolitik sein: [3][die | |
| konstante Zunahme von Autobesitz und gefährlichem Autoverkehr zu stoppen]. | |
| Wo ein Auto parkt (egal mit welchem Antrieb), kann kein Radstreifen, keine | |
| Busspur und kein Gehweg sein. Und wo Auto gefahren wird, droht Gefahr. | |
| Durchschnittlich kam es im vergangenen Jahr pro Tag zu 989 Verletzten und | |
| fast 8 Todesopfern im Straßenverkehr. Ein Großteil dieses Leides wäre | |
| vermeidbar gewesen. Es wäre schön, wenn auch die Union aufhörte, | |
| Nebelkerzen zu werfen und dieses Thema endlich ernst nähme. Vision Zero! | |
| 20 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Forderung-nach-Helmpflicht/!5958872 | |
| [2] /Debatte-Helmpflicht-fuer-Radfahrer/!5063181 | |
| [3] /Autofreie-Innenstaedte/!5850723 | |
| ## AUTOREN | |
| Kerstin Finkelstein | |
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